Syn-Evangelium
(Roman-Fassung)
Das großartige Evangelium des vollkommenen Lebens
im Schatz der unverlierbaren Liebe Jesu Christi
I Die Anfänge
6: Die Verbindung Marias mit Joseph
6-A: Keine Jungfrauen im Tempel mehr!
6-B: Was wird mit dem gott-geweihten Mädchen Maria?
6-C: Biete alle Witwer aus dem Hause Davids auf!
6-D: Der Ruf erschallt in Nazareth
6-E: Angesehene Schreiner
6-F: An dich kommt der Spross Aarons!
6-G: Soll ich zum Gespött in ganz Israel werden?!
6-H: Betrachte es als einen Segen für dein ganzes Haus!
6-I: Ein Fürsprecher für Maria
6-J: Wiedersehen mit Tante Elisabeth
(A)
Als Maria aber das zwölfte Lebensjahr vollendet hatte, etwa ein Jahr nach jener außergewöhnlichen Erscheinung des Herrn, des himmlischen Hohenpriesters Melchisedek, welcher später ihr Sohn werden sollte, da kam es, dass die Erweiterungsarbeiten am Tempel des HERRN, nämlich die Ausbauten am inneren, eigentlichen Heiligtum mit seinen Vorhöfen für die Hebräer, im Wesentlichen abgeschlossen waren und nur noch der großflächige Vorhof der Heiden ausgebaut werden musste, welcher in den Augen der Höchsten Israels, der Hohen Ratsherren des Sanhedrins, nicht mehr zum eigentlichen Haus des HERRN gehörte, da er von den Unreinen zertreten wurde.
Darum forderten die Sadduzäer im Hohen Rat, dass die besonderen Regelungen, die für die essenischen Priester eingerichtet worden waren, die am Tempel Gottes arbeiteten, nun wieder aufgehoben werden sollten, da für diese Ausnahme-Bestimmungen keine zwingende Notwendigkeit mehr bestand.
Insbesondere wollten die Sadduzäer, wie es ihr Wortführer, der Schriftgelehrte Hannas, dem Hohenpriester Simon Boethos vortrug, nicht länger dulden, dass Frauen der Essener, die in unbefleckter Keuschheit lebten, weiterhin neben den Netinim, den Priester-Gehilfen, innerhalb der äußeren Mauern des Tempels wohnen konnten.
Diese Jungfrauen nämlich waren bislang für die Versorgung der Priester zuständig, die am Heiligtum Gottes arbeiteten, so dass die Essener für ihre Mahlzeiten den Tempel Gottes nicht verlassen mussten. Da nun aber die Arbeiten am äußeren Gelände des Heiligtums begannen, das ohnehin durch die Heiden verunreinigt war, konnten die essenischen Arbeiter sich auch außerhalb des Tempels verköstigen, so dass es nicht länger notwendig war, dass sie von ihren Jungfrauen innerhalb des Tempel-Bereichs verköstigt wurden.
Überdies missfiel es vielen der sadduzäischen Priester, welchen Anklang der Dienst der essenischen Jungfern im Vorhof der Frauen fand, wo sie mit Pilgern beteten und diese segneten, wenn sie keine Speisen zuzubereiten hatten.
Die Sadduzäer aber wollten nicht, dass die Essener, welche innerhalb des Priester-Geschlechtes die fromme, entsagungsvolle Opposition zu ihrem geistlichen Adel bildeten, irgendeinen Einfluss auf irgendetwas gewinnen sollten, was sich im Tempel abspielte und ihrer Herrschaft unterstand. Darum wollten sie auch nicht einmal die keuschen Frauen der Essener länger innerhalb der Tempelmauern in den Reihen der Tempel-Diener dulden.
