(A)

Gleich am nächsten Morgen nach dem Gastmahl des Herodes machten sich die Fürsten, die aus aller Welt nach Jerusalem heraufgezogen waren, in aller Frühe beim ersten Morgenstrahl auf, um sich nach Bethlehem zu begeben.

Als nun ihre Karawanen gemeinsam wieder aus der Heiligen Stadt aufbrachen, um ihre Suche nach dem göttlichen Kind fortzusetzen, siehe: da folgte ihnen viel Volk aus Jerusalem – jeder, dem es möglich war, unverzüglich mit ihnen loszuziehen.

Denn ganz Israel hoffte darauf, dass jene fremden Fürsten vielleicht doch tatsächlich noch den Messias finden würden, der ganz offensichtlich nicht im Haus des Herodes geboren worden war, da sie sich nicht wieder nach Norden und Süden in Richtung ihrer Heimat begaben, sondern zusammen nach Osten ins Gebirge Judas weiterzogen.

So wuchs die Hoffnung, dass jene Weisen, Erhabenen aus fernsten Ländern vielleicht doch aus unbegreiflichen Gründen aufgrund einer unerfindlichen göttlichen Begnadigung in ihrer Reise geist-geleitet waren und den Erlöser Israels noch ausfindig machen könnten.

Unter diese große Schar, welche den Kolonnen jener Herrscher folgten, mischten sich aber auch – in einheimische Gewänder gehüllt – Späher des Herodes. Denn der idumäische Beherrscher Israels, der misstrauisch gegen jedermann war, da er seine eigene falsche, heuchlerische Gesinnung auch bei allen anderen auszumachen glaubte und voraussetzte, hatte freilich seinerseits eigene Kundschafter den beiden Karawanen hinterher-geschickt, um den Geburtsort des Kindes auch dann sicher zu ergründen, falls er von den Weisen aus dem Ausland hintergangen werden sollte.

Als der herrschaftliche Konvoi jener Fürsten schließlich den Sattel von Mar Elias erreicht hatte und sich den Gelehrten aus aller Welt ein herrlicher Blick auf ganz Bethlehem auftat, wo der Weg über den Kamm des Gebirges Juda zur Stadt Davids und in die Gegend von Tantur abbiegt, da errichteten sie ihr Lager auf der Anhöhe, auf welcher sich das Grab von Jakobs geliebter Rahel mit einem Gedenkstein befand. Dort wollten sie bis zum Einbruch der Nacht warten. Denn sie hofften, dass ihnen dann das genaue Heim des neugeborenen Königs durch Seinen Stern angezeigt würde.

Und die Priester und Magier aus Medopersien, Mesopotamien und Syrien nutzten die Zeit bis zum Abend, um sich mit den geistlichen Führern aus Saba und Äthiopien über ihre erlangten Erkenntnisse und die Eindrücke, die sie in Jerusalem gewonnen hatten, eingehender auszutauschen.

Denn sie hatten bislang noch keine Gelegenheit gehabt, sich persönlich näher kennen zu lernen. Als sie nämlich in der Burg Antonia ihre Unterkünfte bezogen und sich gestärkt hatten, hatten sie sich alle ins Heiligtum des HERRN begeben, um Ihn anzubeten.

Es war aber allein den Sabäern erlaubt, sich in den inneren Tempel-Bereich hinein zu begeben, da dieser den Juden vorbehalten war, so dass nur die Sabäer den inneren Vorhof der Männer betreten konnten, da sie beschnittene Proselyten waren; die fürstlichen Priester aus Syrien, Babylon und Medopersien aber mussten im Vorhof der Heiden verbleiben, da es allen unbeschnittenen Heiden unter Todesstrafe untersagt war, das eigentliche Heiligtum zu betreten.

Aus diesem Grund hatten die geistlichen Oberhäupter, die aus dem Norden, wie aus dem Süden nach Jerusalem heraufgezogen waren, erst auf dem Festmahl des Herodes die Möglichkeit, sich persönlich kennen-zu-lernen. Und so konnten sie sich auch erst jetzt, zu diesem Zeitpunkt, ganz allein unter sich über ihre zwiespältigen Eindrücke austauschen, die sie in Jerusalem gewonnen hatten.

Denn einerseits hatte es sie alle über die Maßen irritiert, dass sie den neugeborenen König nicht am Hof des Herodes angetroffen hatten und jener Herodes offensichtlich ein fremdländischer Herrscher über Israel war, und dass überdies auch ganz Israel bis hinauf zu seinen geistlichen Führern noch überhaupt nichts von der Geburt jenes königlichen Kindes wusste, andererseits aber hatte dieser edomitische Regent wiederum den Eindruck erweckt, über ihre Kunde hoch-erfreut zu sein, und er hatte – an jenem Kind der Verheißung scheinbar ebenso brennend interessiert wie sie – unverzüglich Erkundigungen eingeholt, wo jener zur Erlösung aller Welt aus den Himmeln entsandte Knabe denn nun geboren worden sein könnte.

Und so hatte Herodes sie in ihrer Suche nach dem Jungen doch nach besten Kräften unterstützt! Warum aber war dieser Herodes nicht auch unverzüglich mit hingezogen, um jenem neugeborenen Erlöser aller Welt zusammen mit ihnen zu huldigen? Konnte es da denn noch irgendwelche Amtsgeschäfte geben, die wichtiger waren?!

So waren sie alle doch recht verunsichert über dem, was sie in Jerusalem erlebt hatten; und irgendwie legte sich auf sie alle doch ein unbestimmtes Gefühl der Beklommenheit und Bedrückung, weil sie weder wussten, was sie von dem gegenwärtigen König über Israel halten sollten, noch von dem von ihm genannten Geburtsort: einer gänzlich unbedeutenden Kleinstadt im Gebirge Judas, auch wenn aus dieser im Vergleich zu Sebaste und Jerusalem schon fast noch dörflich wirkenden Ansiedlung Ephrata einstmals der große König David hervorgegangen sein mochte.

