(A)

Als Jesus sich mit Seinen Gefolgsleuten noch in Samaria befand, siehe, da kamen jene Anhänger zu Ihm zurück, welche von Nain aus mit einigen Jüngerinnen, nämlich mit Maria Magdalena und deren Freundinnen Johanna und Susanna, aufgebrochen waren, um diese über das Jordan-Tal nach Bethanien zu begleiten, bevor ihr Meister sich ins Gebiet der abgefallenen Nachkommenschaft von Ephraim und Manasse gewendet hatte.

Diese Frauen waren nämlich als Vorhut nach Bethanien voraus-gezogen, um im Haus von Magdalenas Geschwistern, der Martha und dem Lazarus, alles für die Ankunft ihres Rabbis und Seiner Gefolgschaft vorzubereiten. Denn der Herr wollte auch wieder einige wenige Tage bei Lazarus verbringen, wenn Er sich zum Passah-Fest nach Jerusalem begeben wollte.

Diese Nachfolger Jesu, welche der Meister den Jüngerinnen als Geleitschutz für ihre Reise von Galiläa nach Judäa mitgegeben hatte, kamen nun überraschender Weise nach Samaria zurück. Es waren Joses Bar Saba, der auch »Barsabas« genannt wurde, und Matthias, welche neben den zwölf Aposteln der weitläufigeren Anhängerschaft Jesu angehörten.

Diese beiden berichteten dem Herrn: „Rabbi, Maria und Martha, haben uns postwendend zu Dir zurück geschickt. Denn als wir mit Magdalena in Bethanien angekommen waren, mussten wir leider erfahren, dass Lazarus, ihr Bruder, schwer erkrankt ist. Es steht ziemlich schlimm um ihn, so dass schon zu befürchten ist, dass er stirbt.

Darum haben uns seine beiden Schwestern sofort zu Dir zurück-geschickt, um Dir mitzuteilen, dass Du Dich unverzüglich nach Bethanien begeben musst, wenn Dir sein Leben lieb ist. Magdalena nämlich meinte: »Eilt schnell zum Meister, dass Er erfährt, wie es um Lazarus steht, damit Er sogleich kommen und ihn vielleicht noch retten kann! Denn ich weiß, dass Er dann unverzüglich herbei-eilen wird. Denn Er hat unseren Bruder doch so lieb!«“

(B)

Da meinten natürlich alle Jünger, Jesus würde nun unversehens alles liegen und stehen lassen, um sofort nach Bethanien zu stürmen. Denn schließlich ging es hier um den Bruder von Maria Magdalena, die ihrem Meister unter allen Seinen Jüngerinnen am allernächsten stand.

Sie war es, welche ihrer aller Rabbi einstmals vor ihrer Steinigung wegen ihres gottlosen Wandels als einer allgemein verachteten Hure bewahrt hatte und die von Seiner Liebe derart überwältigt worden war, dass sie dadurch zugleich von all den üblen Geistern der Unreinheit freigesetzt wurde, die sich ihrer bemächtigt hatten, woraufhin sie sich als die erste Frau der Gefolgschaft Jesu angeschlossen hatte, nachdem sie auf der Veranda des Pharisäers Simeon, eines Synagogen-Vorstehers von Tiberias, dem Meister die Füße mit einer kostspieligen duftenden Narde aus Indien gesalbt und mit ihrem Haar getrocknet hatte.

Seit dieser Zeit war Magdalena auf vielen Missionsreisen stets unmittelbar an der Seite des Meisters, so dass sie von vielen im Volk sogar als Seine Gefährtin angesehen wurde. Denn sie war mit dem Rabbi so innig verbunden, wie dessen kleiner Cousin Johannes, der beim Essen an der Brust Jesu liegen durfte; und der Meister gestand ihr ebenso viel besondere Nähe zu und scheute sich auch nicht, sie sogar in der Öffentlichkeit völlig zwanglos zu umarmen, wie auch nicht, sie zum Gruß oder zum Abschied auf die Wange oder auf die Stirn, ja, sogar auf ihren Mund zu küssen, so dass es schien, als würde Er sie ganz besonders lieben, wie ein Bräutigam seine Braut liebt.

Darum rechneten alle damit, dass Jesus auf Marias dringenden Hilferuf sofort aufbrechen würde, um unverzüglich nach Bethanien zu eilen.

Der Rabbi blieb jedoch völlig gelassen und ruhig; und Er machte keinerlei Anstalten, nun sogleich postwendend nach Judäa aufzubrechen, wohin Er ursprünglich erst in einigen Tagen zum Passah-Fest hinauf ziehen wollte. So blieb Er trotz allem in Samaria noch weitere zwei Tage.

(C)

Den meisten Gefolgsleuten Jesu war es eigentlich ganz recht, dass ihr Meister nicht sofort nach Judäa aufbrach; denn sie sahen dieser Pilgerreise nach Jerusalem zum Passah-Fest ohnehin schon mit ausgesprochen beklommenen Gefühlen entgegen, nachdem der Rabbi ihnen auf die bösen Vorahnungen ihrer Frauen hin eröffnet hatte, dass Ihn dort, in der Heiligen Stadt, das selbe Schicksal erwarten würde, das schon viele Propheten Gottes vor Ihn im Herzen Israels ereilt hatte: nämlich Seine Hinrichtung als einem weiteren abgewiesenen Rufer Gottes – wie Er ihnen auch unmissverständlich zu verstehen gegeben hatte, dass sich in eben diesem Seinen Ende Seine eigentliche Mission erfüllen würde, für die Er in diese Welt gekommen war.

