Syn-Evangelium
(Roman-Fassung)
Das großartige Evangelium des vollkommenen Lebens
im Schatz der unverlierbaren Liebe Jesu Christi
I Die Anfänge
14: Die Geburt Jesu Christi, des Herrn
14-A: Der Befehl des Kaisers Augustus
14-B: Fangt mit den Daviden an!
14-C: Fliegt jetzt doch noch alles auf?
14-D: Vorausgeschickte Vorhut
14-E: Der Sohn Davids muss in der Stadt Davids geboren werden!
14-F: Was wird um dieses Kindes willen noch alles geschehen?
14-G: War am Ende alles nur Einbildung?!
14-H: Ein glänzender Einfall!
14-I: Joseph ergreift die Flucht
14-J: Ein seltsamer Führer
14-K: Was für eine impertinente Person!
14-L: Entsetzensschreie!
14-M: Wage es ja nicht!
14-N: Ein Erlöser für alle!
14-O: Gesegnet seist Du, Gott unserer Väter!
14-P: Es soll nicht dunkel bleiben!
14-Q: Siehe! Ich verkündige euch große Freude!
14-R: Der von ganz oben kommt von ganz unten!
14-S: Er verachtet wahrlich niemanden!
14-T: So war dies doch der rechte Platz!
14-U: Völlig unnötig gesorgt!
(A)
In jenen Tagen aber, als Joseph und Maria auf Veranlassung des Hohen Rates in die verlassene Essener-Siedlung am Toten Meer gebracht wurden, um sich dort einer göttlichen Prüfung durch das bittere Wasser der Eifersucht zu unterziehen, ob Maria als eine Geweihte des HERRN infolge einer schändlichen, bestraftungs-würdigen Sünde schwanger geworden war, wurde überall in Israel eine Verordnung des römischen Kaisers »Augustus«, des »Erhabenen« Octavian, verlesen, dass nunmehr auch im Herrschaftsgebiet von Herodes dem Großen eine Volkszählung beginnen sollte, um alle ebenso auch gegenüber Rom steuerpflichtigen jüdischen Bürger zu ermitteln.
Diese Erhebung im Heiligen Land war Teil einer Erfassung der gesamten Bevölkerung im ganzen Römischen Imperium und in allen seinen Provinzen, die schon vor einigen Jahrzehnten in Gallien ihren Anfang genommen hatte und allmählich auf alle Herrschaftsgebiete des Römischen Reiches ausgedehnt wurde.
Und dies war die erste Zählung der Ermittlung, die in Palästina vorgenommen wurde und die sich noch über ein ganzes Jahrzehnt hinziehen sollte und erst zum Abschluss kam, als dem Herodes Archelaus, einem Sohn von Herodes dem Großen, seine Herrschaft entzogen wurde und Judäa der römischen Provinz Syrien angegliedert und dem dortigen Statthalter Publius Sulpicius Quirinius unterstellt wurde, der in Israel Cyrenius genannt wurde.
Die Eintreibung der Steuern für Rom wurde nämlich nicht von den Römern selbst vorgenommen, sondern von sogenannten »Publicani«. Dies waren meist gut situierte, wohlhabende einheimische Zoll-Pächter, die an Rom für die von ihnen gepachteten Regionen einen festen Steuersatz zu entrichten hatten und dann selbstständig diesen Zoll wiederum in den ihnen unterstellten Bezirken durch ihre eigenen Zöllner eintreiben durften.
All diese Zoll-Pächter und ihre Zoll-Beamten waren freilich im ganzen römischen Reich höchst „unbeliebt“ – um nicht zu sagen: abgrundtief „verhasst.“ Denn sie wurden in den Augen der Einheimischen nicht allein zu Landes-Verrätern, die um des eigenen schändlichen selbstsüchtigen Profits willen mit den römischen Okupatoren und Blutsaugern gemeinsame Sache machten, sondern es war überdies allgemein bekannt, dass sie sich auch selbst ungebührlich auf Kosten ihrer Landes-Genossen bereicherten, indem sie durchwegs höhere Steuern eintrieben, als wie sie von Rom verordnet waren, und es so nicht selten zu einem beträchtlichen Vermögen brachten.
Und diese Eigenmächtigkeiten wurden von Rom stillschweigend geduldet, da die Zoll-Pächter ihrerseits verpflichtet waren, stets denselben festen Steuersatz zu entrichten – unabhängig davon, ob in ihrer Region infolge guter Ernten hohe Gewinne erzielt wurden oder aber aufgrund von Miss-Ernten kaum Steuern einzutreiben waren. Entsprechend war es den Publicani auch gestattet, eigenverantwortlich in guten Jahren höhere Steuern einzufordern, um damit in schlechten Jahren ihre niedrigeren Zoll-Einnahmen ausgleichen zu können.
Dies sicherte Rom feste, einkalkulierbare Einnahmen aus dem ganzen Imperium, öffnete aber auch Missständen bei der Steuer-Eintreibung in allen Provinzen Tor und Tür. Beschwerden gegen Zoll-Eintreiber wurden nämlich in Rom mit Regelmäßigkeit unter Darlegung der eben geschilderten Sachverhalte abgewiesen.
Umgekehrt war man sich aber freilich in Rom auch bewusst, dass die vom Imperium eingesetzten Zoll-Pächter wiederum im Gegenzug auch nichts unversucht ließen, um selbst auch ihre eigenen Auftraggeber zu hintergehen – hauptsächlich dadurch, dass sie die Anzahl der zu besteuernden Bevölkerung in den ihnen anvertrauten Regionen wesentlich niedriger anzusetzen suchten, als diese tatsächlich waren. Denn die Einnahmen all dieser Steuerzahler, welche die Zoll-Pächter gegenüber Rom unterschlugen, konnten die Publicani schließlich ganz für sich allein behalten, ohne den Löwen-Anteil davon an ihre Vorgesetzten weiterleiten zu müssen.
Aus diesem Grund erging auch der Befehl des Kaisers Augustus, dass die steuerpflichtige Bevölkerung im ganzen Römischen Imperium klar erfasst werden sollte, um die Angaben der einzelnen Zoll-Pächter über die Anzahl ihrer Steuerzahler überprüfen zu können. So konnte der Pacht-Zins – meist zu Ungunsten der Zoll-Pächter – angemessen an die wahren Gegebenheiten und Verhältnisse in den verschiedenen Zoll-Bezirken anpasst – beziehungsweise in der Regel de facto erhöht – werden, was den kostspieligen Aufwand all dieser Erhebungen freilich doch wiederum mehr als wett machte.
Diese Ermittlungen geschahen also hauptsächlich zur Kontrolle der von Rom eingesetzten Zoll-Eintreiber. Denn diese Volkszählungen wurden von unabhängigen römischen Staatsbeamten durchgeführt, welche in die verschiedenen Provinzen des Imperiums entsandt wurden.
In Israel ging man hier so vor, dass jeweils das höchste Oberhaupt eines jeden Hauses an den Ursprungsort ziehen musste, dem seine Familie entstammte, um sich selbst, sowie all seine Familienangehörigen, alle Kinder und Kindeskinder, in den dort ausliegenden Listen einzutragen. Die auf diese Weise gemachten Erhebungen ließen sich nämlich mit den Ahnentafeln der einzelnen Stämme und Geschlechter Israels vergleichen, die im »Haus der Zwölf Stämme«, dem großen Archiv in der Heiligen Stadt Jerusalem, hinterlegt waren, so dass sich niemand dieser Zählung entziehen konnte.
In jenen von dem Römern zur Zählung ausgelegten Listen mussten schließlich aber auch wiederum Angaben über den gegenwärtigen Wohnort gemacht werden. So ließ sich umgekehrt die Anzahl der steuerpflichtigen Bevölkerung jedes Zoll-Bezirks ermitteln und auf diese Weise konnten die Angaben der Zoll-Pächter überprüft werden.
Zugleich bestand wenig Gefahr, dass die römischen Ermittlungsbeamten selbst auch noch von Zoll-Pächtern bestochen werden konnten, da sie schließlich ihre Erhebungen nicht in den jeweiligen Zoll-Bezirken vornahmen, sondern in den Herkunftsorten der einzelnen Familien, Häuser und Geschlechter.
Diese höchst aufwendige, für Rom aber durchaus profitable Form der Volkszählung verlangte es allerdings den Familien-Oberhäuptern in jeder Provinz ab, ihre jeweiligen Ursprungs-Orte aufsuchen zu müssen. Darum konnte diese Zählung freilich auch nicht vollumfänglich auf einem Schlag durchgeführt werden, da dies regelrechte Völkerwanderungen ausgelöst hätte und das öffentliche Leben zum Erlahmen gebracht hätte. Schließlich hätte dies auch eine ungleich höhere Entsendung von unabhängigen römischen Verwaltungsbeamten gefordert.