Waren sie am Ende von diesem fremdländischen Herrscher über Israel in die Irre geführt worden und dieser in Wahrheit garnicht so versessen darauf, wie er vorgab, dass sie den verheißenen Anwärter auf den höchsten Thron noch finden würden?

(B)

Und als sie so im größten ihrer errichteten fürstlichen Rund-Zelte beieinander saßen und sich darüber austauschten, was von all dem zu halten war, da wandte sich Melchi-Or, der arabische Ethnarch von Ma´rib, an Bel-Tschazar aus Babylon und an Badadilma und Kagba, die zoroastrischen Priester aus Medien und Persien, mit den Worten: „Ihr habt berichtet, dass sich zu eurer ersten großen Irritation vor Anbruch des großen neuen Tages der Dunkel-Mond wie ein Erz-Widersacher über den mit Ischtar noch vor der Sonne aufgehenden Königs-Stern des Marduk erhob, um ihn zu verschlingen, woraufhin jener neue Stern über dem äußersten Abendland im Zeichen der Jungfrau aufging.

Und ihr habt dies, wenn wir es recht verstanden haben, so gedeutet, dass der Sohn des Höchsten – sich in den Himmeln Seinem Widersacher dem Anschein nach ergebend – sich nach Seiner überirdischen, himmlischen, göttlichen Existenz auslöschen ließ, um als das Kind einer Jungfrau in unserer Welt wieder-zu-erstehen und als ein Sohn des Menschengeschlechtes wiedergeboren zu werden.

Doch könnte es nicht ebenso sein, dass dieses himmlische Schauspiel nicht ein Widerhall überirdischer Ereignisse war, die Seiner Geburt auf Erden voraus-gingen, sondern vielmehr – oder ebenso – eine Warnung, was mit dem eben erst in unserer Welt der nächtlichen Finsternis aufgegangenen göttlichen Licht aus der Morgenröte geschehen kann? – dass sich also auch in unserer Welt ein Widersacher gegen Ihn erheben wird, der Ihn verschlingen will, wie der Mond, der dem aufgehenden Jupiter nacheilte, um ihn zu überschatten?

Denn alle Eigenschaften, die ihr diesem Dunkel-Mond zugeschrieben habt, der dem Marduk nach Seinem Aufgang nachjagte, um ihn zu verschlingen, scheinen nach dem, was wir inzwischen in Erfahrung gebracht haben, exakt auch auf jenen Herodes zuzutreffen, der für sich beansprucht, der König Israels zu sein.

Als wir nämlich unsere Dienerschaft in die Stadt geschickt haben, um Proviant und Verpflegung für unsere weitere Reise, sowie auch für unsere Rückkehr in unser Land zu besorgen, da haben sie in Erfahrung gebracht, dass Herodes in ganz Israel abgrundtief verhasst ist und sich die ganze Hoffnung aller Juden darauf richtet, der Messias würde sie einstmals von seinem Joch befreien und erlösen.

Überdies scheint er so machthungrig zu sein, dass er jeden eiskalt und unbarmherzig aus den Weg räumt, der seine alleinige Herrschaft bedrohen könnte – wie etwa den letzten Hohenpriester aus dem Hasmonäer-Geschlecht, seinen eigenen Schwager, den er aus Neid ertränkt haben lassen soll, weil dieser von allem Volk zum Passahfest, als er in sein Amt eingeführt wurde, gefeiert wurde, als wäre er selbst der König. Herodes ließ diesen letzten Antigonus, den dritten Hasmonäer dieses Namens, kurzerhand ermorden, obwohl dieser noch ein Junge von eben einmal sechzehn Jahren war! Aber er soll nicht einmal davor zurück geschreckt haben, seine eigene Frau Mariamne, sowie deren beiden Söhne, die sie ihm geschenkt hatte, hinrichten zu lassen, da er fürchtete, sie könnten seine Macht beschneiden und gefährden, da sie die letzten Abkömmlinge aus dem königlichen Geschlecht der Makkabäer waren.

So haben wir es hier ganz offensichtlich mit einem äußerst durchtriebenen, verschlagenen, hinterhältigen Fuchs zu tun, vor dem wir uns, wie mir scheint, in Acht nehmen müssen! Kaum zu glauben, dass jener tatsächlich hinziehen will, um sich jenem Kind zu unterwerfen und ihm zu huldigen und Ihm alsdann zur Macht zu verhelfen! Er sucht wohl viel eher, es umzubringen!“

(C)

Und Awnison, einer der Priester des Melchi-Or, fuhr fort: „Da nun aber der Stern des neugeborenen göttlichen Königskindes im Zeichen der Jungfrau am Horizont im Osten aufstrahlte, nachdem der Stern des Gottes-Sohnes im Westen von dem ihm nachjagenden Dunkel-Mond verschlungen schien, sind wir zu der Überzeugung gelangt, dass dies wohl eher als ein Hinweis zu deuten ist, dass jenes Licht aus den Himmeln kurz nach Seinem Aufgang in Palästina zunächst untertauchen muss, um sodann noch weiter östlich im Abendland wieder aufzugehen und auch den Heiden zu erscheinen – im Zeichen der Jungfrau.“

Melchi-Or erklärte: „Nach unserem Kenntnisstand wird nämlich in diesem Sternbild in Ägypten die Gottes-Mutter Isis mit dem göttlichen Horusknaben auf dem Schoß gesehen, welcher nach ihrem Glauben der Sohn des höchsten Gott-Vaters Osiris ist, der im Reich der Seligen herrscht.

Wäre es folglich nicht denkbar, dass dies eine Weisung vom Himmel ist, dass jenes hier in Palästina durch Herodes bedrohte Kind in Israel zunächst untertauchen und verschwinden muss, um noch weiter im Osten, nämlich in Ägypten, als göttliches Licht zu erscheinen und dort heranzuwachsen und zu reifen, bis die Zeit Seiner Macht-Ergreifung gekommen ist, in welcher jener göttliche Sohn dann den Satan bezwingt, gleich dem Horus, der den Seth überwunden hat? – was wohl, nach euren Prognosen in vier Jahren beginnen wird, wenn, wie es eure astrologischen Berechnungen ergeben haben, der Mond unter die Füße der Jungfrau mit dem Kindlein in ihrem Schoß gezwungen worden ist.