Dies alles wollten die Jünger Jesu, insbesondere ihre Wortführer, Petrus und Judas aus Karioth, aber einfach nicht wahrhaben und glauben, dass ihr Meister, wenn Er doch der Messias war, ein solches Ende nehmen sollte; und sie redeten sich alle ein, ihr Rabbi hätte sich da wohl in etwas hinein-gesteigert, um sich die zunehmende Ablehnung zu erklären, die Er mittlerweile – nach Seinen so hoffnungsvollen Anfängen – selbst sogar in Seinem eigenen Heimatland, Galiläa, erfuhr, so dass Er auf das wahnwitzige Ansinnen gekommen war, es müsse dann wohl der Wille Gottes und das Ziel Seiner Sendung sein, sich wie der von Jesaja angekündigte Gottesknecht als ein Sühneopferlamm Gottes zur Schlachtbank führen zu lassen, um auf diese Weise alle schuld-beladene Welt aus ihrer verdienten Verdammnis zu erlösen und selbst sogar für Seine Feinde und Widersacher Sein Leben hinzugeben, um auf diese Weise die ausnahmslos allen bleibend geltende Retter- und Erlöser-Liebe Seines himmlischen Abbas unter Beweis zu stellen und zu offenbaren.

Nein! Das konnten und wollten die Jünger Jesu einfach nicht akzeptieren! Denn war es nicht die Bestimmung des Davids-Sohnes, für Israel die glorreiche Davidische Dynastie wieder erstehen zu lassen und die Regentschaft des Höchsten über alle Welt durchzusetzen, um so – unter der Vorherrschaft des auserwählten Gottesvolkes – das verheißene Reich Gottes von einem Ende der Erde bis hin zum anderen aufzurichten?! Wenn sich all dies durch Ihn als dem sehnlichst erwarteten verheißenen gesalbten Messias Gottes erfüllen sollte, so konnte Er doch unmöglich in Jerusalem zu Tode kommen!

Darum waren alle Jünger ziemlich froh und erleichtert, dass ihr Meister nicht unverzüglich auf den Hilferuf der Maria und ihrer Schwester hin nach Judäa aufbrach, weil es dort ganz offensichtlich noch zu gefährlich war, sich längere Zeit im näheren Umkreis von Jerusalem aufzuhalten, als es für den Besuch des Tempels zum Passah-Fest unbedingt nötig war. Immerhin hatte man schon zwei Mal in Jerusalem versucht, ihren Rabbi zu lynchen und zu steinigen!

Entsprechend schöpften die Gefolgsleute Jesu wieder Hoffnung, dass ihr Meister von Seinem Ansinnen, in der Heiligen Stadt sterben zu müssen, offensichtlich doch wieder abgekommen war, da Er selbst auf den Hilferuf Seiner geliebten Magdalena nicht unverzüglich unbesonnen und kopflos reagierte, weil Er sich damit selbst in Lebensgefahr gebracht hätte.

So ließ die Reaktion Jesu Seine Jünger doch wieder aufatmen und Mut fassen, da sie sich sagten: „Nun ist unser Meister anscheinend doch wieder zur Besinnung gekommen, dass Er dieser Gefahr für Sein Leben aus dem Wege geht und nicht Sein eigenes Wohl riskiert, um das Leben eines anderen zu retten – selbst wenn es sich um das Heil eines guten Freundes handelt, der Ihm besonders nahe steht. So hat unser Herr nun offensichtlich doch erkannt, dass Er einer höheren Bestimmung nachzukommen hat, die Ihn, wie auch uns, nicht nach unten, sondern nach oben führt!“

Denn das konnte doch schließlich unmöglich die Bestimmung des Messias sein, in Jerusalem zu sterben! War es nicht vielmehr Sein Auftrag, das Blut aller Propheten Gottes, die Ihn angekündigt und Ihm den Weg bereitet hatten, endlich von all den Widersachern Gottes zurück-zu-fordern und all diese Mahner Gottes zu rächen und sie alle mit ihrer Verkündigung ins Recht zu setzen?!

(D)

Folglich atmeten alle auf, dass ihr Meister allem Anschein nach wieder zur Vernunft gekommen war und es unterließ, selbst für einen nahestehenden Freund Sein eigenes Leben zu riskieren und dadurch die große Sache Gottes, die Er herauf-führen sollte, zu gefährden.

Und in der Tat wurde der Herr von der Heiligen Ruach der All-Weisheit gehindert, sofort auf den Hilferuf Seiner geliebten Maria aus Magdala zu reagieren, weil dies nämlich tatsächlich dazu geführt hätte, dass Er vor der Ihm bestimmten Zeit und Stunde, wie auch auf eine andere Art zu Tode gekommen wäre, als es Ihm von Ewigkeit her bestimmt worden war.

Denn es war Ihm von je her ersehen worden, einstmals am Fluchholz den elenden Tod eines hoffnungslos Verdammten und von Gott Verstoßenen erleiden zu müssen, um dadurch – unter Wahrung der göttlichen Gerechtigkeit nach dem Gesetz, welche der Satan einforderte – doch alle Gottes-Verdammnis aufheben zu können, nach der weit höheren, ur-eigentlichsten Gesinnung der göttlichen Liebe, in der sich auch all Ihre Gerechtigkeit erst wahrhaftig vollends erfüllen sollte, auf dass hinfort keinerlei Fluch mehr auf ewig in Gottesferne halten durfte und keinerlei Verdammnis für immer mehr sei.

Und diese Erhöhung Christi über alle Welt zur Erlösung wahrhaft aller sollte Seiner Bestimmung nach zum jüdischen Passah-Fest geschehen: zu der Stunde, wo die Sühnelämmer von den gottlosen Priestern Israels im Heiligen Tempel Gottes abgeschlachtet wurden, auf dass aller Welt offenbar würde, dass Christus das eigentliche, letzte und größte Passah-Lamm und Opfer der höchsten Gottheit selbst ist, dessen göttliche Hingabe zur Erlösung und Versöhnung der wahrhaft ganzen Welt sich dort vollenden sollte.

(E)

Da die Jünger um all dies aber nicht wussten, weil sie es zu dieser Zeit noch nicht fassen und verstehen konnten und darum auch nicht wahrhaben wollten, waren sie zutiefst erleichtert, dass Jesus nicht unverzüglich, schon vor der Zeit des Passah-Festes, nach Jerusalem hinauf ziehen wollte, um dort für einen Freund Sein Leben zu riskieren und damit auch Seine höhere Sendung, wie sie diese verstanden, leichtfertig zu gefährden und aufs Spiel zu setzen.