Und insbesondere in Israel hätte eine allumfassende Volkszählung ganz gewiss einen allgemeinen Aufstand provoziert, da man in solch einer gottlosen Schätzung den Auftakt zu einer noch drastischeren Ausbeutung durch die römische Besatzungsmacht gesehen hätte – wie es schließlich einige Jahre später, nach dem Tod von Herodes dem Großen, tatsächlich auch noch mehrmals in Galiläa unter einem radikalen Schriftgelehrten namens Judas aus Gamala in Gaulanitis im Verbund mit einem pharisäischen Eiferer namens Sadduk zu einer Rebellion kam, welche dazu führte, dass man Herodes Archelaus, einen Sohn von Herodes dem Großen, seine Regentschaft über Judäa entzog, weil man ihn für unfähig hielt, Aufstände schon im Keim zu ersticken, und seinen Herrschaftsbereich an Cyrenius – auch Quirinius genannt – übertrug, welcher der Präfekt von Syrien war, der sodann allen Widerstand gegen die Volkszählung gewaltsam niederschlug und die allgemeine Erhebung aller Steuerpflichtigen in Palästina erfolgreich zum Abschluss brachte.
So zog sich diese Volkszählung vom Jahr der Geburt Jesu Christi bis zu dessen vierzehnten Lebensjahr hin, wo der Volks-Aufruhr in Galiläa unter dem jüdischen Rebellen Judas und dem Pharisäer Zadok durch den Statthalter Publius Sulpicius Quirinius niedergeschlagen wurde, welcher zu dieser Zeit in der Provinz Syrien nördlich von Israel, oberhalb von Damaskus, sowie ab diesem Zeitpunkt auch über Judäa herrschte.
Diese Volkszählung in Israel wurde nämlich auch zusätzlich noch dadurch erschwert, dass Herodes der Große vor seinem Ableben noch das große Archiv der Geschlechtsregister aller Israeliten, das sich in der Heiligen Stadt Jerusalem befand, niederbrennen ließ, um dadurch jeden Beleg zu zerstören, dass weder er, noch all seine Nachkommen, die seine Dynastie fortführen sollten, … – dass sie alle keine wahren Juden, sondern heidnischer Abkunft, nämlich Idumäer waren.
Die Edomiter waren somit also Nachkommen des verhassten Esau, den Gott verstoßen hatte, weil er den göttlichen Segen gering geschätzt und verachtet hatte, so dass die göttliche Gunst von ihm genommen und auf seinen Zwillingsbruder Jakob übertragen wurde, der sich nach der göttlichen Huld verzehrte und darum zum Stammvater des von Gott erwählten Volkes Israel werden durfte.
Mit dieser von Herodes dem Großen veranlassten Zerstörung des »Hauses der Zwölf Stämme Israels« in Jerusalem wurde aber auch Rom die Grundlage für seine bis dahin dort nachprüfbare Volkszählung entzogen, so dass diese Erhebung der steuerpflichtigen Juden nochmals gänzlich neu unter dem Prokurator Quirinius aufgezogen werden und wiederholt werden musste und es dadurch in Israel gleichsam zu einer zweifachen, doppelten Volkszählung kam.
(B)
Und den Auftakt dieser langwierigen, mehrmaligen Erhebung bildete der damalige Aufruf an alle Daviden, sich in der Geburtsstadt des einstigen großen Königs David eintragen zu lassen. Herodes der Große nämlich hatte dazu geraten, die Volkszählung mit all jenen zu beginnen, die aus dem Haus und Geschlecht des David waren, da alles Volk erwartete, dass aus diesem königlichen Geblüt einstmals der Messias wie ein Spross hervorgehen sollte, unter dem das Volk Gottes wieder aufsprossen sollte – nämlich der verheißene »Sohn Davids«, welcher das Volk Israel in die Freiheit führen sollte.
Entsprechend war freilich zu befürchten, dass sich insbesondere aus den Gegenden, in welchem vorrangig davidische Nachkommen angesiedelt waren, einmal irgendwelche Aufrührer erheben könnten, die für sich beanspruchten, der verheißene gott-gesalbte Erlöser-König für Israel zu sein, was sowohl die Herrschaft von Herodes dem Großen wie auch die Oberhoheit Roms in dieser Region hätte bedrohen können. So war es freilich im Interesse der fremdländischen Herrscher über Israel, insbesondere diese Regionen im Auge zu haben.
Aus diesem Grunde begann man damals die Volkszählung mit der Erhebung aller Daviden in der Geburtsstadt ihres Stammvaters David, in Bethlehem in Judäa – einer allerersten Schätzung, welcher dann schließlich alle anderen Häuser und Geschlechter der zwölf Stämme Israels nach und nach folgen sollten. Denn auf diese Weise ermittelte man nicht nur die erste Gruppe von Steuerzahlern, sondern zugleich auch das ganze Geschlecht Davids und die Ballungszentren seiner Niederlassung, wo sich unter Umständen einmal Unruheherde entzünden konnten, die zu einer Destablisierung der gegebenen Machtverhältnisse hätten führen können.
(C)
Als nun die Hochzeit mit Maria im Haus des Zacharias vollzogen worden war, überlegte Joseph, wie er jetzt denn die ihm frisch angetraute keusche Jungfrau in Bethlehem eintragen sollte. Denn ihm als dem Oberhaupt seines Hauses oblag es schließlich, alle Mitglieder seiner Familie aufzulisten. Und die Trauzeugen, welche bei ihnen waren, hatten in Erfahrung gebracht, dass sich alle Daviden in verschiedene Listen einschreiben mussten – je nach ihrem jeweiligen Wohnort und dem Zoll-Bezirk, welchem sie angehörten. Das bedeutete für Joseph, wie er meinte, dass er sich und alle Mitglieder seines Hauses, all seine Söhne mit ihren Familien, die allesamt in Nazareth wohnten, freilich auch dort einzutragen hatte.
Nun verhielt es sich aber so, dass fast alle Bürger von Nazareth Daviden waren, weswegen sie ihrer Siedlung schließlich auch den Namen »Nazareth« gegeben hatten, was übersetzt »Spross-Dorf« heißt, weil sie darauf hofften, der »Nezer«, der »Spross Davids«, also der Messias, würde einstmals aus ihrer Mitte als ein Sohn und Nachkomme des David und als ein Abkömmling ihres königlichen Geschlechtes erstehen.
Wenn nun Joseph sich und sein Haus in diese Liste von Nazareth aufnehmen lassen würde, musste er damit rechnen, dass alle Nazarener, die sich nach ihm in diese Liste einschreiben würden, seine Eintragung lesen könnten.
So: Was sollte er bezüglich Maria angeben? Alle in Nazareth wussten, dass sie ihm einstmals als eine Geweihte des HERRN wie eine Tochter aus der Hand des Tempels anbefohlen worden war, dass er wie ein Vater über ihre Unschuld und Keuschheit wachen und sie jungfräulich behüten sollte, wenngleich sie ihm nach dem Gesetz gleichsam anvertraut worden war, wie eine Verlobte. Doch Maria war inzwischen weder eine angenommene Tochter mehr, noch eine keusche Jungfrau, die ihm anverlobt worden war, sondern mittlerweile offiziell seine Ehefrau, die er damit heimzuholen berechtigt war, um mit ihr die Ehe zu vollziehen und Kinder zu zeugen.
Doch konnte er das so eintragen?! Jedes Familienoberhaupt aus Nazareth, das sich nach ihm in derselben Liste einschreiben würde, könnte dies dann lesen! Und das würde freilich für erhebliches Gemunkel in ganz Nazareth führen, was da wohl vorgefallen sein müsse, dass Joseph als alter Witwer mit selbst schon ausgewachsenen Söhnen und Töchtern dies junge Mädchen, das ihm im Alter von zarten dreizehn Jahren anvertraut worden war, trotz ihres Keuschheitsgelübdes nach drei Jahren doch noch geehelicht hatte.
Natürlich würde man seine Söhne und Töchter auszufragen suchen und sie in große Verlegenheit bringen; und schließlich würde am Ende doch noch sein ganzes Haus in Verruf kommen! Denn es lag freilich auf der Hand, dass jene Ehe schließlich aufgrund von Not doch noch geschlossen werden musste, da jenes unbefleckte Mädchen geschwängert worden war!
Und Joseph war so erleichtert gewesen, als es ihm – trotz des damaligen unvermittelten Eintreffens des Schriftgelehrten Hannas – doch noch gelungen war, mit Maria bei Nacht und Nebel sein Heimatdorf verlassen zu können! Und nun konnte doch noch alles auffliegen!
„Nun“, sann Joseph bei sich selbst, „ich werde einfach unter Marias Namen vermerken: `auf Ersuchen des Hohen Rates doch noch jungfräulich geehelicht.´“ Das würde zwar ganz gewiss noch mehr unbeantwortbare Fragen aufwerfen und zu den extravagantesten Mutmaßungen führen, tüchtig für Getratsche in ganz Nazareth sorgen: aber dann wäre wenigstens schon klar bekundet, dass diese Ehe vom Hohen Rat Israels nicht nur abgesegnet, sondern überdies sogar gewünscht worden war.
Wenn folglich die Hüter der göttlichen Ordnung solches forderten, obwohl Maria noch jungfräulich war und ihre Unberührtheit nicht verloren hatte, war doch hinlänglich klar, dass es bei dieser Eheschließung rechtens und redlich zuging, auch wenn sich ganz gewiss keiner erklären konnte, warum der Sanhedrin nach drei Jahren gefordert hatte, dass Joseph die seiner Obhut anvertraute keusche Jungfrau nun doch noch gänzlich ehelichen sollte.