Denn war es nicht ebenso mit Joseph, der von seinen eigenen Brüdern verworfen wurde, dann aber in Ägypten die Herrschaft über alle Welt erlangte? Ja, war es nicht ebenso sogar mit dem ganzen Haus Israel, Gottes erstgeborenen Sohn, dass es aufgrund großer Not nach Ägypten weichen musste, um dort groß und mächtig zu werden?

Und als Gott Seinen Sohn Israel aus Ägypten wieder zurück nach Palästina rief, war dieser so gewaltig geworden, dass er alsdann alle seine Widersacher, die sich im Land der Verheißung gegen Ihn erhoben, überwinden und überwältigen konnte. So könnte in all diesen Ereignissen bereits der Weg des Messias vorgezeichnet gewesen sein, wie ein Schatten, der vor der Ankunft eines Großen, Ihm voraus-gehend, auf die Erde fällt, oder besser noch: wie der Schein, welcher der aufgehenden Sonne voraus-eilt.“

Und Libtar, der andere Priester aus Saba, ergänzte: „So würde all dies auch Sinn machen – und erklären, warum ausgerechnet uns als fremden, fernen Ausländern, noch vor den auserwählten Juden selbst, Seine Ankunft gekündet worden ist. Denn es scheint unser göttlicher Auftrag zu sein, die Eltern des uns allen eben erst geborenen Erlösers zu warnen, welche Gefahr ihnen und dem Kind hier in Israel droht, um sie zur Flucht nach Ägypten zu bewegen, da sich ganz gewiss der Widersacher auch hier auf Erden aufmachen wird, Ihn zu verschlingen und Sein Hochkommen zu vereiteln.

Denn wir können sie nicht schützen, da wir viel zu gering an Zahl sind. Wir können sie lediglich durch unsere Gaben in ihrer Flucht unterstützen, die wir mitgebracht haben, um dem göttlichen Kind zu huldigen.“

Mit diesen Worten brachten die Sabäer zumindest die Syrer ins Nachdenken; denn Letztere hatten im Vergleich zu den anderen doch schon so einiges Zwiespältige über Herodes gehört, da er direkt im Süden ihrer Reiches unter der Vorherrschaft der Römer, denen auch sie unterstanden, regierte. Bel-Tschazar aber und die zoroastrischen Priester hielten diese Mutmaßungen doch für recht abwegig.

Und Badadilma, der hochbetagte Priester aus Medien, fragte: „Warum sollte der höchste Ahura Mazda in Seiner unübertrefflichen Weisheit und über alles erhabenen Voraussicht Seinen Sohn kurz nach Seiner Geburt einer solchen lebensbedrohlichen Gefahr aussetzen?! Da hätte Er in Vorkenntnis von allem Sein Kind doch gleich außerhalb von Israel in die Welt setzen können – bei den Sabäern etwa, die schon seit Generationen Seinem Namen dienen, oder aber bei uns, im fernen Medopersien, das mir – vom einfachen Volk bis hinauf zu seinen geistlichen Führern – dem höchsten weisen Herrn mehr zugeneigt und ergeben scheint, als Seine eigene, angeblich vor allen anderen Geschlechtern auserwählte Nation!“

Allerdings kam der weißhaarige Badadilma bei seinen eigen Worten schon ins Stutzen. Denn auch selbst, wenn dem göttlichen Kind in diesem Land keine Gefahr drohen sollte: Warum hatte der Erhabene Seinen Sohn ausgerechnet in dieser Nation erweckt, die am allerwenigsten von allen Geschlechtern der Erde nach Ihm zu fragen schien? – so dass die Höchsten Israels erst durch ihre Ankunft überhaupt darauf aufmerksam wurden, dass ihr Messias bereits geboren sein musste! – was aber doch – trotz allem – nach den himmlischen Ankündigungen der göttliche Wille der allerhöchsten Macht im Universum gewesen sein musste, dort in die Welt zu treten, wo Sie anscheinend am allerwenigsten mit Sehnsucht erwartet wurde! Denn die Sterne logen ja schließlich nicht! Damit konnten dann aber auch derartige weit drastischere Misslichkeiten, dass dem göttlichen Kind schon unmittelbar nach Seiner Geburt ebenso Gefahr auf Leib und Leben drohte, durchaus in der göttlichen Vorsehung bereits mit einkalkuliert worden sein!

Aber auch Kagba, der Zoroaster-Priester aus Persien, wusste einen recht einleuchtenden Einwand vorzubringen: „Zudem hätten wir doch sicher eine Weisung vom Himmel erhalten, nicht zu jenem Herodes nach Jerusalem hinauf zu ziehen, wenn dem göttlichen Kind von diesem eine Gefahr drohen würde! Denn schließlich ist es jenem Herodes doch überhaupt erst durch unser Erscheinen bekannt geworden, dass in Israel ein neuer König geboren worden ist, der einstmals die Herrschaft über alle Welt antreten wird!“

Mika allerdings, einer der hohen Priester aus Äthiopien, gab zu Bedenken: „Vielleicht muss der Erlöser für alle ja diesen Weg in die Heimatlosigkeit gehen, auf dass offenbar würde, dass Er auch bei allen Verfolgten, Flüchtlingen und Ausländern ist, um ihren Herzen überall auf der Welt in Seiner sie umschirmenden, umhüllenden Liebe eine Heimat und Wohnstätte zu bieten!“

Aber das überzeugte die zoroastrischen Priester aus Medopersien und den Hoch-Astrologen Balthasar aus Mesopotamien dennoch nicht. Und Kagba, der junge zarathustrische Priester aus Persien, entgegnete: „Warum sollte der Höchste ausgerechnet dort in die Welt treten, wo Er am wenigsten erwartet wird und erwünscht ist, um von dort sogleich fliehen zu müssen?