(B)
Da fragte Zacharias sorgenvoll: „Was aber soll dann mit dem Mädchen Maria geschehen? Denn sie ist von ihren Eltern dem Heiligtum Gottes geweiht worden durch ein Gelübde, wie einstmals der Prophet Samuel! Denn ihre Mutter Anna hatte gebetet: »Wenn mir trotz meines hohen Alters noch ein Kind geschenkt werden sollte, so will ich´s, ob männlich oder weiblich, dem HERRN als Gabe darbringen und es Ihm zurück geben, und es soll ihm alle Tage seines Lebens nach Priesterart dienen.«“
Hannas aber belustigte sich: „Wie sollte denn eine Frau dem HERRN nach Priesterart dienen können?! Für Frauen ist im Tempel kein Platz! Sie haben keinerlei Anrecht auf irgendeinen Dienst im Hause des HERRN!“
Und ein anderer Sadduzäer warf ein: „Überdies hat Maria schon bald ihr zwölftes Lebensjahr vollendet! Da kann sie ohnehin nicht beständig im Tempel des HERRN bleiben, da sie sonst das Heiligtum Gottes beflecken würde!“
Und Hannas ergriff wieder das Wort: „Ihr steht es doch frei, jederzeit den Tempel des HERRN aufzusuchen, wenn ihr der Sinn danach steht, wie allen Töchtern Israels! Aber im Haus des HERRN länger wohnen?! Das geht einfach nicht! Weder für sie, noch für irgendeine andere Jungfrau!“
Zacharias aber sorgte sich: „Was aber soll dann aus ihr werden? Denn ihre Eltern sind bereits verstorben! Wer mag sie aufnehmen?!“ Da erwiderte Hannas: „Soll sie doch mit den Jungfrauen, die sie betreuen, zu den Essenern gehen! Und hat nicht Itamar, der uns mit seinem Fisch vom See Genezareth beliefert, bereits ihre Schwester Salome aufgenommen? Vielleicht nähme der ja auch noch die Maria auf.
Immerhin ist für das Mädchen von seinen Eltern in weiser Voraussicht schon eine Mitgift im Tempelschatz hinterlegt worden, was für sich schon zeigt, dass auch ihren Eltern von Anfang an klar war, dass ihr Mädchen nicht für immer im Heiligtum Gottes leben könnte.“
(C)
Da trug sich Zacharias mit dem Gedanken, dass Mädchen selbst zu sich in sein Haus zu nehmen. Denn schließlich war Maria auch seine Nichte, die Tochter von der älteren Schwester seiner Frau Elisabeth. Und Zacharias und seine Frau hatten überdies ihre Nichte Maria wie ihre eigene Tochter lieb gewonnen, zumal sie selbst nicht mit Kindern gesegnet worden waren und sich immer sehnlichst auch so ein Mädchen gewünscht hatten, wie es der Anna, Elisabeths Schwester, geschenkt worden war. Und Elisabeth hatte ihre Nichte regelmäßig im Tempel besucht – insbesondere, nachdem Marias Eltern verstorben waren; denn das Haus des Zacharias lag im Gebirge Judas, etwa eine halbe Stunde Fußweg von Jerusalem entfernt.
So sagte sich Zacharias: „Vielleicht ist dies ja darum vom HERRN geschehen, dass wir kinderlos blieben, weil wir einstmals diesen Engel empfangen sollten aus der Hand des HERRN, als wäre es unser eigenes Kind!“
Doch siehe, am folgenden Tag fiel das Los auf den Zacharias, dass er am frühen Vormittag und am Spätnachmittag ins Heilige Gottes treten durfte, um den HERRN das tägliche Rauchopfer darzubringen. Und als er mit der Schale des Räucherwerks ins Heiligtum trat, siehe, da hörte er eine Stimme: „Zacharias! Zacharias! Dir ist es nicht bestimmt, Maria in dein Haus aufzunehmen, auch nicht dem Itamar, und auch keinen von den Essenern, sondern einem ganz anderen!“
Da erschrak Zacharias zutiefst, aber er wagte nicht, nachzufragen, was dann mit dem Mädchen werden sollte. So ging er hin und berichtete es dem Hohenpriester Simon Ben Boethos, dessen Stellvertreter er war. Der sprach zu ihm: „Du trittst doch heute nochmals vor den Räucheraltar des HERRN. So bete um sie und frage den HERRN, was mit ihr werden soll, wenn du wieder vor das Allerheiligste trittst. Und wenn der HERR dir antworten sollte: Was Er dich weisen wird, das wollen wir dann tun.“
So ging Zacharias wiederum am Spätnachmittag, im Ornat mit den zwölf Schellen, mit dem Rauchopfer in seinen Händen hinein vor das Allerheiligste und betete um Maria. Und siehe, als sich das Räucherwerk entzündete, da begann es in ungewöhnlich grellem Licht aufzuleuchten wie eine Feuerfackel des HERRN. Da erkannte Zacharias, dass es ein Engel des HERRN war, der in der Flamme auffuhr.