(D)
In jedem Falle aber wollte Joseph so spät wie möglich durchs Gebirge Judas hinüber nach Bethlehem ziehen, um seine Eintragung vorzunehmen – in der Hoffnung, dass sich dann alle Daviden aus Nazareth bereits vor ihm eingeschrieben hatten. Und er beschwichtigte sich selbst mit dem Gedanken: „Der HERR wird es schon so fügen, dass es weder meiner Familie, noch Seinem eingeborenen Sohn zum Nachteil gereichen wird!“
Also bat Joseph seine engsten Freunde und Vertrauten aus Nazareth, die er als Trauzeugen zu seiner Vermählung ins Haus des Zacharias geladen hatte, nämlich Amas, Isaak, Judas und Jakob, sie sollten vor ihm von Bethanien hinüber nach Bethlehem ziehen und erkunden, ob sich bereits alle Nazarener in die Steuerlisten eingeschrieben hatten; auf dem Rückweg nach Nazareth über Bethanien sollten sie ihm schließlich Bescheid geben, ob „die Luft rein war.“
Und nachdem Josephs Freunde aus Nazareth nun schon einmal die dreitägige Reise von Nazareth aus dem fernen Galiläa zu seiner Hochzeit in Bethanien im Gebirge Judas auf sich genommen hatten, wollten sie freilich auch noch einmal den Tempel von Jerusalem aufsuchen. Dort sollten sie schließlich den Söhnen des Joseph, die dort Baugerüste für die Erweiterungsarbeiten am äußeren Vorhof des Tempels erstellten, auch gleich mit Bescheid geben, dass Joseph die Eintragung ihres Hauses in Bethlehem vornehmen würde.
Joseph selbst wollte dann zum letztmöglichen Termin hinüber nach Bethlehem ziehen, um sich und sein Haus einzuschreiben. Maria aber sollte bei ihrer Tante Elisabeth in Bethanien bleiben. Zacharias, Marias Onkel, hatte nämlich angeboten, dass sie in seinem Hause wohnen könnten, bis ihr neues Heim in Bethlehem errichtet worden wäre.
Außerdem stand in den nächsten Wochen Marias Niederkunft an, so dass eine Reise für sie zu beschwerlich und riskant geworden wäre. Desweiteren hatte Marias Tante Elisabeth mit ihrem kleinen Johanan auf dem Arm bekundet: „Maria hat mir bei der Geburt meines Sohnes beigestanden. Da ist es doch nur recht und billig, dass ich ihr nun bei der Geburt ihres Sohnes ebenso beistehe!“ Und dies Angebot nahm Joseph freilich höchst dankbar an. Denn so konnte natürlich wenigstens dies verhindert werden, dass er am Ende doch noch von irgendwelchen Nazarenern in Bethlehem mit der hoch-schwangeren Maria an seiner Seite erspäht werden konnte.
Schließlich kamen Amas, Isaak, Judas und Jakob aus Bethlehem zurück und berichteten, dass sich offensichtlich die meisten Nazarener, soweit sie es bei ihrer Einschreibung erspähen konnten, bereits eingetragen hatten.
Allerdings war Bethlehem noch immer hoffnungslos überfüllt. Sie waren selbst überrascht, wie viele Nachkommen des David es doch gab – wobei dies eigentlich kein Wunder war. Immerhin hatte David mehr als zwanzig Söhne von seinen Frauen und Nebenfrauen, wenngleich seine eigentliche ganze Zuneigung dem Jonathan, einem Sohn des Königs Saul, galt, mit welchem er einen Liebes-Bund der Treue geschlossen hatte, wie es eigentlich nur zwischen Mann und Frau üblich war, da David den Jonathan über alles liebte, mehr als sein eigenes Herz und seine eigene Seele.
Und schließlich, nicht zu vergessen: Davids Sohn Salomo, welchem ihn später jene Batseba geschenkt hatte, um derentwillen David nicht allein Ehebruch begangen, sondern sogar gemordet hatte: sein Thronfolger, der selbst wiederum einen gewaltigen Harem von siebenhundert fürstlichen Haupt-Frauen aus aller Herren Länder und dreihundert Nebenfrauen hatte, unter denen er Unzählige mit Kindern beglückt hatte!
(E)
Bethlehem war also hoffnungslos mit Nachkommen des David aus dem ganzen Heiligen Land überfüllt. Darum wollte Joseph freilich allein nach Bethlehem hinüber ziehen, um die verlangte Eintragung vorzunehmen und bei dieser Gelegenheit auch gleich mit den von seinem Erstgeborenen Jakob beauftragten Arbeitern alles bezüglich der Errichtung seines neuen Heims, einer bescheidenen Lehmhütte für ihn, Maria und ihren Sohn, auf dem erworbenen Baugrund am Rand der Stadt Davids besprechen.
In der Nacht vor seiner geplanten Abreise jedoch hatte Joseph erneut einen Traum, in welcher ihm nochmals jener Engel des HERRN erschien, der ihm enthüllt hatte, dass Maria ihr Kind aus den höchsten Himmeln empfangen hatte.
Und dieser gelockte Jüngling in blendendem Lichtglanz erklärte ihm: „Joseph, du Sohn Davids! Scheue dich nicht, Maria, das dir nunmehr angetraute Weib, mit dir nach Bethlehem zu nehmen! Denn das Kind muss in der Stadt Davids geboren werden, wie es vom »Sohn Davids« verheißen worden ist, dem gesalbten Erlöser wahrhaft aller Welt, der Davids königlichem Geblüt entstammen soll, wie es bei den Propheten geschrieben steht: »Und du, Bethlehem-Ephrata, im Lande Judas, bist keineswegs die Geringste unter den Städten Judäas! Denn aus dir wird jener höchste Friedefürst hervor-gehen, der Mein Volk weiden wird und herrschen bis an die Enden der Erde; und Seine Ursprünge sind von Urzeiten, von den Tagen der Ewigkeit her.«
Und siehe: Darum auch wird die Stadt Davids »Bethlehem« genannt – »Haus des Brotes«; denn dies ist der Ort, in welchem die Labsal für aller Welt darbenden Seelen aus den Himmeln in diese eure Welt hinein kommen soll, wie es von Ewigkeit her ersehen und bestimmt worden ist: nämlich das Manna unversiegbarer Liebe aus dem tiefsten Herzen der göttlichen Allmacht, das den Hunger und das Verlangen aller sich nach Erlösung und Heil verzehrenden Herzen stillen wird und das aus aller Ewigkeit in alle Ewigkeit hinein quillt zur Sättigung für wahrhaft alle!
Darum ist es dir geboten, jene Maria, deine Frau, mit dir hinüber zu führen nach Bethlehem! Und sorge dich nicht um ihretwillen und des Kindes willen! Denn der HERR hat den rechten Ort für die Niederkunft Seines Sohnes längst ersehen – zur Offenbarung Seines unvergleichlichen Wesens der Liebe und Barmherzigkeit und zur Verherrlichung Seines unaussprechlichen Namens!“
(F)
Also sattelte Joseph am nächsten Morgen seine Eselin, auf welcher sie eine überdeckte Korb-Wabe über ihrem Gebäck zu beiden Seiten des Maultiers angebracht hatten, dass sie Maria Schatten spenden sollte, um ihr die beschwerliche Reise zu erleichtern, sowie, um sie vor neugierigen Blicken zu verbergen. Und Zacharias entließ die beiden im Segen des HERRN. So trat Joseph mit Maria, seiner ihm frisch anvermählten, schwangeren Frau, seine Reise von Bethanien durchs Gebirge Judas hinüber nach Bethlehem an.
Ihr Weg aber führte östlich an der Heiligen Stadt vorbei, wo man neben dem Tempel insbesondere die nördlich über dem Heiligtum auf einer mächtigen Fels-Formation empor-ragende Burg Antonia sehen konnte, welche Herodes der Große für sich zu einer imposanten Festung hatte ausbauen lassen und die er nach seinem römischen Gönner Marcus Antonius benannt hatte, welcher nach Gaius Julius Cäsar der Gemahl der großen ägyptischen Königin Cleopatra geworden war und mit ihr in den Freitod gegangen war, nachdem er vom Augustus Octavian in der Seeschlacht bei Actium geschlagen worden war.