Das würde Seinen Aufstieg zur Weltmacht doch ungleich schwerer machen, auch wenn Er durch Seinen eigenen Gang in die Heimatlosigkeit vielleicht weit mehr Herzen für Gott zu gewinnen vermag, die sich bislang von Gott vergessen und verlassen fühlten. Doch wie sollte Er sich aus solch Entwurzelten, Mittellosen, Entrechteten und Verachteten eine Macht zurichten können, die noch den ganzen Erdball erschüttern wird?!“

(D)

Als sich aber die Weisen und Gelehrten aus Medopersien, Babylon und Syrien, sowie aus Saba und Äthiopien so miteinander berieten, was von Herodes dem Großen zu halten war, siehe: da erstrahlte gleichwie in einem Traum-Gesicht in ihrer Mitte ein herrlicher Lichtglanz und ein Engel des HERRN erschien vor ihnen.

Als sie aber das riesige überirdische Licht-Wesen erspähten, fielen sie alle, von Schrecken und Entsetzen erfasst, auf ihre Angesichter, um anzubeten. Denn sie meinten, einer ihrer Götter sei zu ihnen getreten; auch erblickte ein jeder in der blendenden, schemenhaften Licht-Gestalt das Angesicht einer seiner eigenen Gottheiten oder unsterblichen Heiligen.

Jener Engel des HERRN aber sprach zu ihnen: „Fürchtet euch nicht und betet nicht mich an! Denn auch ich bin nichts von mir selbst, sondern auch ebenso nur ein Diener dessen, dem zu huldigen ihr heraufgezogen seid, dem allein alle Ehre und Anbetung gebührt!

Heute nacht, zwei Stunden vor Sonnenaufgang, wird euch der Höchste über allen Sternen und Göttern den Weg weisen zu Seinem Sohn, der aus den Himmeln zu euch auf die Erde hernieder gekommen ist.

Und so sollt ihr vor Ihn treten: Legt all eure königlichen Gewänder, all euren Prunk und all euer Geschmeide ab und schenkt es den Niedrigsten unter euren Dienern, um frei und unbehindert zu sein, wenn ihr euch aufmacht auf dem Weg zu eurem Heil.

Eure Knechte aber: sie sollen an eurer statt als die hohen Magier in eurem Lager gelten und von allen bedient werden, als wärt es ihr, wenn ihr selbst allein zu dem Kinde geht.

Ihr aber: Legt Bettler-Kleider von den Ärmsten der Armen dieser Gegend an und verlasst euer Lager heimlich im Schutz der Nacht, zwei Stunden vor Tagesanbruch – nicht hoch zu Ross oder erhaben auf euren Kamelen dahin reitend, sondern demütig auf dem Boden der wahren Gegebenheiten und Tatsachen, zu Fuß, und auch nicht mit vielen Knechten, sondern ganz allein.“

Die hohen Fürsten aber entsetzen sich; und sie wagten, zu fragen: „Wie aber könnten wir so ehrfurchtslos, bar aller Herrlichkeit, Zierde und Würde, schmutzig und verdreckt in Bettler-Gewändern vor den Allerhöchsten, den Herrn aller Herren und König aller Könige, treten?! – vor den Gott über allen Göttern und den Herrscher über alle himmlischen Heerscharen, der sich zu uns hernieder geneigt hat, um unter uns geboren zu werden! Versagen wir Ihm da nicht den nötigen Respekt, wenn wir derart zerlumpt und mit Dreck besudelt und beschmutzt in Lumpen von armseligen Bettlern vor Ihn treten? Verlangt Seine Würde und hohe Stellung nicht ein anderes ehrerbietigeres, herausgeputzes Erscheinen unsererseits?!“

Der Engel aber sprach: „Tut es ebenso, wie ich euch geboten habe! Denn so ist es allein recht in den Augen des Höchsten. Ihr sollt und dürft und könnt auch nur so zu Ihm kommen, wie ihr in Wahrheit unter euren stolzen Gewändern seid: mittellos, arm und bedürftig, wie alle schmachtenden Seelen.

Wenn ihr so ehrlich mit euch selbst vortretet, werdet ihr Annahme finden, für wie unwürdig ihr euch selbst auch immer erfinden mögt! Denn euer Herr schaut nicht auf oberflächlichen Prunk und lässt sich auch nicht durch auswendiges Blendwerk täuschen, sondern Er sieht ja doch allen ins Herz hinein und erkennt wohl, welche Seele voll wahrem Verlangen ist. Über allem aber ist Er gewaltig! – gewaltig an Kraft des Herzens, und Er verachtet und verdammt wahrhaftig niemanden!“

Und jene himmlische Herrlichkeit sprach weiter zu ihnen: „Ihr sucht den Sohn des Höchsten, welcher, wie es euch die Himmel anzeigten, in Israel geboren worden ist: den Christus, den Herrn aller Herren und König aller Könige! Siehe, Er selbst gab Seine ganze himmlische Herrlichkeit und Würde auf und wurde arm, um alle Welt reich zu machen! Als einer der Ärmsten der Armen ist Er geboren, um den Ärmsten der Armen auf diese Weise das Beisein Seiner Liebe zu erweisen, dass Er auch und vor allem, besonders bei ihnen, den Ärmsten der Armen, ist, um sie reich zu machen. Seht und staunt! Der Allerhöchste: geboren in äußerster Niedrigkeit! Der König aller Könige: in einem Bettlergewand! Seht und staunt und dann betet an!

Und weil dies der Weg der göttlichen Liebe ist, darum muss sich – Seinem Beispiel folgend – ein jeder ebenso erniedrigen, der in Seinem Reich erhöht werden will. Und der Höchste darin wird der niedrigste Diener aller sein!