Allein Johannes, der immer am Herzen Jesu war und wusste, dass sein Meister das Leben aller Seiner geliebten Kleinen, die Ihm anvertraut worden waren, höher schätzte, als Sein eigenes Leben, war darüber irritiert, dass sein geliebter Herr sich nicht sogleich aufmachen wollte, um sich der großen Not jener anzunehmen, die in ihrer verzweifelten Lage all ihre Hoffnung auf Ihn setzten und die doch so innig von Ihm geliebt wurden und in Seinem Herzen waren.

Darum fragte Johannes verunsichert seinen Meister: „Gütiger Rabbi! Warum brichst Du nicht unversehens auf, um Deinen Freund, wie auch seinen Schwestern sogleich auszuhelfen, die in solch große Bedrängnis geraten sind und verzweifelt nach Dir schreien?!

Denn ich weiß, wie sehr Du Maria, aber auch Lazarus und Martha liebst, und, dass es Dich kümmern und bedrücken muss, wenn sie in ihrer Verzweiflung umzukommen drohen!

Was also hält Dich, dass Du ihnen nicht unversehens zur Hilfe eilst?! Du hast doch Macht, selbst auch dem allergrößte Ansturm der übermächtigsten Naturgewalten zu wehren! Soll ich glauben, dass Dich die große Not derer, die Du doch unsäglich liebst, völlig kalt und ungerührt lässt?!“

(F)

Als Johannes dies seinen Meister in seiner Vertrauensseligkeit unverblümt fragte, da traten Jesus unvermittelt Tränen in die Augen; und sie alle erkannten, wie nahe Ihm das Schicksal des Lazarus und seiner Schwestern doch in Wirklichkeit ging und wie tief Er von ihrer Not auch selbst betroffen war.

Dennoch blieb der Rabbi fest in Seiner eigenen Zuversicht, auch wenn Er zu dieser Zeit nicht tun konnte, wonach Ihm selbst der Sinn stand; denn Er wurde von der Kraft Gottes gehindert.

Und Er bekannte ihnen: „Habt doch Vertrauen! Lasst euch nicht täuschen von dem auswendigen, trügerischen Schein! Denn gar oft mag es euch vorkommen, als bliebe all euer inbrünstiges Beten und Flehen zu Gott, wie auch zu Mir, unerhört.

Ihr betet um Bewahrung und Leben, aber was – dem Augenschein nach – kommt, ist Verderben und Tod! Aber nur für das Auge, das nicht in die Tiefe zu schauen vermag! Da wird dann alle Hoffnung von der scheinbaren trostlosen Wirklichkeit und niederschmetternden Realität erschlagen und das Herz von Hoffnungslosigkeit übermannt und von Verzweiflung verschlungen!

Doch ihr dürft nicht mit den auswendigen Augen auf das sehen, was so bestechend übermächtig vor Augen ist! Ihr müsst mit dem Herzen sehen und dürft allein dem trauen, was euer Herz euch kündet, wie es allein sein kann und gedeutet werden darf nach dem, was euer Inneres zu glauben niemals aufgeben will: nach dem, was dem Herzen allein sinnig sein kann und ihm seinen Sinn für den wahren Sinn von allem bewahrt, – wie unsinnig solch sinnlos anmutendes Hoffen der Welt auch immer erscheinen mag!

In solchem Hoffen wider alle Hoffnungslosigkeit vollendet sich nämlich euer Glaube und erweist sich darin als göttlich, aus Gottes Herzen in eurem Herzen entfacht und bewirkt.

Darum glaubt Mir: Die Gebrechen und Nöte, die euch mitunter – wie nun meinen Lazarus und seine Schwestern – befallen mögen, wiewohl Ich euch doch alle unsäglich liebe, wie selbst auch das Verderben, das euch ereilen mag und regelrecht zu überrollen scheint: all dies führt nicht, wie es den Anschein haben mag, zum Tod, selbst wenn dieser das letzte Wort zu haben scheint und all eure Hoffnung gänzlich zunichte machen will und mitunter auch zunichte-zu-machen versteht!

Am Ende, in der Vollendung von allem, führt eben dies, wo der Tod und das Verderben den letzten Sieg errungen zu haben scheint, in Wahrheit – gerade darum! – noch zur unüberbietbaren Verherrlichung der allerhöchsten Herrlichkeit, weil alles, was schon hoffnungslos verloren und von trostloser Finsternis verschlungen schien, am Ende, in der Vollendung von allem, doch noch vom göttlichen Licht und Leben eingeholt und wieder-gewonnen wird, so dass der Sieg der göttlichen Liebe einstmals jede vermeintliche Niederlage umso mehr und herrlicher überstrahlen wird.

Darum haltet fest an eurer Hoffnung, gerade dann, wenn alles hoffnungslos verloren erscheint! Am Ende wird doch alle Hoffnung noch über alle Hoffnungslosigkeit obsiegen. Und in der Vollendung wird sich bewahrheiten, dass die göttliche Herrlichkeit noch alle erdenklichen Hoffnungen in Ihrem glorreichen Sieg über alles unermesslich überbieten und überstrahlen wird.