Doch siehe, als Joseph mit Maria an dieser gewaltigen, zum Himmel ragenden Palast-Anlage des Herodes vorbei kam und der Zimmermann sich nach seiner Anvermählten umsah, da wurde er gewahr, dass ihr Gesicht wie unter Schmerzen und größter Pein verzogen war; und er dachte bei sich: „Die beschwerliche Reise macht ihr doch schon sehr zu schaffen! Ihre Niederkunft scheint nicht mehr fern zu sein! Denn das Kind in ihrem Leibe macht sich schon bemerkbar, dass es wohl bald den Mutterschoß durchbrechen will! O HERR! Gib, dass wir Bethlehem noch rechtzeitig erreichen und eine gute Bleibe finden!“
Schließlich hatten sie Jerusalem hinter sich gelassen und kamen nahe bei Beth-Hakerem auf einer Anhöhe zu einem Brunnen unter einem Feigenbaum, wo sie rasteten und dem Maultier Wasser gaben. Hier aber wirkte Maria über alle Maßen beglückt, dass sie regelrecht, wie von unbändiger Freude übermannt, zu strahlen begann. Da fragte sie Joseph: „Maria, was ist mit dir, dass ich dich das eine Mal über die Maßen bedrückt und niedergeschlagen, dann aber vor Glückseligkeit schier zerbersten sehe?“
Maria aber sprach: „Weil ich zweimal dies unser Volk gesehen habe: einmal, wie es weint und wehklagt unter unsäglichen Schmerzen und unbeschreiblichen Leid um dieses Kindes willen – wie um einen verlorenen gegangenen Sohn; dann aber, wie es, über all dem geläutert, wie durch den Glutofen des Leids, dies sein erstes, erhabenstes Kind noch finden soll und sich all seine Tränen unter Heulen und Wehklagen noch in Freudentränen wandeln! O Joseph! Was wird um dieses Kindes willen wohl noch alles geschehen?!“
(G)
Schließlich erreichten sie den Sattel von Mar Elias, wo von je her die Hauptstraße über den Kamm des Gebirges Juda hinunter in die Gegend von Tantur nach Bethlehem Ephrata abbog – dort, wo sich das Grab von Jakobs geliebter Rahel mit seinem Gedenkstein befand. Und ihnen tat sich der Blick nach Bethlehem auf, das sich anmutig in das Tal zwischen den Hügeln schmiegte: die Geburtsstadt ihres Stammvaters David, der hier als ein Hirtenjunge im Kreis seiner Brüder aufgewachsen war, ehe er vom Propheten Samuel zum König nach dem Herzen Gottes mit Öl aus einem Horn gesalbt worden war und mit der heiligen Ruach des HERRN erfüllt worden war.
Aber schon von hier oben, von Mar Elias aus, zeigte sich ihnen, dass Bethlehem tatsächlich hoffnungslos überfüllt war. Vor der Karawanserei am Stadtrand befanden sich viele Maultiere und überall in den Straßen und Gassen wie auf den umliegenden Anhöhen von Ephrata kampierten unzählige Menschen in provisorisch errichteten Lagern – ähnlich wie es zu den hohen Festen in Jerusalem die Pilger auf dem Ölberg taten. Trotzdem wollte Joseph sein Glück versuchen. Schließlich hatte der HERR ihm doch im Traum verheißen, einen würdigen Ort für die Niederkunft Seines eingeborenen Sohnes schon längst ausersehen zu haben!
So ließ Joseph seine Maria auf dem Esel im Kreis vertrauenswürdig erscheinender betagter Männer zurück, mit welchen er die Lage besprochen hatte, und begab sich allein in das Gemenge der Stadt, um die Herberge aufzusuchen, in welcher sein Sohn Jakobus ihm und Maria eine Unterkunft reserviert hatte.
„Tja, DAS Zimmer ist längst vergeben!“, schüttelte der Hausherr den Kopf: „Wie hätte ich dies bei diesem Ansturm frei halten können?! – zumal ihr nicht zu der Zeit eingetroffen seid, für die ihr euch angekündigt habt! Ich wüsste auch nicht, wo überhaupt noch ein Platz in Bethlehem zu finden wäre! Du siehst doch selbst, was in der ganzen Stadt los ist wegen dieser uns allen aufgezwungenen Volkszählung!“
Doch Joseph wollte noch nicht aufgeben und suchte in größter Eile ganz Bethlehem nach einer Unterkunft ab – jedoch vergebens! Obwohl eigentlich nichts anderes zu erwarten war, war Joseph darüber doch ziemlich zerknirscht. Hatte der HERR ihm nicht zugesagt, Er würde für Maria eine Unterkunft bereit halten, wo sie gebären könnte? Waren seine Traum-Gesichte am Ende doch nur Trugbilder, die aus seinem eigenen Inneren in ihm aufgestiegen waren und ihn narrten? Hatte sein Sohn Jakobus am Ende doch recht damit, der ihn gewarnt hatte, sich nicht auf die trügerischen Einbildungen seines Herzens einzulassen? Aber andererseits: Hatte das Prüfungswasser nicht bereits eindeutig, sogar vor den Augen des Hohen Rates, bestätigt, dass sie unter der Gunst des Höchsten standen?!
Trotzdem verstand es der alte Zimmermann einfach nicht. Und er musste seiner jungen Frau Maria resigniert mitteilen: „Was hat mich da nur geritten, dass ich meinte, dich hierher führen zu sollen?! Es ist weit und breit keine Unterkunft in Sicht! Ich hätte dich niemals hierher mitbringen dürfen! Aber ich war mir so sicher und gewiss, dass der HERR mir dies aufgetragen hatte!“
Und Joseph verzweifelte: „Ich begreife das einfach nicht! Der Höchste selbst tritt in dieser Seiner Geburt in Seine eigene Welt! Aber weit und breit ist kein Raum für Ihn und kein Platz für Seine Niederkunft! Nirgends scheint sich ein Ort zu finden, der Ihn aufnehmen will!
Und ich war mir so sicher, dass der HERR mir zugesichert hätte, Er selbst hätte sich eine würdige Stätte schon längst bereitet! Und warum sollte der HERR überhaupt für die Geburt Seines Sohnes ausgerechnet diesen Ort und diese Zeit ersehen haben, wo Bethlehem aufgrund einer Volkszählung total überfüllt ist!“
(H)
Maria aber legte beschwichtigend ihre Hand auf ihres Gatten Unterarm, mit welchem er das Maultier, auf dem sie saß, hielt, und sprach zu ihm: „Gräme dich nicht, lieber Joseph! Vielleicht WILL ja der Höchste sogar ohne ein rechtes Dach über dem Kopf gleich einem Obdachlosen-Kind geboren werden, um damit anzuzeigen, dass Er auch unter den Ärmsten der Armen ist und gerade zu ihnen kommen will, um sie alle mit sich selbst reich zu machen, und dass Er bei den Heimatlosen eingehen will, um ihnen in Seiner Liebe zu ihnen, die sie alle nicht vergessen hat, sondern aufsuchen will, eine Heimat zu geben!
„Und trotzdem! Trotzdem!“, grübelte Joseph: „Selbst die Spatzenküken haben ihre Nester und die Fuchsjungen ihren Bau! Und da soll sich kein Lager finden, wo das Kind Gottes niedergelegt und gebettet werden kann?! Wo selbst die Tiere eine Bergung finden im Dickicht oder in Gruben und Höhlen?!“
Doch bei diesen Worten kam dem alten Joseph der zündende Einfall: Gab es nicht unweit von Bethlehem eine Grotte, in welcher er mit seinem jüngeren Halb-Bruder Kleopas und seinen Freunden als Kind so gern gespielt hatte?
Sie hatten dort oft nachgestellt, wie einst König Saul den David verfolgt hatte und ihn umbringen wollte und wie sich David in tiefster Nacht ins Lager des Königs Saul in einer Höhle schlich, wo sie alle schliefen, und wie David seinem Verfolger seine Lanze entwendete, um ihm am nächsten Morgen zu stellen und ihm von einer Anhöhe jenseits einer Schlucht zuzurufen: „Saul! Warum verfolgst du mich?! Siehe hier: Dein Speer, den du schon mehrfach auf mich geworfen hast, um mich damit zu durchbohren! Ich habe ihn dir heute nacht entwendet, während du schliefst, damit du erkennst, dass ich nichts Böses gegen dich im Sinn habe!“
Und wer weiß? Vielleicht hatte sogar einstmals David selbst mit seinen Brüdern und Freunden in dieser Grotte herumgetollt oder aber vielleicht hatte David die Schafe, die er hütete, bei Sturm in diesen Unterschlupf geführt. Denn die Höhle war sehr geräumig, so dass sie vielen Tieren Raum bot; und überdies hatte sie in der Mitte eine zum Himmel geöffnete Felsspalte, so dass man auch gut ein wärmendes Feuer in der Grotte machen konnte, da der Rauchqualm hier ausgesprochen gut abzog.
An diese Grotte erinnerte Joseph sich, als er zu Maria sprach, dass doch selbst die Fuchs-Welpen ihre Höhle haben. War diese geräumige Felsengrotte nicht überaus geeignet für Marias Niederkunft? Denn sie war recht abgelegen und allein wenigen Einheimischen, Ortsansässigen bekannt, so dass sie wohl kaum von fernen Nachkommen des David, die aus den entlegensten Regionen des Heiligen Landes nach Bethlehem angereist waren, in Beschlag genommen war!
Einzig denkbar erschien es dem Joseph, dass jene Grotte vielleicht von Hirten als Unterschlupf für ihre Herde genutzt wurde. Aber das wäre nicht schlimm gewesen. Im Gegenteil! Denn die Tiere hätten mit ihrer Körperwärme zugleich die Höhle gut temperiert, da es in jenen Nächten mitunter schon sehr kalt war und bisweilen sogar etwas Schnee fiel; denn es war inmitten des Winters. Überdies ließ sich schließlich aufgrund des natürlichen Abzugs durch den Felsspalt zum Himmel hin in jener Grotte auch gut ein Feuer machen!
(I)
So führte Joseph seine frisch Anvermählte zu jener entlegenen Felsenhöhle. Und er fand die Grotte verlassen vor, obwohl sie durch ein Gatter verschlossen war. Allein ein Ochse befand sich darin, mit Heu und Stroh in einer Futterkrippe versorgt. Und zur Überraschung des Joseph befand sich sogar in der Grotte unter der Felsöffnung zum sternenklaren Himmel hin – denn die Nacht war soeben unvermittelt hereingebrochen – eine bereits zugerichtete Feuerstelle, mit ausreichend gesammelten Reisig und Holz, um das Feuer für längere Zeit in Gang halten zu können.