Darum müsst auch ihr alles königliche Geprange und all eure Würden ablegen, wenn ihr Ihn finden wollt! Denn allein, wer seine Armut vor Ihm erkennt, den kann Er wahrhaft reich machen und beschenken! Welche sich aber schon für reich halten und wähnen, die müssen leer ausgehen und all ihren vermeintlichen Reichtum noch verlieren, damit auch sie ihre ganze Armut erkennen und beschenkt werden können mit dem einzig wahren Reichtum, der aus den Himmeln ist.“

(E)

Und weiter sprach der Engel zu ihnen: „Aber auch das wisst, dass Melchi-Or, der wahrhaft ein erleuchteter König Arabiens ist, mit seiner Einschätzung völlig recht hat, was den augenblicklichen Beherrscher Israels betrifft: dass Herodes dem Kind nach dem Leben trachtet, so dass seine Eltern mit ihm fliehen müssen nach Ägyptenland.

Und auch das wisst, dass Herodes euch heimlich Späher hat folgen lassen, die erkunden sollen, wo das Kind genau beheimatet ist, um es unverzüglich umbringen zu lassen.

Darum müsst ihr euer Lager auch heimlich im Schutz der Dunkelheit verlassen, in Gewändern einfacher Leute, auch in Gruppen aufgeteilt, um unerkannt zu bleiben und in eurer Verkleidung für Einwohner Israels gehalten zu werden, die euren Zeltplatz umlagern.

Und wenn ihr dem Kind Ehrerbietung erwiesen habt, dann ermahnt seine Eltern, unverzüglich nach Ägypten zu fliehen. Ihr aber, kehrt auf verschiedenen Wegen und Gassen durch Bethlehem zu eurem Lager zurück, ehe der Morgen anbricht. Und dann zieht weitläufig um Jerusalem herum zurück in eure Länder, von denen ihr gekommen seid, um ihnen die frohe Kunde zu bringen, dass Er, der Erlöser aller Welt, wahrhaftig in Israel geboren worden ist.“

(F)

Also entsandten die Fürsten am späten Nachmittag noch eine Anzahl von Bediensteten in die Stadt, um weiteren Proviant einzukaufen und hierbei auch heimlich schlichte einheimische Kleidungsstücke für ihre Herren zu erwerben. Dann legten sie in ihren Zelten ihre prunkvollen königlichen Gewänder ab und ließen sie Knechte aus ihrer Dienerschaft anlegen, so dass diese aussahen wie sie; sie selbst aber legten die einfachen Leibröcke an, welche sie in Bethlehem hatten erwerben lassen, so dass sie nichts mehr von der jüdischen Bevölkerung unterschied.

Zwei Stunden vor Tagesanbruch aber sollten die Knechte, die ihre herrschaftlichen Gewänder trugen und ihnen im Dunkel der Nacht zum Verwechseln ähnlich sahen, an der größten Feuerstelle im Lager zusammen kommen, um sich von der Dienerschaft zuerst Speisen reichen zu lassen. Dann sollten sie sich ihre Instrumente bringen lassen, um den Himmel zu erkunden. Auf diese Weise sollten sie die Aufmerksamkeit der Späher des Herodes auf sich lenken, während die eigentlichen hohen Geistlichen, die sich schon vorher in der Nacht unter ihr Gesinde zu mischen gedachten, dann unauffällig im Schutz der Dunkelheit vereinzelt das Lager verlassen wollten.

Denn da sie nun einheimische Kleidung trugen, unterschieden sie sich unter ihren Umhängen nicht mehr von den vielen Juden, die mit ihrer Karawane aus Jerusalem nach Bethlehem gezogen waren und überall um ihren großen Zeltplatz herum kampierten. So konnten sie sich durch die dort lagernden Israeliten davonschleichen, um in vier Gruppen an verschiedenen vereinbarten versteckten Treffpunkten am Hang unterhalb ihres Lagers wieder zu zusammen zu kommen – auf halber Strecke hinunter zu Bethlehem, das sich über das Tal bis zum gegenüberliegenden Berg-Kamm hinaufzog.

An diesen ihren Sammelstellen hofften sie dann, das Heim des göttlichen Kindes ausfindig machen zu können – durch ein Zeichen am Nachthimmel, das der Engel des HERRN ihnen in Aussicht gestellt hatte. Dorthin wollten sie sich alsdann auf verschiedenen Wegen durch die Stadt Davids hinbegeben – zu dem Haus, in welchem sie das göttliche Kind dann finden sollten.

(G)

Als die adeligen hohen Geistlichen in ärmliche Überwürfe gehüllt ihr Lager heimlich verließen, war der Nachthimmel durch eine dicke Wolkendecke vollständig verdunkelt, so dass kein einziger Stern am Himmel zu sehen war, und sich die Sterndeuter schon fragten, wie sie da denn das Heim des göttlichen Knaben ausfindig machen sollten.

Als sie sich aber an ihren versteckten Treffpunkten in vier kleinen Gruppen zusammengefunden hatten, siehe: da brach die Wolkendecke an genau der Stelle auf, wo sich der Stern des neugeborenen Königs aller Könige befand, so dass dieser einen klaren, deutlich sichtbaren, hellen Schein in Form eines Lichtkegels auf eine einzige, etwas abseits liegende Lehmhütte in Bethlehem warf, die sich am oberen Rand der Geburtsstadt des David auf dem gegenüberliegenden Berghang befand.

Und als sie den Stern sahen, erfüllte sie alle überschwängliche Freude. So begaben sie sich auf verschiedenen Wegen und Gassen durch die Ansiedlung von Ephrata; und der Stern, der unbeweglich am fernen Firmament erstrahlte, schien mit seinem Schein über dem Haus zu verbleiben und gleichsam vor ihnen her zu ziehen.

Dann aber verflüchtigten sich die Wolken am Himmel allmählich völlig und der ganze Sternenhimmel tat sich über ihnen auf. Doch siehe: Als dies geschah, da trat am Firmament ein Lichtband hervor, dass sich vertikal über den ganzen Himmel erstreckte, wie man es oft vor Anbruch des Tages beobachten kann.