Deshalb bewahrt euch euer grenzenloses Vertrauen in unbegrenzter Hoffnung auf alles – egal, was immer kommt! Denn wohin alles über all dem Unverständlichen hin-kommt, wird noch unvergleichlich größer und gewaltiger und herrlicher sein – und das umso mehr, je schlimmer das zu sein scheint, was euch zunächst überwältigen mag.“

(G)

Und Jesus sagte ihnen in Hinblick auf Lazarus: „Seht: Selbst, wenn sie meinen werden, Lazarus sei gestorben und er sei ihnen für immer genommen worden, so ist dies doch nicht die letzte Wahrheit. Sondern er ist nur für eine vergleichsweise kurze Zeit entschlafen und ruht lediglich, bis Ich komme und ihn wieder aufwecken werde.“

Da meinten die Jünger: „Also wird es, entgegen dem äußeren Anschein, doch nicht so schlecht um Lazarus stehen und bestellt sein, so dass unser Meister noch rechtzeitig eintreffen wird, ehe Lazarus verscheidet.“

Petrus und Andreas aber gaben zu Bedenken: „Das hatte der Meister einstmals auch von der Tochter des Rabbis Jairus aus Magdala bekundet, das sie nur schlafen würde. Alle aber, die dabei waren, waren überzeugt, dass sie inzwischen verstorben war.“

Da widersprachen einige andere aus dem Jüngerkreis: „Wenn der Meister sagt, Lazarus schläft nur, so ist dieser gewiss noch nicht wirklich gestorben, und sein Geist wird noch in ihm sein. Und so wird es auch bei dem Mädchen in Magdala, sowie bei dem Jüngling in Nain gewesen sein. Denn wenn der Geist aus dem Lazarus bereits endgültig gewichen und sein Lebensfaden unwiderruflich durchschnitten ist, wie könnte da jemals irgendjemand ihn von den Toten zurück-holen, als einzig nur Gott selbst, welcher allein der Urquell allen Lebens ist?! Das könnte dann selbst auch unser Meister nicht mehr!“

Als Jesus aber mitbekam, welche Mutmaßungen Seine Gefolgsleute anstellten und was sie in ihrem Herzen erwogen, wie es um Lazarus tatsächlich bestellt wäre, und als Er erkannte, dass sie sich nicht vorstellen konnten, dass Lazarus tatsächlich verstorben sein sollte, wenn Er ihn wieder ins Leben zurückholen könnte, erklärte Er ihnen, um ihren Glauben zu stärken und sie auf das Kommende vorzubereiten: „Hört, was Ich euch sage, damit euch nicht Zweifel übermannen, wenn ihr seht, was wir in Bethanien vorfinden werden: Lazarus ist bereits gestorben und wird soeben gesalbt und in Leichentücher gewickelt. Und wenn wir in sein Heimatdorf kommen, wird man uns mitteilen, dass er schon drei Tage in seiner Gruft liegt und sein Leichnam schon zu verwesen begonnen hat, nachdem sein Geist unstrittig aus ihm entwichen ist.

Und doch werde Ich ihn rufen; und Mein Ruf wird ihn im Totenreich, wohin er entschwunden ist und wo er ruht, doch noch erreichen und ihn wieder wecken und ihn ins Leben zurück-holen, so dass er seinen Schwestern wieder geschenkt wird.

Darum bin Ich sogar froh um euretwillen, dass Ich nicht schon vorher zu ihm gehen konnte, um ihn vor dem Tod zu bewahren; denn wenn Ich ihn von den Toten wieder ins Leben rufen werde, dann werdet ihr wahrhaft erkennen, dass Ich es Bin.

(H)

Und nach dem allem wird er den Tod nimmermehr schmecken müssen, da Ich hingehen will, um diesen bitteren Kelch des Vergehens und Verderbens für ihn zu trinken – wie für alle, die auf Mich vertrauen.

So will Ich nun hingehen, um Mein Leben für ihn hinzugeben, um ihn dadurch dem Tod zu entreißen und ihn in das Leben zu führen, das niemals enden wird – für ihn, wie für alle. Darum lasst uns nun nach Judäa ziehen, auf dass sich alles erfüllen kann, was in den Schriften über Mich geschrieben steht.“

(I)

Da erkannten die Jünger, dass Jesus noch immer davon überzeugt war, in Jerusalem sterben zu müssen, und sie gerieten außer sich darüber, dass ihnen der Atem stockte, und sie beschworen den Meister fassungslos: „Aber Rabbi! Dann ist´s doch undenkbar, dass wir nun nach Jerusalem ziehen! Am Ende gelingt es den Judäern tatsächlich noch, was sie schon zweimal versucht haben: Dich zu Tode zu bringen! Wir können dort nicht hinziehen: Denn dort will man Dich töten!“

Der Meister aber entgegnete ihnen: „Niemand wird Hand an Mich legen vor der Zeit. Denn seht: Wer im Licht wandelt und sich seinen Weg aus der göttlichen Erleuchtung heraus ausleuchten lässt, der sieht, was auf ihn zukommt und wo Hinterhalte und Gefahren für ihn lauern, so dass er ihnen rechtzeitig aus dem Weg gehen und ihnen ausweichen kann. So ist es bei jedem, der sich von der Heiligen Ruach der göttlichen Weisheit leiten lässt.

Nur wer taub und blind für Sie ist, dass er Ihr Reden und Mahnen nicht inwendig in seinem Herzen vernimmt, der tappt völlig im Dunkeln, dass er bestehende Gefahren, die sein Leben und Wohl bedrohen, nicht ausmacht und in Hinterhalte und Fallen gerät oder über Stolpersteinen zu Fall kommt, da er nicht sieht und auch nicht versteht, was ihn erwartet und über ihn kommt, so dass er unweigerlich Anstoß daran nehmen und darüber zu Fall kommen muss.

Wer aber sieht, der versteht alles und bleibt standhaft, selbst wenn man ihn – dem äußeren Anschein nach – zu Fall bringen mag. Ja, selbst, wenn er – nach oberflächlicher Betrachtung – überwunden wird, so geht er in Wahrheit aus allem doch selbst siegreich als strahlender Überwinder hervor. Denn einen solchen trifft nichts, was er nicht schon zuvor gewusst oder erahnt hätte, dass er sich nicht darauf gerüstet hätte.

So wird es auch bei Mir sein: Die Finsternis wird keine Macht über Mich haben, ehe-denn ihre Stunde gekommen ist; denn Ich wandle im Licht. Und selbst dann, wenn ihre dunkle Stunde gekommen ist, dass die Finsternis dem Augenschein nach Macht über das Licht erlangt, so wird sich am Ende, in der Vollendung, doch erweisen, dass die Finsternis in der Stunde ihres vermeintlichen größten Triumphes sich selbst die allergrößte Niederlage beigebracht hat – und in all ihrem erbitterten Widerstand gegen das Licht unter Aufbietung aller ihrer Kräfte letztlich doch nur dem Licht in die Hände spielen musste und dem Licht zu seinem triumphalen Sieg zu dessen Verherrlichung selbst über die äußerste Finsternis verhelfen musste.