Joseph zögerte nicht, das Feuer zu entzünden. Sollten dies alles Hirten für die Nacht gerichtet haben, so würden sie gewiss Verständnis dafür haben, dass er in seiner Notlage für sein Weib, das kurz vor seiner Niederkunft stand, in dieser kalten Winternacht das Feuer entzündet hatte. Und zur Not hätte er sie schließlich dafür mit einer Zahlung entschädigen können, dass er ihre Brandstelle genutzt hatte.
Sodann wandte Joseph sich an Maria, welche er vom Esel gehoben und auf einer auf dem Stroh ausgebreiteten Decke niedergelegt hatte, bevor er das Feuer entfacht hatte; denn kaum hatte er sie auf dem Maultier in die Grotte geführt, da hatte sie ihn gebeten: „Nimm mich herab vom Esel! Denn was in mir ist, drückt mich und will bald hervorkommen!.“
Und sobald auch die Feuerstelle loderte, sprach Joseph zu ihr: „Ich will gehen und mich nach einer Hebamme umsehen.“ Doch Maria wollte ihn halten: „Bleib, Joseph! Ich fürchte, dafür ist es schon zu spät! Ich meine, das Kind in meinem Leibe hat sich bereits gedreht und die Wehen setzen ein!“
Joseph trieb es Schweißperlen auf die Stirn. Sollte er etwa Maria Geburtshilfe leisten?! Das konnte er einfach nicht! So sprang er auf, um die Flucht zu ergreifen: „Halte aus, meine Liebe! Ich bin gleich wieder zurück und bringe Hilfe mit!“ Und schon war er aus der Grotte gestürmt, ohne Marias Reaktion abzuwarten. „Gott im Himmel!“ hechelte er, als er Richtung Bethlehem stürzte: „Erbarme dich! ERBARME DICH!“
(J)
Er sah schon die ersten Feuerstellen, die von den Menschen in ihren provisorischen Lagern um die Stadt Davids entzündet worden waren, als ihm mit einem Mal schwindelig wurde: Alles schien sich zu drehen und in weite Ferne zu entweichen! Auch DAS noch! War dies alles über seine Kräfte gegangen? Würde er jetzt sterben?! Aber wer sollte dann für Maria Hilfe holen? Ihm wurde ganz sonderbar und er musste sich, um Luft ringend, an einen knorrigen alten Feigenbaum stützen.
Doch was geschah da? Mit einem Mal wurde es ganz still und alle Geräusche verebbten und die Menschen vor Bethlehem Ephrata hielten alle mitten in der Bewegung inne! Auch die Maultiere vor der Karawanserei, die sich soeben am Verzehr von Heu und Stroh gütlich taten, hielten mitten im Kauen inne. Und selbst das Wellen schlagende Wasser, welche Esel aus einer Tränke schlürften, erstarrte und die Mäuler der Tiere verharrten über dem Becken, ohne weiter zu trinken.
Da sah Joseph zu seiner Überraschung mit einem Mal nicht fern von sich einen Mann mit einer Kutte an ihm vorbei gehen. Jener Fremde war der einzige, der sich bewegte, während alles andere völlig regungslos mitten im emsigen Getriebe erstarrt war. Joseph konnte den unbekannten Pilger nicht erkennen, denn ihm hing seine Kapuze tief ins Gesicht. Doch war klar zu erkennen, dass jener Reisende ihm einen Blick über die Schulter zurück zuwarf und ihn aufforderte, ihm zu folgen. Denn er streckte seine Rechte aus und wies mit dem Zeigefinger in eine Richtung mitten in die Stadt Davids hinein, wohin jener Pilger dem Joseph durch die unzähligen Menschen, die dort überall in den Straßen und Gassen kampierten und mitten in ihren Bewegungen eingefroren waren, voraus ging.
Also folgte Joseph; denn er war sich gewiss: Dies musste ein Engel Gottes sein, der ihn zu einer Hebamme bringen würde. Und dafür hatte der Allmächtige offensichtlich sogar die Zeit selbst angehalten, damit Joseph noch rechtzeitig Beistand für seine Anvermählte finden konnte, die kurz vor der Geburt ihres Sohnes stand.
Auf ihren Weg durch die vielen versteinerten Menschen in den Straßen und Gassen musste Joseph feststellen, dass sich doch noch einige Nazarener in Bethlehem befanden, die er offensichtlich alle gänzlich übersehen hatte, als er verzweifelt nach einer Bleibe für Maria gesucht hatte. Und mit einem Mal bekam er eine Ahnung, dass es doch eine rechte göttliche Fügung sein musste, dass Maria nicht mitten in der Stadt Davids, sondern außerhalb von Bethlehem in jener entlegenen Höhle ihr himmlisches Kind zu Welt bringen sollte.
Schließlich näherten sich die beiden tatsächlich zwei Frauen, die in einer offensichtlich recht angeregten Unterhaltung regungslos innegehalten hatten. Die eine war mitten im Erzählen, während die andere sich vor Lachen den Bauch hielt. Mit einem Mal schraken die beiden Weibsbilder auf, als wäre direkt neben ihnen ein Blitz eingeschlagen. Und auch Joseph erschrak nicht minder, denn unvermittelt drangen von allen Seiten die Geräusche der äußerst belebten, von Menschen überfüllten Stadt an sein Ohr; denn auf einen Schlag war alles wieder in den gewohnten Lauf gekommen. Der fremde verhüllte Mann aber, der Joseph zu den beiden Frauen geführt hatte, war unversehens verschwunden.
(K)
„Wo kommst du denn her, Alterchen?! Wir haben dich garnicht kommen sehen!“, wandte sich die eine der beiden Waschweiber an Joseph. Es war die Vorlaute, die soeben der anderen irgend ein höchst spaßiges Erlebnis mitgeteilt haben musste. „Ganz schön behende bist du für deine Tage, Alterchen!“
Joseph missfiel die schamlose, geradezu verächtlich distanzlose, flapsige Art und Weise, wie diese offensichtlich recht einfältige Tratsche ihm in seinem ehrwürdigen Alter begegnete, wobei dieses beleibte Frauenzimmer doch selbst auch schon an Jahren tüchtig vorgerückt war.
Und überhaupt! Er war zwar bereits beileibe kein Jungspund mehr, der noch nass hinter den Ohren war, und hatte selbst schon ausgewachsene Söhne und Töchter, älter sogar, als Maria, aber er war doch deshalb keineswegs schon ein alter, seniler, gebrechlicher Greis, mit dem man seinen Schabernack treiben konnte! – eigentlich doch im besten Alter, das eine gewisse Wertschätzung abverlangen sollte und Hochachtung verdiente! Dieses dreiste alte Waschweib aber …?! Doch was sollte er machen? Er brauchte dringend Hilfe! Und zu diesem Weibsbild hatte jener Fremde ihn schließlich geführt! Wie einfältig sie auch sein mochte: Sie musste dann doch offensichtlich wenigstens von ihrem Handwerk etwas verstehen.
„Seid Ihr eine Hebamme?!“ „Das will ich meinen, Väterchen!“, lachte die Alte: „Die beste weit und breit! Ich habe schon die Kinder von Kindern in die Welt gebracht, die ich selbst ins Licht des Lebens gezogen habe!“ „Dann seid ihr die Rechte für mich! Meine Anvermählte liegt unmittelbar vor ihrer Niederkunft!“
„Dann auf, Alterchen! Lass uns nicht säumen!“, erklärte die Hebamme und gab dem Joseph einen beherzten Ruck, ihr den Weg zu weisen. Und tatsächlich legte jene Geburtshelferin sich so ins Zeug, rechtzeitig mit Joseph bei Maria anzukommen, dass schon Joseph selbst Mühe hatte, mit ihr mitzuhalten. Wie ungehobelt und einfältig dieses Weibsbild ihm auf den ersten Blick auch vorgekommen sein mochte: es schien wirklich alles für eine glückliche Geburt dranzugeben, was ihm diese unverschämt dreiste Person doch wieder etwas liebenswürdiger machte.
Schließlich waren sie in der Grotte angekommen. „Deine Frau soll das sein, Alterchen?!“, spottete die füllige Betagte: „Das scheint mir wohl eher deine Tochter zu sein, Gevatter! Oder ist sie am Ende beides, wie es auch bei dem alten Lot in der Höhle war?!“ Jetzt war diese freche, dreiste, impertinente Person dem honorigen Joseph wieder im höchsten Maße unsympathisch!
Die Hebamme hieß Joseph, Wasser zu holen und auf der Feuerstelle zu erwärmen, und beugte sich über Maria, die schon mit den Wehen zu kämpfen hatte: „Alles wird gut, Kindchen! Ich bin ja schon da! Salome ist mein Name und ich bin die beste Hebamme weit und breit“, sagte sie und tupfte Maria die Stirn. „Das muss eine Fügung Gottes gewesen sein, dass dein Mann oder Vater, oder was immer er sein mag, ausgerechnet mich in dieser überfüllten Stadt gefunden hat!“
Kaum hatte Joseph einen Bottich Wasser über die Feuerstelle gehängt, da scheuchte jene Salome ihn schon aus der Höhle: „Raus mit dir, Alterchen! Den Rest schaffe ich schon gar allein!“ Und Joseph war über alle Maßen erleichtert, dass er nicht weiter von Nöten war.