In dieser Nacht aber leuchteten die Sterne in dieser Lichtbrücke besonders hell wie in einem diffusen Schein, der sich vom Sternenhimmel ungleich deutlicher absetzte, als gewöhnlich. Und dieser schillernde Bogen begann im Westen allmählich zu verblassen und sich nach Osten hin zu verjüngen, so dass er am Ende wie eine kegelförmige Aufhellung erschien, dessen Lichtachse von dem Haus, auf das zuerst der Lichtstrahl des neuen Sternes gefallen war, bis zu diesem hinauf in einem sich keilförmig nach oben verdichtenden Lichtschein erstrahlte.

Da wussten die Fürsten, dass ihnen wahrhaftig der Höchste im Himmel den Weg zu dem Kinde wies. Und als sie die Lehmhütte erreichten, da war es, als wäre der Stern hoheitsvoll im höchsten Zenit darüber zum Stehen gekommen. Der Schein des Zodiakal-Lichtes entschwand und der Sternenhimmel wurde in die aufsteigende farbenprächtige Glut der Morgenröte getaucht.

(H)

Im Haus der Lehmhütte brannte bereits Licht. Joseph wollte sich nämlich eigentlich schon früh am Morgen aufmachen, um mit Maria und dem Kind hinüber nach Bethanien zu ihrer Tante Elisabeth zu ziehen.

Denn wegen der herrschaftlichen Karawane, die am Vortag auf dem Sattel von Mar Elias gegenüber von Bethlehem ihr Lager aufgeschlagen hatte, war auch ganz Bethlehem in helle Aufregung geraten. Und es hatte sich freilich auch dort, in Ephrata, durch die mitgezogene Volksmenge aus Jerusalem schnell herumgesprochen, dass jene königlichen Weisen aus aller Welt Enden nach Israel heraufgezogen waren, um einem neugeborenen Kind zu huldigen, das einstmals die Königsherrschaft über alle Völker und Nationen antreten sollte, so dass sich mittlerweile jeder in Bethlehem fragte, ob in der Stadt Davids inzwischen tatsächlich der verheißene Sohn Davids geboren worden sein könnte.

Aber niemand im Dorf wusste von Ihm, wiewohl sie sich alle noch an die Erscheinung des herrlichen Sternes über der Gegend von Tantur erinnerten, der vor über einem Jahr über der Stadt Davids aufzustrahlen begann. Darum wollte Joseph noch vor Anbruch des Tages zusammen mit Maria und dem Knäblein die Stadt Davids verlassen.

Er wollte nämlich nicht, dass jene fremden Fürsten sie antreffen würden, um dem Kind zu huldigen. Dann nämlich hätte ganz Israel erfahren, dass in seinem Heim der Messias Israels aufwuchs, und ein Verbleib in Bethlehem oder gar überhaupt irgendwo im heiligen Land wäre ihnen unmöglich geworden! Denn wie hätten sie da ihr Knäblein noch in aller Stille und Zurückgezogenheit vernünftig wie ein gewöhnliches Kind aufwachsen lassen und erziehen können, wenn sodann ganz Israel, wie alle Welt sie bestürmt hätte, um ihren Sohn zu sehen und Ihm zu huldigen?! Und welche Gefahren mussten daraus erst für ihren Jungen erwachsen, wenn es den gottlosen Herrschern über Palästina erst bekannt geworden wäre, dass der Erlöser Israels bereits unter ihnen geboren worden war?!

Als nun Joseph die Tür seines Hauses öffnete, um noch vor Anbruch des Tages mit Maria und dem kleinen Jesus aufzubrechen, da schrak er zusammen. Denn soeben hatten sich vor seiner Lehmhütte all die Priester und Gelehrten eingefunden, die gekommen waren, um dem göttlichen Kind zu huldigen.

Obwohl sie wie gewöhnliche Landsleute gekleidet waren, erkannte Joseph sofort, dass es keine Einheimischen waren. Denn sie standen unmittelbar vor ihm, so dass er deutlich sah, dass einige von ihnen von anderer Hautfarbe waren, die sie unter ihren Umhängen zu verbergen suchten. Natürlich war Joseph sofort klar, dass es sich hier um jene Fremden handeln musste, die gegenüber von Bethlehem auf dem Gebirgskamm von Mar Elias ihr Lager errichtet hatten.

„Fürchte dich nicht!“, versuchte Balthasar den vor Schreck erstarrten Joseph zu beruhigen, der sich völlig unschlüssig war, was er nun machen sollte, da jene Heiden sie doch noch ausfindig gemacht hatten. „Wir sind nicht, was wir zu sein scheinen. Wir sind jene, die sich gegenüber von Bethlehem niedergelassen haben.

Bestimmt ist dir bereits bekannt, warum wir gekommen sind. Wir sind aus den entlegensten Reichen der Welt angereist, um dem göttlichen Kind unsere Ehrerbietung zu erweisen, das eurer Obhut anvertraut worden ist. Und auch, wenn wir dir wie gewöhnliche, mittellose Leute erscheinen mögen: Wir sind in Wahrheit hohe Priester und Geistliche, Fürsten und Könige in den Ländern, von denen wir angereist sind, und sind nur so schlicht gekleidet, um kein Aufsehen zu erregen. So bitte, gewähre uns schnell Einlass, bevor wir noch entdeckt werden!“

Was blieb Joseph da anderes übrig?! Das Allerschlimmste ließ sich nur noch vermeiden, wenn er sie unverzüglich in sein Haus aufnahm, bevor diese ungewöhnliche Ansammlung von Männern vor seinem Heim noch von irgend jemanden erspäht werden konnte!

Also öffnete er ihnen die Tür und ließ das Lämmlein, das er unter den Arm geklemmt hatte, wieder zu Boden. Sie hatten es eigentlich vom ersten Erwerb des Zimmermanns durch Gelegenheitsarbeiten in Bethlehem für das diesjährige Passahfest gekauft und wussten auf die Schnelle nicht, wohin mit ihm, als Joseph beschlossen hatte, es wäre das beste, Bethlehem unverzüglich zu verlassen, um eben das zu vermeiden, was nun doch noch eingetreten war.