Wenn nun unser Weg also zunächst auch in die Finsternis und euch in bitterste Umnachtung und Verzweiflung führen mag, so führt er letztlich doch in das glorreiche, von je her hoch erhaben über allem waltende Licht.“

(J)

Und Er beteuerte ihnen: „Wahrlich, Ich sage euch: Niemand wird Mir Mein göttliches Leben nehmen können! Sondern vielmehr gebe Ich selbst es frei dahin, um dadurch allem Mein wahres Leben zu geben und zu bringen und alles unweigerlich hinein-zu-ziehen und zurück-zu-holen in Mein ewiges göttliches Leben!“

Und als Er diese mysterien-vollen Worte zu ihnen gesprochen hatte, erklärte Er ihnen nochmals unmissverständlich, wenngleich sie es dennoch nicht fassen konnten: „Denn dieses Mal ziehen wir hinauf nach Jerusalem, damit sich alles erfüllt, was die Propheten über die Vollendung des Menschensohnes angekündigt haben: Denn nunmehr wird es geschehen: Der Sohn des Menschen wird den Hohenpriestern und Schriftgelehrten überantwortet werden; und sie werden Ihn zum Tode verurteilen und an die Heiden ausliefern, damit sie Ihn verspotten und anspeien und Ihn schwer misshandeln und geißeln und schließlich ans Kreuz schlagen und zu Tode bringen werden. Doch am dritten Tage wird Er auferstehen!“

(K)

Sie aber wollten es noch immer nicht wahrhaben. Und Judas Thomas Didymus sprach zu den anderen auf dem Weg: „So wird es wohl jetzt zu der letzten Entscheidungsschlacht kommen. Denn auch diese kann nach den prophetischen Schriften schließlich nicht ausbleiben.

Doch geschrieben steht: »Der HERR spottet all derer, die sich wider Ihn und Seinen Gesalbten erheben! Ja, der in den höchsten Himmeln über allem weit erhaben ist, lacht über sie alle: über all die Völker und Nationen, die sich gegen Seinen Messias zusammen-rotten werden!«

So sei es drum! Ich bin bereit, im blutigen Kampf mein Leben für unseren Meister zu lassen! Ja, und koste es mein Leben! Keiner soll sich Ihm auch nur nahen können, um Ihn anzurühren! Denn was ist mein Leben gegen das Seinige? Ihm ist es bestimmt, endlich das Reich Gottes aufzurichten auf Erden! Und wenn Er erst herrscht, wird Gott, Sein Vater, alle, die für Ihn gestorben sind, wieder erwecken aus den Toten, dass sie mit Ihm auf Thronen sitzen und regieren werden in Ewigkeit, wie es unser Meister uns bereits verheißen hat. So lasst uns mit Ihm nach Jerusalem ziehen und für Ihn kämpfen und sterben!“

Und alle pflichteten dem Thomas bei und schworen einander, in der letzten Schlacht für ihren Herrn sterben zu wollen.

Jesus aber, der wohl erkannte, was sie im Sinn hatten, schwieg dazu und beließ es dabei. Denn Er wusste, dass sie es im Grund ihres Herzens gut meinten, wie übel ihre Vorsätze auch immer waren – wie Er auch darum wusste, dass sie noch allesamt von Ihm abfallen würden, wenn es sich ihnen enthüllen würde, dass dies, was sie im Sinn hatten, weder Sein Weg noch der des göttlichen Abba-Herzens war.

Denn Jesus war sich durchaus bewusst, dass der Weg der göttlichen Liebe, die allein der Welt Heil und Erlösung bringen konnte, über alles menschliche Erwägen und Verstehen unendlich hinaus ging.

(L)

Warum nur war Er nicht gekommen?! Selbst wenn Joseph Barsabas und Matthias Ihn nicht sogleich in Samaria gefunden haben sollten: Er war doch der Prophet Gottes! Er musste doch wissen, wie es um Lazarus stand und wie sehr sie um ihren Bruder bangten und auf Ihn, ihren Meister, warteten und wie sehr sie litten!

Aber Er war trotzdem nicht unverzüglich zu ihnen geeilt, um sich ihrer unsäglichen Not anzunehmen und ihren Bruder vor dem Tod zu bewahren! Alles Beten und Flehen war gänzlich umsonst gewesen! Gott hatte ihre Gebete nicht erhört und Sein Gesalbter war nicht gekommen, um noch alles zum Guten zu wenden!

Da lag er nun: Lazarus, ihr Bruder: totenstarr, aschfahl, wie aus Kerzenwachs, schon bläulich verfärbt – unwiderruflich von ihnen gegangen, ins Scheol und Hades entwichen. Und ihnen blieb nur noch, seiner sterblichen Hülle, die er zurück-gelassen hatte, die letzte Ehre zu erweisen. So salbten sie seinen kalten Leichnam mit erlesenen Ölen ein und legten die Spezereien von Myrrhe und Aloe um den kalten Körper auf das Leichentuch, um den Verstorbenen daraufhin mit Leinen-Binden zu umwickeln – das Ganze regelrecht mechanisch, wortlos, ohne irgendeine noch vorhandene Gefühlsregung, als wären all ihre Empfindungen mit ihrem geliebten Bruder selbst gestorben.

Und wenn sie es einander, wie auch sich selbst nicht eingestehen wollten: in Ihnen selbst war mit ihrem Bruder etwas zerbrochen: aller Glaube und alle Hoffnung auf Jesus irgendwie gänzlich dahin, selbst in Totenstarre gefallen. Denn ihr Meister: Warum hatte Er nicht eingegriffen?!