(L)
So harrte der ziemlich mitgenommene altehrwürdige Zimmermann aus Nazareth voll Unruhe und Bangen vor der Höhle aus, als würde sein eigenes Kind in jener Grotte geboren, und als wäre es sein Allererstes, obwohl er schon die Geburt von so vielen Söhnen und Töchtern miterlebt hatte.
Und mit einem Mal erspähte er einen hellen Lichtstrahl, der vom Himmel fiel, von einem hell aufleuchtenden Stern, welchen er noch nie am Himmel gesehen hatte. Und der Lichtkegel aus höchster Höhe fiel direkt durch die Felsenspalte in die Höhle, so dass diese im durchstrahlten Qualm des Feuers wie von einem überirdischen Lichtschein ausgeleuchtet wurde.
Doch kaum hatte der alte Zimmermann dieses wunderbare Naturschauspiel erspäht, da hörte er einen schrillen Entsetzensschrei von jener Hebamme aus der Grotte hallen. Am liebsten wäre Joseph in die Höhle gestürmt, um zu sehen, was passiert war. Und doch wagte er es nicht, und stützte sich, benommen vor Sorge, an die Felswand, vor der er ausharrte.
„Bei Gott, dem Allmächtigen!“ hörte Joseph jene alte Geburtshelferin kreischen und Klagerufe ausstoßen: „Unmöglich! So etwas ist mir noch nie passiert! Was nur habe ich verbrochen?! Wie konnte ausgerechnet mir so etwas widerfahren?!“ Da konnte Joseph nicht länger an sich halten. Die schlimmsten Befürchtungen trieben ihn hinein in die Höhle, die soeben, als der Schein vom Himmel wich, wieder in Dunkel getaucht wurde, allein noch vom flackernden Feuer glutrot erhellt.
Doch die alte stämmige Hebamme hielt ihn auf und versperrte ihm den Weg: „Raus mit der Sprache! Was geht hier vor?! Du kannst mir nichts vormachen! Ich habe wohl erkannt, dass dieses zarte Mädchen noch Jungfrau ist, die niemals von irgendeinem Mann berührt worden ist! So: Wie kann jenes junge Ding ein Kind austragen, auf eine Weise, welche die Natur nicht erlaubt?!
Oh, ich hätte es doch gleich ahnen sollen, dass hier dunkle Mächte im Spiel sind, als du unvermittelt vor uns gestanden hast, als hätten dich Blitze in Windeseile direkt vor unsere Füße geworfen! Bist du einer dieser Magier, die durch das ganze Land ziehen?! Hast du dieses Mägdlein da besprochen und mit irgendeinem Zauber belegt?! Und was ist das, was sie da ausgetragen hat! Ich würde meinen, es müsste die Zeugung gefallener Engel und die Brut von Dämonen sein, wenn es nicht ein so ausgesprochen wunderschönes, liebreizendes Kindlein wäre!“
Joseph wusste nicht, wie er sich herausreden konnte. Denn jene Hebamme hatte an Maria die Zeichen der Jungfernschaft zweifelsfrei erkannt. Also erklärte er: „Jenes Mädchen, das da geboren hat, ist Maria, die selbst durch ein Wunder Gottes von ihren Eltern trotz deren hohen Alters noch empfangen worden war und dem HERRN ausgesondert war von Mutterleibe an. Es ist jene Maria, der es vergönnt war, als eine Geweihte des HERRN in Seinem Heiligtum selbst aufwachsen zu dürfen und für den Höchsten zu tanzen zur Wonne und Freude des ganzen Volkes Israel, wie es noch niemals zuvor, noch je danach im Haus des HERRN zu sehen war.
Als sie in ihre Tage kam, wurde sie meiner Obhut anvertraut durch göttliches Los, dass ich über ihre Keuschheit wachen sollte. Und um ihres Kindes willen ist sie mir anvermählt worden auf Verlangen des Hohen Rates, nachdem sich durchs Prüfungswasser erweisen hatte, dass sie nicht durch Schande empfangen hat, sondern durch unerfindliche Gnadenerweise aus den höchsten Himmeln selbst.“
Da stutzte das alte vorlaute Weib und schien erstmals wirklich sprachlos: „Und das soll ich dir glauben?! Das soll wahr sein?!“ Da antwortete Joseph: „Du hast dies Wunder doch mit eigenen Augen gesehen!“
(M)
Die Alte schien überraschender Weise mit einem Mal doch gänzlich überzeugt zu sein, – und bereits unversehens wieder gefasst – und begierig, das erlebte Schauspiel schnellstmöglich überall zu verbreiten: „Na, da werden vielleicht alle Augen machen, und Ohren bekommen, wenn ich DAS überall künde, was ich in dieser Nacht hier habe erleben dürfen! Bei Gott im Himmel! Was für eine Nacht! Und ausgerechnet mir war es vergönnt, das miterleben zu dürfen!“
Schon war die Alte – offensichtlich nur noch von dem unbändigen Verlangen beseelt, diese unglaublichen Neuigkeiten zu verbreiten – verschwunden. Sie hatte nicht einmal nach einer Entlohnung für ihre Mühen gefragt! Also begab sich Joseph zu Maria in die Höhle. Sie hatte ein unbeschreiblich schönes Knäblein mit gelocktem Haar im Arm. Und die junge Mutter schickte sich an, dem Kindlein die Brust zu geben.
Jene Salome aber eilte zurück nach Bethlehem. Sie wollte als allererstes ihrer Freundin von den wundersamen Geschehnissen berichten und ergötzte sich bereits an der Vorstellung, wie ihre unglaubliche Kunde wohl aufgenommen würde.
Doch als sie sich in der sternenklaren Nacht, die seltsamer Weise, wie es ihr schien, mit einem Mal von einem gänzlich neuen ungewöhnlich stark aufleuchtendem Stern erhellt wurde, durch einen Olivenhain begab: siehe, da sah sie plötzlich in unweiter Ferne ihr zugewandt eine dunkle Gestalt in langer Kutte mit Kapuze über dem Gesicht regungslos mitten im Weg stehen.
Der Hebamme liefen eiskalte Schauer über den Rücken. Wer konnte das sein, der ihr da auflauerte? Sie wandte sich um, um zurück zur Grotte zu eilen. Doch siehe: da stand mitten im Weg wiederum derselbe Mann! Salome packte die Angst, und sie wollte vom Weg ab in den Wald flüchten. Doch, oh nein! Da stand wiederum jener Mann zwischen den Ölbäumen! Und als sie sich erneut abwendete, um in die andere Richtung in den Hain zu fliehen: siehe, da stand jener Schatten direkt vor ihr und Salome stellten sich die Nackenhaare auf.
Erkennen konnte sie den Fremden nicht, denn er hatte seine Kapuze tief übers Gesicht gezogen. Doch der Umstand, dass ihr diese Gestalt schier von allen Seiten entgegentrat, um ihr den Weg zu versperren, ließ sie erahnen, dass sie es mit einem übernatürlichen Wesen zu tun hatte.
Da fiel jene Hebamme auf ihre Knie und flehte: „Gott meiner Väter! Sei mir gnädig um Abrahams, Isaaks und Jakobs willen, aus deren Geschlecht ich doch auch bin! Denn siehe, ich bin doch auch eine Tochter Abrahams, und bei all meiner Unzulänglichkeit nehme ich mich doch auch aller Armen und Mittellosen an, wenn sie meine Hilfe benötigen, ohne Entgelt dafür zu erwarten oder Lohn zu verlangen!“
Da sprach jene himmlische Erscheinung zu ihr: „Der HERR hat deine Bitte erhört. Aber nicht um deiner zweifelhaften Gerechtigkeit willen, sondern um jenes Kindes willen, das heute Nacht geboren worden ist, um noch alle Welt Gott recht zu machen.
Nur dies eine beherzige, auf dass dir jene Nacht des Segens für alle Welt nicht noch zum Fluch wird! Unterstehe dich, und wage es ja nicht, dass du irgend-jemanden auch nur irgend-etwas von dem erzählst, was du heute Nacht hier erlebt hast – auch gerade nicht deiner vertrauten Busenfreundin, mit der du sonst alles bequatschst! Hüte dich! Niemand darf auch nur andeutungsweise etwas von dem erfahren, was dir heute Nacht hier enthüllt worden ist – nicht vor der Zeit! – und nicht, bevor jener Knabe, der heute hier in eure Welt getreten ist, Seine Bestimmung erfüllt hat und in Jerusalem erhöht worden ist über alles!
Denn dieser ist zum Segen für alle Lebewesen in die Welt getreten, ob sie´s schon fassen mögen oder auch nicht. Und du willst doch gewiss nicht, dass dir – aufgrund von Ungehorsam und Missachtung des unaussprechlich Heiligen, das da erschienen ist, – dieser große Segen erst noch zum Fluch werden muss!“
Da flehte jene Hebamme auf ihren Knien: „Ich verspreche es! Ich schwöre es! Kein Wort soll über meine Lippen kommen, wenn Du mir nur gnädig bist!“ Da entschwand jener Engel des HERRN, und Salome fand sich wieder allein mitten auf dem Weg in jenem Olivenhain. Und sie kehrte zurück nach Bethlehem und sagte niemanden auch nur ein einziges Wort von dem, was sie gesehen und gehört hatte; denn sie fürchtete sich.