Das Lämmlein lief sogleich in die Arme des Knäbleins, das Maria ebenso wieder auf den Boden gesetzt hatte, und das der Schnucke gleichfalls mit noch recht unbeholfenen Schritten entgegen tapste, um schließlich auf das Schafsjunge zu fallen und es zu drücken und zu herzen. Inzwischen hatten sie alle die Lehmhütte betreten, die aus einem einzigen Raum mit Fensterschlitzen, einem Koch-, Ess- und Schlaf-Platz und einer Holzstiege zum Dach bestand.

(I)

Bel-Tschazar, der schwarz-bärtige Hoch-Astrologe von Babylon, kniete zusammen mit den syrischen Priestern ehrerbietig vor dem Kindlein nieder, welches sich an das Lämmlein schmiegte, und rief mit „Caspar!“ seinen Schatzmeister herzu, der mit einem Sacktuch neben Balthasar niederkniete und dieses aufband.

Darin befand sich ein kleiner zusammen-geschlagener Perserteppich, welchen er vor dem Kind ausbreitete, so dass ein kleines, aber überaus erlesenes, mit Edelsteinen besetztes silbernes Schatz-Kästchen zum Vorschein kam. Dies öffnete der noch bartlose, mit „Caspar“ gerufene Jüngling, der Balthasars Kämmerer war. „Caspar“ ist nämlich das chaldäische Wort für „Schatzmeister.“ Was Joseph und Maria dann aber zu Gesichte bekamen, als jener Caspar die kleine schmucke Truhe öffnete, verschlug ihnen schier den Atem: in dem kleinen Schrein befand sich pures Gold!

„Wir haben unsere Gaben für das königliche Kind zusammengelegt“, erklärte Balthasar: „Sie sind von uns allen.“ Und dann verneigte er sich vor dem Kindlein mit den Worten: „Gold für den König aller Könige und den Herrn über allen Herrschern und den Regenten über allen Heerscharen, den großen Friedefürsten Gottes und einstigen Beherrscher des ganzen Alls.“

In diesem Augenblick war Joseph erstmals über den ungebetenen Besuch, dem sie sich ursprünglich entziehen wollten, erfreut. Denn Marias Mitgift war inzwischen so gut wie aufgebraucht gewesen, da sie damit die Errichtung ihres neuen Heims hier in Bethlehem finanzieren mussten. Und Joseph hatte sich schon mit dem Gedanken getragen, sich demnächst nach einer Arbeit in Judäa umsehen zu müssen, da es in Bethlehem augenblicklich nichts mehr zu bewerkstelligen gab, er aber eigentlich seine junge Frau noch nicht allein lassen wollte, solange das Kind noch nicht aus dem Gröbsten herausgewachsen war. Nun war auch diese Sorge durch göttliche Fügung von ihm genommen worden! Dieser Schatz sicherte ihnen ein Auskommen für viele Jahre!

Natürlich zogen die funkelnden Goldmünzen in dem silbernen, edelstein-besetzten Kästchen sofort die Aufmerksamkeit des kleinen Knäbleins in den Bann, so dass es von dem Lämmchen ließ, zu dem Kleinod krabbelte und nach einer der funkelnden Münzen griff, um sie unversehens zum Mund zu führen.

Maria, die sich neben dem Kind niedergelassen hatte, entriss dem tabsichen Jesus-Kind freilich umgehend das Goldstück und zog das Bübchen auf ihren Schoß, worauf der Kleine natürlich sofort ungehalten quängelte und sich wieder loszureißen suchte, um wieder an die funkelnde Kassette zu kommen.

Joseph bückte sich – nach einer etwas unbeholfen wirkenden kurzen Verbeugung, mit welcher er seinen Dank zum Ausdruck bringen wollte, – nach dem kleinen Schrein, schloss ihn und nahm ihn schnell beiseite, um ihn aus dem Blickfeld seines kleinen Buben zu bringen. Balthasar erhob sich wieder und wich einen Schritt zurück.

(J)

Alsdann trat der weißbärtige Melchi-Or, der arabische Monarch von Ma´rib, hervor, der in seinem schlichten Gewand wirkte, als wäre er der altehrwürdige Erzvater Abraham höchstselbst, und er kniete mit seinen dunkelhäutigen Priestern aus Saba und Äthiopien vor Maria mit dem Knäblein auf ihrem Schoß nieder.

Dem kleinen Jesus-Kindlein war es inzwischen gelungen, sich gegen seine ihn fest-haltende Mutter durchzusetzen und sich von ihrem Griff zu befreien. Es kroch auf den arabischen Patriarchen zu und krallte sich wonnevoll mit seinen Batschen in dessen langen Bart, um daran äußerst heftig zu ziehen.

Maria wollte dem kleinen Jesus wehren, doch Melchi-Or lachte nur beglückt und beschwichtigte sie: „Schon in Ordnung! Das halte ich schon aus!“, und er nahm den Jungen, der sich nur noch für seinen langen silbergrauen Bart interessierte, auf seinen Schoß.

Derweil breitete neben ihm Kasäd, sein Kämmerer, ein Tuch auf dem Boden aus, und enthüllte ein silbernes Gefäß, in dem sich überaus erlesene, kostspielige hellgelbe, fast gänzlich weiße Klumpen von Weihrauch-Harz befanden. Und Melchi-Or erklärte: „Und hier ist Weihrauch für den höchsten Priester aller Priester und den Heiligsten unter allen Heiligen, ja, den Gott über allen Göttern selbst.“

Dafür schien sich das Kind aber überhaupt nicht zu interessieren. Der Bart des Melchi-Or war viel faszinierender. Als der kleine Bub aber nach Ansicht von Maria doch zu heftig daran zu ziehen begann, nahm sie ihn wieder vom Schoß des Monarchen, worauf sich der Kleine entwandt und sich wieder seinem Lämmlein widmete. Melchi-Or und sein Kämmerer Kasäd hatten sich inzwischen wieder erhoben, und die beiden zoroastrischen Priester traten hervor und knieten vor dem Kindlein nieder.