Und selbst, wenn es Ihm unmöglich war, unverzüglich zu ihnen zu kommen, – denn insbesondere Maria Magdalena wusste, wie es um Ihn stand: Er hätte doch nur ein einziges Wort sprechen müssen – wie bei dem römischen Hauptmann, der zu Ihm geeilt war, weil sein Knecht, der ihm lieb war, wie ein Sohn, im Sterben lag! Warum hatte der Rabbi das zugelassen, dass ihr geliebter Bruder nach qualvoller Krankheit und elendigem Siechtum im Ringen mit dem Tod am Ende nun doch sterben musste?!

Warum hatte der Meister sie, gerade sie, im Stich gelassen, wo Er ansonsten beständig restlos allen aushalf! Standen sie Ihm doch nicht so nahe, wie sie es immer gemeint hatten?! Stellte Er ihre Liebe und Hingabe in Frage? Martha hatte sich schließlich dafür sogar schon einmal von Ihm tadeln lassen müssen! Aber sie glaubten doch wirklich an Ihn! Für sie stand gänzlich außer Frage, dass Er der Messias Gottes war! Umso unverständlicher war es für sie, dass Er sie in ihrer Not nunmehr gänzlich alleine ließ!

Entsprechend unbeschreiblich trostlos war für sie auch die Bestattung ihres Bruders. Martha flüchtete sich in ihre gewohnte Geschäftigkeit und organisierte alles für die Beisetzung ihres Bruders: lud alle Anverwandten und Freunde und Bekannten ein und kümmerte sich um die Unterbringung und Bewirtung aller ihrer Trauergäste, die nach jüdischem Brauch – ebenso, wie bei einer Hochzeit – einige Tag zu bleiben pflegten, um sich für die Verabschiedung von dem Verstorbenen gebührend Zeit zu nehmen – wie auch dafür, den nächsten Hinterbliebenen ausreichend Trost zu spenden und ihnen in ihrer Trauer beizustehen, um ihnen den schmerzlichen Verlust etwas leichter zu machen.

Allein Maria Magdalena konnte sich – wie gewohnt – zu nichts wirklich aufraffen und gab sich gänzlich ihrer Schwermut hin. Eine echte Hilfe war sie für Martha, ihr ältere Schwester, nicht, die alle Besorgungen für die Trauergemeinde in ihrem Haus bewerkstelligte. Maria kümmerte sich vielmehr vor Ort, im Haus ihres verstorbenen Bruders, um die Gäste – wobei es wohl mehr diese selbst waren, die sich ihrer annehmen mussten, so groß war Magdalenas Schmerz.

So ging Tag um Tag. Aber selbst auch am vierten Tag war von dem Meister noch nichts zu vernehmen! Waren sie es Ihm nicht einmal wert, wenigstens noch verspätet zu den Trauer-Feierlichkeiten zu kommen?!

(M)

Martha befand sich eben in Bethanien, um weitere Einkäufe zu tätigen und frische Verpflegung für ihre Trauer-Gäste beizubringen, als sie Jesus mit Seiner Gefolgschaft nun endlich doch noch auf sich zukommen sah. Sofort lief sie Ihm unter Tränen entgegen. Denn als sie den Meister sah, löste sich in ihr alles, so dass all ihr Herzensleid nur so aus ihr heraus-quoll.

Der Rabbi schien zutiefst betroffen und von Mitgefühl übermannt; denn Er warf sich unter Tränen in ihre Arme und seufzte: „O, Martha! Wie tut Mir das alles doch leid!“

Doch das entschuldigte nach ihrem Empfinden Seine Verspätung noch lange nicht und gab ihr auch keine Antwort, warum der Rabbi so lange vergeblich auf sich warten ließ!

Maria konnte es nicht unterdrücken, wie sehr sie sich auch bemühte, sich ihre große Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Der Vorwurf schrie regelrecht aus ihrem Herzen, dass es wie ein Schwert-Stich über ihre Lippen kam, wie sie sich auch selbst ins Herz getreten fühlte, als sie dem Meister bekundete: „Ach, Rabbi! Wo bist Du nur geblieben?! Wärst Du eher gekommen und da gewesen, so wäre mein Bruder nicht gestorben!“

„Und Maria?“, fragte Jesus betroffen: „Wie hat sie es aufgenommen? Wo ist sie?“

Martha schüttelte nach unten blickend den Kopf: „Sie versteht das Ganze noch weniger, als ich. Ist sie Dir nicht überall-hin gefolgt und klebte sie nicht beständig an Deinen Lippen und schöpfte so unsäglich viel Hoffnung aus Deinem Wort, dass sie ihr ganzes Leben danach neu ausgerichtet hat?!

Aber nun, wo sie EINMAL nach DIR verlangte und Dich gebraucht hätte: Wo warst DU da?! Sie ist völlig zerknirscht und am Boden zerstört; und alle versuchen verzweifelt, vergeblich, sie irgendwie zu trösten! Aber sie will nichts hören und wissen und fragt beständig nur immerfort nach Dir: Wo Du warst und wo Du denn bist und bleibst!“

Da seufzte Jesus tief im Geist und wies einige Seiner Jünger an: „Schnell! Geht und richtet Maria aus, dass Ich nunmehr gekommen bin und bringt sie zu Mir zum Grab ihres Bruders!“

Dann wendete Er sich wieder der Martha zu und fragte sie: „Wo habt ihr ihn hingelegt?“ Und Martha sprach zu Ihm: „Komm, Meister, und sieh es!“; und sie führte Ihn mit Seinen Gefolgsleuten hinaus aus Bethanien zur Gruft des Lazarus, welcher dort in einer Höhle lag, die bereits von einem schweren Felsbrocken verschlossen worden war.