(N)
Als Maria aber ihr Knäblein gestillt hatte, wickelte sie Ihn in Windeln; und sie legten es in die Futterkrippe des Ochsen, der in der Grotte war. Doch siehe, da trat jener Bulle, wie auch ihrer beider Eselin, die Maria getragen hatte, an die Krippe heran, um das Kindlein zu betrachten; und alsdann ließen sie sich zu beiden Seiten der Heu-Raufe nieder, um das Neugeborene zu wärmen. So erfüllte sich, was verheißen worden war vom Propheten Jesaja: „Siehe, selbst Ochs und Esel werden ihren Herrn erkennen und Rind und Maultier sich neigen vor der Krippe ihres Heilands.“
Denn auch zu ihrer aller Erlösung war Er gekommen! Und damit dies aller Welt offenbar würde, wurde der Heiland inmitten zweier Tiere geboren. Denn Er kam, um auch sie von ihren Leiden zu befreien, wie Er gekommen war, um alle Menschen von ihrer Unwissenheit und Selbstsucht frei zu machen und ihnen zu offenbaren, dass sie alle Söhne und Töchter Gottes seien.
(O)
Und dies sind die Worte, die Joseph, vom Geist Gottes ergriffen, sprach, als er erstmals das göttliche Kind in Armen hielt: „Gesegnet seist Du, Gott unserer Väter und Höchster Israels! Denn zur rechten Zeit hast Du uns erhört, und am Tage der Erlösung hast Du uns geholfen.
Denn nun erfüllst Du, was Du Deinem Volk geschworen hast: »Ich will dich bewahren und über dich einen Bund aufrichten mit aller Welt, um das Antlitz der Erde zu erneuern und alle trostlosen Orte aus den Händen des Verderbers zu befreien, dass du allen Gefangenen zurufen kannst: „Verlasst eurer Kerker und seid frei!“, und zu jenen, die in der Finsternis wandeln: „Tretet ins Licht!“ Und ihr alle sollt wandeln auf den Pfaden der Freude und auf grünen Auen Weide finden; und ihr sollt nimmermehr gejagt, noch getötet werden – weder Mensch noch Tier: all ihr Meine Geschöpfe, die Ich erschaffen habe, sich vor Mir zu freuen.
Ihr sollt nie mehr Hunger oder Durst leiden, noch soll euch die Hitze des Tages verderben oder die Kälte der Nacht euch vernichten. Und Ich will auf allen Meinen Bergen einen Weg für all Meine Pilger machen, und alle kahlen Höhen sollen zu Auen werden. Denn Mein Erbarmer wird euch alle leiten und euch allesamt zu den frischen Wasserquellen führen.«
Ja fürwahr, dies alles erfüllst Du nun in diesem Deinen Kind! Darum jubiliert, all ihr Himmel, und jauchze du, Erde, o ihr Wüsten, erschallt von Gesang! Denn Du, o Gott, hilfst Deinem Volk und tröstest alle, die Unrecht erlitten haben; und über alle Elenden erbarmst Du Dich!“
(P)
Unweit der Grotte, in welcher Maria ihr Kind geboren hatte, befanden sich aber Hirten in derselben Gegend auf dem Felde, die dort des Nachts eine Herde Schafe hüteten. Und sie alle blickten erstaunt hinauf in den sternenklaren Himmel, als sie zu ihrer großen Verwunderung am Firmament mit einem Mal einen neuen Stern, ungleich heller als alle anderen Gestirne, aufleuchten sahen.
Und sie mutmaßten noch darüber, was dies wohl zu bedeuten habe, dass solch ein gewaltiges Zeichen an der Himmelsfeste in Erscheinung trat; ob dies die Ankunft des Messias anzeigen könnte, auf welchen ganz Israel wartete.
Denn so hatten es doch die Propheten verkündigt: „Nicht soll es dunkel bleiben über denen, die von tiefster Nachtschwärze bedrängt sind! Denn das Volk, das in Finsternis liegt, wird ein großes Licht sehen, und über denen, die im Land des Todesschattens fristen, wird ein herrlicher Glanz erstrahlen.“
Ja, und hatte dies nicht sogar schon jener große Wahrsager Bileam vom Euphrat künden müssen, der Israel verfluchen sollte, es aber, vom Geist des HERRN überwunden, segnen musste? Hatte nicht selbst jener schon geweissagt: „Ich sehe Ihn, aber nicht jetzt; ich schaue Ihn, aber nicht nahe: Es tritt hervor ein Stern über Jakob; und alsdann erhebt sich ein Zepter aus Israel, um alle seine Feinde zu zerschlagen und alle seine Widersacher zu zerschmettern, um alle Zerstörungswut zu zerstören und alle Zunichtemachung zunichte zu machen!“
(Q)
Und als die Hirten bei ihren Schafen so hinauf in den Sternenhimmel blickten, und darüber nachsannen, was diese wundersame Erscheinung ihnen anzeigen könnte; siehe, da umleuchtete sie auf einmal von allen Seiten die Klarheit des HERRN, dass sie von großer Furcht ergriffen wurden und auf ihre Knie fielen. Und aus dem sie umstrahlenden Lichtglanz trat schemenhaft eine himmlische Gestalt hervor.
Und jener Engel des HERRN rief ihnen feierlich zu: „Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren soll; denn euch ist heute in der Stadt Davids der Sohn Davids geboren, welcher der Sohn Gottes ist: der Heiland und Erlöser aller Welt, der Messias, der Gesalbte Gottes, welcher der Christus ist, der über allem ist Gott – ja, der Wahrhaftige und Ewig-Vater, Gott, der HERR, selbst!
(R)
Und das habt zum Zeichen, wie über alle Maßen wunderbar und unvorstellbar über allem erhaben göttlich Er doch ist: Wenn ihr zu eurer Grotte geht, werdet ihr Ihn – ja, Ihn, den Aller-Höchsten selbst! – darin finden, als ein kleines Kindlein in äußerster Niedrigkeit, in Windeln gewickelt und in der schlichten Futter-Krippe des Rindes liegen!
Denn in die tiefste Tiefe hinab-zu-steigen war Er bereit, um sich so alles ganz real von unten her zu erstreiten und sich damit Seiner ewigen göttlichen Herrschaft über allem als würdig zu erweisen, und auf diese Weise restlos alle wahrhaftig in Freiheit, ohne Zwang und Unterdrückung, zu gewinnen und zu überwältigen und zu überwinden – durch nichts als allein durch Seine unwiderstehliche Liebe, um wahrhaft alle mit sich auszusöhnen und hinauf zu führen in die höchsten Höhen Seiner Herrlichkeit!
Denn Er, dessen Ursprünge vor allen Ur-Anfängen und jenseits aller Zeiten in den Ewigkeiten liegen: Er kam aus unaussprechlicher höchster Höhe hernieder – von dort, wo das Licht aus sich selbst entsteht, einer Herrlichkeit, in die hinein nicht einmal wir Himmlischen auch nur zu blicken vermögen! – und Er hat, von dort hernieder-kommend, alle Himmel durchschritten und ist in die tiefste Tiefe hinab-gesunken, indem Er sich in den Himmeln von Seinen höchsten Erz-Widersachern, selbst auch ihnen Frieden anbietend, vernichten ließ und zunichte wurde.
Doch siehe! Aus dem Nichts ist Er wieder erstanden! Halleluja! Er ist wahrhaftig euch, wie uns, wieder erstanden aus eurem Fleisch heraus als des Menschen Sohn und der Menschheit Kind und Er ist so – wie aus dem Nichts in ein irdisch-geschöpfliches Dasein gerufen – aufs Neue wieder geworden! Halleluja!
Er, der in unserer Welt verschied und Sein himmlisches Leben dahin-gab für uns, alle Himmlischen, ist nun erstanden in eurer Welt, um ebenso für euch, alle Irdischen, Sein Leben zu lassen nach Seiner einzigartigen hohenpriesterlichen Würde des himmlischen, wie irdischen Melchi-Zedek und Friede-Fürsten, der durch Seine Selbst-Hingabe die Versöhnung aller Lebewesen, sowohl in den Himmeln, wie auch auf Erden ist, da Er sich selbst für alle zu opfern und Seine Seele auszuschütten bereit ist, um sich so alle Seelen rechtens zu erkaufen.