(K)

Kagba, der jüngere Priester aus Persien, enthüllte ein weiteres silbernes Gefäß, in welchem sich ebenfalls höchst wertvolle wohlriechende gelb-braune, getrocknete harzige Bernstein-Stückchen befanden, nämlich Myrrhe, ein aromatisches Gummi-Harz, das in vielerlei Hinsicht verwendet werden konnte.

Einmal wurde Myrrhe durch Vermischung mit Balsam und Olivenöl oder wohlriechender Narde aus Indien für die Herstellung von erlesenem, duftenden Salböl verwendet, mit welchem Könige ihre Weihe erhielten; es diente aber, etwa mit Wein-Essig und Galle vermischt, auch zur Betäubung und Linderung von Schmerzen und zur Behandlung von Entzündungen. Es wurde jedoch auch für die letzte Ölung und Einbalsamierung von Verstorbenen verwendet und – mit Aloe und allerlei erlesenen Spezereien vermischt – in das Leichentuch gegeben, bevor der Verblichene mit Leinen-Binden umwickelt wurde.

Und als Kagba, der jüngere zarathustrische Priester, den silbernen Krug, auf den Boden gestellt hatte, erklärte Badadilma, der ältere zoroastrische Priester, aus Medien: „Und hier ist noch Myrrhe für den höchsten Gesalbten aller Gesalbten, dem Balsam allen Balsams, den besten Arzt unter allen Ärzten und den größten Heiler unter allen Heilern, für den großen »Saoschyant«, den »Heiland« und Erlöser der ganzen Welt.“

Melchi-Or aber, welcher seinen gerührten Blick nicht von dem kleinen Buben lassen konnte, den er sogleich tief ins Herz geschlossen hatte, als dieser auf seinem Schoß gesessen war und energisch an seinem Bart gezogen hatte, und der bereits eine Vorahnung gehabt hatte, welches Unheil dem Kindlein drohte, wurde mit einem Mal von großer Wehmut ergriffen, als das Knäblein sich in einer Weise an jenes Lämmlein schmiegen sah, das seine Eltern offensichtlich für das Passahfest in diesem Jahr gekauft hatten.

Denn als er sah, wie das Knäblein mit dem jungen Opfertier ganz ein Herz und eine Seele war, da wurde ihm mit einem Mal bewusst, dass jenes unschuldige Kindlein einstmals das Los aller Opfertiere teilen müsste, als das erste und letzte und größte aller Sühneopfer und als das eigentliche, letzte leidende göttliche Opfer in ihnen allen; denn Melchi-Or wurde an die Prophezeiung des Jesaja von dem leidenden Gottesknecht erinnert, der sich einstmals wie ein Opferlamm ohne Widerspruch und Aufbegehren zur Schlachtbank führen lassen würde, um durch die Hingabe Seines unschuldigen Lebens Sühne für aller Welt Sünden zu erwirken.

Da stiegen dem Melchi-Or Tränen in die Augen und er fiel auf sein Angesicht vor dem unschuldigen Kindlein mit der Schnucke im Arm und fügte dem Lobpreis der medo-persischen Priester noch hinzu: „Und für das Lamm aller Lämmer und das Opfer aller Opfer, das Sein Leben lassen wird zur Sühne für die Sünden aller Welt zur Versöhnung von wahrhaft allen, auf dass wir alle, die wir doch Strafe und Zorn verdient hätten, dennoch Frieden finden dürfen in der unergründlichen göttlichen Huld, Barmherzigkeit und Gnade, die sich selbst für alle aufopfert und hingibt.“

Als Melchi-Or mit ausgestreckten Armen und dem Antlitz zum Boden in tiefer innerer Ergriffenheit diese Huldigung ausgesprochen hatte, da wurden alle darüber zutiefst bestürzt; denn sie spürten wohl, dass es eine Weissagung war und über Melchi-Or der Geist Gottes gekommen war.

Da fielen auch sie alle auf ihr Angesicht und beteten, von Sprachlosigkeit übermannt, betroffen schweigend das Kindlein an. Denn wie weit ihre Einsichten in die alles überspannenden wunderbaren göttlichen Heilspläne auch bereits gingen: Das allergrößte Wunder aller Wunder war ihnen erst jetzt, in diesem Augenblick, durch den Mund des erleuchteten Melchi-Or enthüllt worden!

(L)

Nachdem die königlichen Sterndeuter und fürstlichen Priester aber durch die wunderbare Erscheinung eines Engels gleichwie in einem wundersamen Tagtraum Weisung empfangen hatten, nicht wieder zu Herodes zurückzukehren, was ihre Befürchtungen bestätigte, zogen sie auf einem anderen Weg zurück in ihr Land.

Es waren aber diese zwölf, welche aus allen vier Himmelsrichtungen von aller Welt Enden nach Israel herauf-gezogen waren, um einhelliges Zeugnis von dem göttlichen Kind abzulegen – nach dem, was ihnen durch ein dreifaches dreifältiges Zeichen aus den Himmeln gekündet worden war:

nämlich vom Osten her aus dem Morgenland: Bel-Tschazar aus Babylon in Mesopotamien, sowie die beiden zoroastrischen Priester Badadilma und Kagba aus Medien und Persien; vom Norden her, aus Syrien: die Priester Larvandad, Hormisdas und Guschnasaph; ferner vom Süden her, aus dem entlegenen Königreich von Saba in Arabien: der altehrwürdige Patriarch Melchi-Or und die Cohenim Awnison und Libtar; und vom Westen her, aus Äthiopien in Afrika: die Priester des HERRN Tanisuram, Mika und Sisisba.

Diese zwölf waren es, die aus allen Nationen der Heiden kamen, um es Israel zu künden, dass der Erlöser aus den Himmeln geboren worden war.