(N)

Vor der Gruft aber wendete Jesus sich wieder der Martha zu und sprach ihr zu: „Dein Bruder wird auferstehen!“

Martha aber verstand nicht, dass Er ihr ankündigte, was Er nun zu tun gewillt war, und antwortete Ihm mit wehmütigem Blick auf das Grab: „Ja, ich weiß es wohl und glaube auch fest daran, dass er auferstehen wird bei der Auferstehung aller am Jüngsten Tage.“

Der Rabbi aber wendete ihr Gesicht dem Seinen zu und blickte ihr tief in die Augen. Dann sprach Er zu ihr in einer unsäglichen Eindringlinkeit: „Nein! Ich spreche nicht vom Jüngsten Tag! Sondern dein Bruder wird auferstehen: hier und jetzt! Denn wahrlich, Ich sage dir: ICH Bin die Auferstehung und das Leben! Und wer an Mich glaubt, der lebt ewig, auch wenn er stirbt; und wer da lebt und glaubt an Mich, der wird nimmermehr sterben!“

Und der Meister sah ihr prüfend noch tiefer in die Augen und fragte sie: „Glaubst du das?“

Da stach´s der Martha durch´s Herz und ihr stockte der Atem: Konnte sie das glauben? Ja, das wäre das Einzige gewesen, was wirklich noch Sinn gemacht hätte und ihr bestätigt hätte, dass der Herr sie keineswegs versäumt und vergessen hatte!

Und doch: Ihr Bruder war doch schon über drei Tage tot! So antwortete sie ausweichend: „Ja, Herr, ich glaube schon, dass Du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt gekommen ist …“

Dem Rabbi schien dies zu genügen; denn Er versicherte ihr: „Dann sollst du Meine Herrlichkeit sehen!“

(O)

Inzwischen waren die Jünger Jesu im Haus des Lazarus eingetroffen und riefen der Magdalena schon von Weiten zu: „Maria! Der Meister ist da und ruft dich!“ Sogleich sprang Magdalena auf und rannte mit den Jüngern zum Grab; und natürlich folgte ihr auch die ganze Trauer-Gemeinde, die sich im Haus ihres verstorbenen Bruders befand.

Als nun Maria zur Gruft ihres Bruders kam, wo Jesus bereits mit Martha und Seiner Gefolgschaft war, und als sie den Meister sah, stürmte sie völlig aufgelöst unter Tränen zu Ihm hin und fiel Ihm zu Füßen und schluchzte herzzerreißend: „O Herr! Wärst Du doch nur hier gewesen, mein Bruder wäre nicht gestorben!“

Dann blickte sie voll Hoffnung hinauf zu Jesus und richtete sich wieder auf mit den gefassten Worten: „Aber auch jetzt weiß ich: Was immer Du Dir von Gott, Deinem Vater, erbittest, das wird er Dir geben!“

(P)

Als Jesus sah, wie Seine Maria weinte – wie auch all die anderen aus der Trauergemeinde, – da wurde Er erneut zutiefst von Mitgefühl ergriffen, dass Ihm derart die Augen von Tränen übergingen, dass manche sich dachten: „Wie sehr muss Jesus den Lazarus und seine Schwestern doch lieben!“

Es gab aber auch solche unter den Trauergästen, denen dies vielmehr Anlass gab, ihren Unmut über den Meister zu äußern und sich heimlich zuzuflüstern: „Hat dieser nicht schon so viele Kranke geheilt?! Und erzählt man sich von Ihm nicht sogar, dass Er manche, die schon dem Tode geweiht waren, ins Leben zurückgeholt hat? Hätte Er es da nicht verhindern müssen, dass dieser sterben musste?!“

Da ergrimmte Jesus in Seinem Geist, da diese Munkler das Unverständnis ihres Herzens über die geschehene Tragödie, die ihnen angesichts Seiner Liebe zu Lazarus, sowie zu Maria und Martha völlig unverständlich war, nicht dazu veranlasste, wider alle Vernunft noch auf eine wundersame Wendung zu hoffen, sondern sich lieber ihrem Groll hinzugeben und mit Gott zu hadern und Ihn zu verlästern.

Und erzürnt im Geist befahl Er streng: „Rollt den Stein weg!“

Da musste dann Martha doch ihre Bedenken äußern; und sie erklärte: „Herr! Er stinkt schon! Denn er liegt schon seit vier Tagen in der Gruft!“

Jesus aber entgegnete ihr: „Habe Ich dir nicht gesagt: Wenn du glaubst, wirst du die Herrlichkeit Gottes sehen?“

Und Er ging erwartungsvoll einige Schritte auf die Grabeshöhle zu.

Verunsichert warfen einige der Martha fragende Blicke zu, ob sie tatsächlich den Felsen zur Seite rollen sollten. Martha nickte ihnen schließlich betreten zu; da rollten sie den Stein weg.

(Q)

Sogleich hielten sich alle die Nase zu; und manche hob es auch gehörig. Denn aus der Gruft kam ihnen ein schier unerträglicher Schwall von Verwesungsgestank entgegen.

Jesus aber richtete Seine Augen hinauf zum Himmel und erhob ebenso Seine Hände zum Gebet und rief laut singend und lobpreisend den großen und gewaltigen Namen des Höchsten an, dass Ihn jeder hören konnte; und Er betete: „Abba, Mein lieber Vater! Ich danke Dir, dass Du Mich erhört hast. Denn Ich weiß, dass Du allezeit Mein Herz hörst, so dass es nicht nötig wäre, Dich überhaupt noch zu bitten! Aber um des Volkes willen, das hier um Uns steht, rufe Ich Dich an, damit auch sie es erkennen und endlich glauben können, dass Du Mich gesandt hast.“

Und als Er so gebetet hatte, richtete Er Seine Augen auf das Grab und hob Seine Rechte gebietend und rief mit lauter Stimme, die von allen Seiten widerhallte: „Lazarus, komm heraus!“

Alle blickten wie gebannt in das Dunkel der Gruft, wo der Tote auf einem Felsen-Vorsprung aufgebahrt war. Totenstille trat ein. Jeder hielt den Atem an.

Dann: Was war das?! Das war doch unmöglich! – konnte doch garnicht sein! Ungläubiges Raunen ging durch die Menge. Ja, es gab sogar angsterfüllte Entsetzensschreie: Tatsächlich! Da bewegte sich doch etwas! Und dann richtete sich da doch mit einem Mal wirklich der mit Leinentüchern umwickelte Leichnam auf dem Stein-Sims auf und versuchte, seine zusammengebundenen Füße von seiner Lagerstätte auf den Boden zu bringen.