Er, der doch ewig lebt als der zeitlos Lebendige: Siehe! O Wunder aller Wunder! Er, der doch alles Leben selbst ist, Er war tot, und ist doch wieder-erstanden aus Seinem göttlichen Leben, das aus sich selbst entsteht, und Er ist euch, wie uns, aus sich selbst heraus wieder in Existenz gerufen und erweckt worden wie aus Toten, und aus Nichts wieder entstanden und aufs Neue geworden – Jener, der von oben her ist, gänzlich von unten her, um alles mit sich hinauf zu führen in das, was Er über allem von Ewigkeit zu Ewigkeit als der »Alles-in-allen« ist! – der Himmlische, der zum Irdischen wurde, um als der Irdische wieder zum Himmlischen zu werden und alles Irdische, wie Himmlische in sich zu vereinigen und zu versöhnen und mit sich hinauf zu führen in das alles beseelende all-inne-wohnende unvergängliche göttliche Leben, das Er von Ewigkeit zu Ewigkeit selbst ist!“
Und als jener Engels-Fürst, der unter die Hirten getreten war, so dem Höchsten gebenedeit hatte, siehe: da war in dem gleißenden Licht, das sie von allen Seiten umgab, mit einem Mal die ganze Menge aller himmlischen Heerscharen zu sehen, eine zahllose Schar von Myriaden von Tausendschaften astral erstrahlender überirdischer Licht-Wesen, die in unbeschreiblich wunderbaren hin- und her-wogenden Hymnen-Gesängen jubelten und frohlockten: „Ehre sei der göttlichen Abba-Liebe aus höchster Höhe um des Friedens willen, den Sie nunmehr auch allen Seelen auf Erden bringt nach Ihrem ewigen Vorsatz und Wohlgefallen!“
Daraufhin aber fuhren diese unzähligen Heere von Engeln hinauf in die Himmel und die sie umstrahlende Herrlichkeit entschwand blitzschnell in einem Lichtpunkt, welcher sich als jener aufgegangene Stern am Himmel erwies.
(S)
Da wurden die Hirten von unbändiger Freude erfüllt, dass ihnen solche Gnade zuteil wurde, derartige Jubel-Kunde aus den höchsten Himmeln vernehmen zu dürfen, und sie drängten einander zur Eile: „Auf, lasst uns schnell hin gehen nach Bethlehem und diese Freude bestaunen, welche der HERR uns kundgetan hat!“
So trieben sie eilig ihre Schafe hin zu der Grotte, die sie mit ihrer Herde bei Stürmen und klirrender Kälte aufzusuchen pflegten. Und als sie in die Höhle traten, fanden es genau so vor, wie der Engel es ihnen angekündigt hatte: ein wunderschönes Knäblein in der Heu-Raufe, und Joseph und Maria nebst Ochs und Esel bei dem Kind.
Da traten die Hirten mit wässrigen Augen zu dem Kindlein in der Futter-Krippe und knieten vor ihm nieder; und ein älterer Schäfer, dessen von tiefen Falten durchfurchtes Gesicht verriet, dass er schon Vieles, und offensichtlich nicht nur Gutes erlebt hatte, streckte seine Hand nach dem Neugeborenen, um es zu berühren. Und als er es anrührte, löste sich ein Seufzer, als wäre er von einer schweren Last befreit worden.
Und unter Freudentränen bekundete er: „Nun weiß ich mit Gewissheit, dass der HERR uns tatsächlich trotz unserer Niedrigkeit und Unwürdigkeit nicht vergessen hat und uns wohl achtet und ansieht und um alles weiß! Er ist fürwahr gewaltig! – gewaltig an Kraft des Herzens! Und Er verachtet wahrhaftig niemanden! – dass Er ausgerechnet uns, die wir von aller Welt abschätzig wie Auskehricht gering geschätzt werden, für würdig befunden hat, das Heil als Allererste betrachten und betasten zu dürfen, das Er in diese verlorene Welt gesandt hat! Nun kann ich einstmals in Frieden sterben!”
Und auch alle anderen Hirten waren zutiefst gerührt und bewegt, dass sie ihre Blicke garnicht mehr abwenden konnten von dem Knäblein, das sie alle anlächelte und ihnen freudig zu-lallte. Und sie erzählten Maria und Joseph von den himmlischen Heerscharen, die ihnen erschienen waren, sowie von dem, was jener Engel des HERRN ihnen von diesem Kind gekündet hatte.
(T)
Und die Hirten verbrachten mit ihrer Herde in stiller Andacht die ganze Nacht in der großen Felsengrotte bei dem Kind. Und als der nächste Morgen anbrach, erhoben sie sich und zeigten dem Knäblein in der Krippe Ehrerbietung, indem sie, einer nach dem anderen, die Decke an seinem Fußende küssten, mit der Er bedeckt war. Maria aber hatte all die Worte, welche die Hirten zu ihnen gesagt hatten, in ihrem Herzen behalten und war davon tief bewegt.
Und als die Schäfer gegangen waren, sprach sie zu Joseph: „Hast du gesehen, wie sehr diese Männer angerührt waren? Welche Freude in ihr tristes Leben gekommen ist? – dass der Höchste sich ihrer als allererstes angenommen und ihnen als den Ärmsten der Armen Sein Kind geschenkt hat? So war dies doch der rechte Platz, welchen der Höchste für Seine Niederkunft zu uns erwählt hat, auf dass offenbar würde, dass Er unser aller Niedrigkeit und Armut begegnen und aushelfen will!“
Die Hirten aber kehrten mit ihrer Herde zu ihrem Weideplatz zurück und priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten, sowie über allem, was ihnen von diesem Kind aus den Himmeln selbst verkündigt worden war. Und sie erzählten überall von ihrem wunderbaren Erlebnis und der himmlischen Kunde, wohin sie mit ihrer Herde kamen. Und alle, die es hörten, verwunderten sich darüber, dass solche Gnade diesen einfachen Hirten widerfahren sein sollte.
Die Schäfer aber behielten es für sich, wo sie das Knäblein vorgefunden hatten; denn sie beherzigten die Bitte von Maria und Joseph, Stillschweigen über ihren Aufenthaltsort zu bewahren, damit sie sich ihres Neugeborenen unbehelligt widmen und es einmal in Ruhe und Frieden gänzlich normal aufziehen konnten, wie ein ganz gewöhnliches Kind.
(U)
Schließlich stellten sich auch alle Sorgen des Joseph wegen seiner Eintragung in die Steuerlisten als völlig unbegründet heraus: Als er an der Reihe war, fragte ihn der römische Beamte in gelangweiltem Ton: „Wohnhaft in …?“ Joseph antwortete „Nazareth“, worauf jener Ermittler sich zurücklehnte und auf einem Beistell-Tisch genervt und umständlich nach der entsprechenden Liste kramte.
Endlich hatte er sie dem Joseph vorgelegt und Joseph wollte schon ansetzen, sich und seine Familie einzutragen, da fuhr ihm doch jener Staats-Bedienstete mit einem Griffel dazwischen, mit dem er auf die Liste klopfte: „Na na! Nicht so hastig!“ Und da bemerkte es Joseph: Das war ja gar kein gewöhnlicher Zeige-Stab! Das war doch tatsächlich ein Thora-Finger, wie er von den Juden beim Lesen ihrer Heiligen Schriften verwendet wurde! Joseph erboste sich inwendig, wie eine solch heilige Gerätschaft von jenem unkundigen römischen Heiden für derart profane Zwecke missbraucht werden konnte!
Und der Beamte erklärte dem Joseph in einem herablassenden Ton, wie einem ungehaltenem Kind, das zur Mäßigung angehalten werden musste: „Bevor du all deine Familienmitglieder auflistest, erst einmal eine Frage: Es beabsichtigt doch wohl niemand aus deinem Hause, in nächster Zeit umzuziehen!“
„Doch! Ich und meine Frau: Wir wollen hier in Bethlehem bleiben!“ Da zog jener Beamte erneut sichtlich genervt seine Augenbrauen hoch: „Na, dann musst du dich und dein angetrautes Weib doch in die Liste von Bethlehem eintragen! Bis all diese Listen einmal ausgewertet sind, lebst du doch schon längst hier in diesem Zoll-Bezirk!“
Und erbost über die zusätzlichen Umstände, die Joseph ihm bereitete, lehnte sich jener Verwaltungs-Beamte tief schnaufend wieder zurück und kramte erneut umständlich nach der Liste von Bethlehem. Joseph dachte sich nur: „Wenn alle Beamten von Rom so emsig und einsatzfreudig arbeiten, dann zieht sich diese Volkszählung noch Jahre hin!“
Schließlich fand der Staatsdiener das entsprechende Papier, knallte es dem Zimmermann unwirsch auf den Tisch und erklärte: „Da! Da musst du dich und dein Eheweib eintragen!“ Und dann schob er das Papier mit seinem Griffel zur Seite und klopfte mit dem Thora-Finger auf die Liste von Nazareth und erklärte, als hätte er es mit einem geistig Minderbemittelten zu tun: „Und da schreibst du deine Sippschaft rein, die in Nazareth bleibt!“
Joseph hätte sich zwar aufregen können, in welch anmaßender Weise dieser römische Staatsdiener ihn von oben herab behandelte: jedoch frohlockte er innerlich! Er musste sich und vor allem Maria und dazu noch ihr neugeborenes Kind überhaupt nicht in die Liste von Nazareth eintragen, sondern in die von Bethlehem, obwohl sie hier doch erst herziehen wollten!
Unter diesen Umständen würde nun schließlich doch keiner aus Nazareth seine Eintragung zu Gesichte bekommen und erfahren, dass Maria mittlerweile seine Frau und überdies Mutter geworden war! So hatte sich am Ende tatsächlich noch alles in Wohlgefallen aufgelöst und Joseph musste erkennen, dass er sich gänzlich unbegründet selbst mit kummervollen Sorgen zugesetzt hatte. Gott hatte doch noch alles wunderbar gefügt!