„Helft ihm!“, rief der Meister den Nächststehenden zu, welche bereits den Felsen vom Eingang zur Gruft gerollt hatten: „Löst seine Binden und lasst ihn gehen!“

Da eilten sie hinein ins Grab und halfen dem Gebundenen, der das Gleichgewicht zu verlieren drohte, wieder auf, um sogleich eilig seine Binden von ihm zu lösen und das große Schweiß-Laken, das um ihn geschlungen war, von ihm zu entfernen.

Es war unglaublich! Lazarus wirkte, wie frisch erblüht! Alles, was an einen verwesenden Leichnam erinnerte, war von ihm gewichen! Noch leicht benommen richtete er sich auf, um sich von seinen Helfern aus der Gruft führen zu lassen.

Da begann die ganze Gesellschaft unter Freudentränen zu jubeln. Denn so etwas hatte es in ganz Israel noch nie gegeben und wurde selbst von den größten Propheten nicht berichtet, dass sie in der Lage gewesen wären, einen Menschen, der bereits seit Tagen verstorben war, wieder ins Leben hätten zurückrufen können!

So verbreitete sich die Botschaft, was Jesus in Bethanien getan hatte, natürlich sogleich wie ein Lauffeuer im ganzen Umland. Und auch in Jerusalem sprach bald jeder davon. Denn Bethanien lag nur etwa fünfzehn Stadien weit, also etwa eine halbe Stunde Fußweg, von der Heiligen Stadt entfernt.

Das brachte freilich viele zum Glauben an Ihn, dass Unzählige zu dem Schluss kamen: „Dann muss dieser Jesus doch der verheißene Messias sein!“

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Selbstverständlich wurde dies alles auch bald den Pharisäern zugetragen, die feindselig gegen Jesus eingestellt waren.

Diese aber glaubten natürlich von all dem kein Wort und waren überzeugt davon, dass das Ganze nur eine trügerische Inszenierung war, um alles Volk zu täuschen, da sie in Erfahrung gebracht hatten, dass Jesus schon lange Zeit mit Lazarus befreundet war.

Und in ihrer Wut darüber, dass alle Welt von jenem großen, unbeschreiblichen Wunder sprach, dass Jesus einen bereits über Tage Verstorbenen und auch schon Bestatteten ins Leben zurück geholt haben sollte, beratschlagten sie sogar schon mit den Hohenpriestern und Sadduzäern des Hohen Rates, ob man Lazarus nicht insgeheim zu Tode bringen sollte. Denn dann – so mutmaßten all diese ungläubigen Geistlichen – würde die Täuschung dieses Nazareners gar bald auffliegen, wenn sich erweisen würde, dass Er seinen Freund nicht erneut wieder ins Leben zurück holen könnte, wenn dieser wirklich und wahrhaftig gestorben wäre.

Allerdings fanden sie keine Gelegenheit, Lazarus zu beseitigen: Bethanien entwickelte sich in diesen Tagen nämlich regelrecht zu einer Pilgerstätte. Denn viele aus Jerusalem, sowie aus ganz Israel, die zum Passah-Fest in die Heilige Stadt gekommen waren, begaben sich hinaus nach Bethanien, um sich von allen Einwohnern des Ortes, wie auch von Lazarus selbst erzählen zu lassen, was hier an Wunderbarem geschehen war.

Aber sie kamen nicht nur allein, um den aus den Toten wieder-erweckten Lazarus zu sehen, sondern hofften auch darauf, Jesus selbst hier anzutreffen, da überall bekannt wurde, dass Lazarus ein Freund dieses großen Propheten war.

Jesus selbst aber begab sich von Bethanien wieder weg in eine einsame Gegend in der Wüste und Einöde in der Nähe des weit nördlicher gelegenen Ortes Ephraim, um sich dort bis zum Passah-Fest mit Seinen Jüngern zu verbergen.

So kam es, dass die vielen Pilger, die zum Passah nach Jerusalem gekommen waren, überall vergeblich nach Jesus suchten. Und sie fragten sich untereinander, nachdem Er nirgends auffindbar war: „Ob jener, den alle Welt für den Christus hält, wohl noch zum Passah-Fest nach Jerusalem kommen wird?“

Die Hohenpriester dagegen hatten bereits auf Anregung der Pharisäer im Hohen Rat den Befehl gegeben, überall im Volk auszuforschen, ob jemand wissen würde, wo Jesus sich aufhielt, um solche dann festzunehmen und zu verhören. Denn sie wollten den Herrn unbedingt noch vor dem Passah-Fest ergreifen, da sie fürchteten, dass ihnen dies unmöglich würde, wenn Er plötzlich unvermittelt zu den Feierlichkeiten mitten im Tempel hervortreten würde und alles Volk Ihm zufallen würde.

Nach einigen Tagen aber begab sich der Meister mit Seiner Gefolgschaft auch von Ephraim wieder weg auf die östliche Seite des Jordans nach Peräa, wo Johannes der Täufer anfänglich aufgetreten war, und Jesus hielt sich dort mit den Seinigen verborgen.

Aber selbst auch hier wurde Er trotz allem von einigen, die sehnsüchtig danach verlangten, Ihn kennen-zu-lernen, und die hartnäckig nach Ihm suchten, dennoch gefunden. Und diese freuten sich über die Maßen, dass sie Ihn sehen durften; denn sie sprachen zueinander: „Nicht einmal der Tauf-Prophet konnte vollbringen, was dieser tut! Und hat der Täufer diesen nicht selbst schon angekündigt?! Und wahrhaftig: Alles, was Er von diesem verheißen hat, ist wahr!“ So glaubten zu dieser Zeit tatsächlich wieder gar Viele an Ihn!

Und die Jünger Jesu hofften, dass sich auf wundersame Weise doch noch alles in ihrem Sinne zum Besten wenden würde.