Und wieder hörte er eine Stimme, die sprach zu ihm: „Zacharias, Zacharias! Geh wieder hinaus und biete alle Witwer aus dem Haus und Geschlecht des David auf! Und sie sollen je einen frisch gehauenen Stab mitbringen, und wem der Herr ein Zeichen erteilt, der soll sie in seine Obhut nehmen. Denn vom HERRN längst erwählt ist jener, dem sie anvertraut werden soll.“
Das berichtete Zacharias dem Hohenpriester Simon, und jener willigte ein: „So soll es denn sein.“ Simon Ben Boethos tat dies aber nicht, weil er dem Zacharias glaubte, dass er wahrhaftig eine Erscheinung gehabt hatte. Sondern er bewilligte es dem Zacharias allein, weil dieser ihm gute Dienste erwies, da er die essenische Arbeiterschaft gut zu führen verstand.
Folglich entsandte Zacharias Herolde aus in das ganze Gebiet von Judäa sowie auch nach Galiläa, in alle Ortschaften, von denen er wusste, dass sich dort Juden von königlicher Abkunft angesiedelt hatten. Und überall, wo die Posaune des HERRN ertönte, liefen alle herzu und hörten den Aufruf an alle Witwer aus dem Haus und Geschlecht des David, dass sie sich mit einem frisch gehauenem Stab im Tempel des HERRN einfinden sollten an einem bestimmten Tag, welchen der Hohenpriester festgesetzt hatte.
(D)
So kam die Kunde auch in das Dorf Nazareth in Galiläa, in welchem sich viele Daviden nach der Rückkehr aus dem Exil in Babylon angesiedelt hatten. Und sie hatten ihrem neuen Wohnort den Namen »Nazareth« gegeben, weil sie darauf hofften, dass aus ihrer Mitte einstmals der Messias, der „Sohn Davids“, erstehen würde, welcher von den Propheten auch als der »Nezer«, der »Spross« Isais, bezeichnet wurde.
Isai nämlich war der Vater des einstigen großen Königs David, der nach dem Herzen Gottes war, welchen der Prophet Samuel gesalbt hatte. Und damit war Davids Vater Isai auch der Ur-Ahn aller, die aus dem königlichen Geschlecht des David entstammten.
Da die Daviden aber von der Hoffnung beseelt waren, dass der »Nezer« einstmals aus ihrer Mitte dem Volk Israel erweckt würde, der »Spross«, unter dem alles wieder aufsprossen sollte, darum gaben sie ihrer neuen Siedlung in Galiläa auch den Namen »Nazareth«, was übersetzt heißt: »Spross-Dorf.«
Doch siehe, als später der Nezer Gottes tatsächlich unter ihnen aufwuchs und erzogen wurde, da erkannten sie Ihn nicht, und als Er sich schließlich unter ihnen als der Messias zu erkennen gab, da stießen sie Ihn von sich, weil Er nicht ihren Erwartungen entsprach und nicht über sich verfügen ließ, sondern ihr stolzes Ansinnen von sich wies, sie könnten Ihn nach ihren Vorstellungen, Wünschen und Zielen für sich vereinnahmen.
(E)
Und siehe, in diesem galiläischen Dorf mit Namen Nazareth, da lebte auch ein Witwer mit Namen Joseph aus dem Haus und Geschlecht des David. Der war schon vorgerückten Alters, doch stand er noch in voller Manneskraft. Und er hatte vier Söhne mit Namen Jakobus, Joses, Simon und Judas, sowie drei Töchter mit Namen Schila, Judith und Esther. Und er übte mit seinen Söhnen das Zimmermanns-Handwerk aus. Seine Söhne und Töchter aber waren bereits alle verheiratet und hatten zum Teil auch schon selbst Kinder – bis allein auf den Erstgeborenen des Joseph, den Jakobus.
Jakobus, der älteste Sohn des Joseph, hatte nämlich nicht nur ein Nasiräer-Gelübde abgelegt, so dass er sich des Weins wie auch aller Trauben enthielt und sein Haupt niemals scheren ließ, sondern er hatte sich überdies entschieden, ehelos bleiben zu wollen, wie die Essener, die frommen Priester Israels, welche zuerst in der Wüste in Qumran eine Siedlung errichtet hatten, sich dann aber, nachdem ihr dortiges »Lager Gottes«, wie sie es nannten, durch ein Erdbeben zerstört worden war, auf dem Berg Zion niedergelassen hatten und dort in ihrem Viertel als Mönche lebten.
Denn diese demütigen Priester hatten sich von dem sadduzäischen Priester-Adel abgesondert, da in ihren Augen der Tempeldienst unter den kriegerischen Hohenpriester-Königen der Hasmonäer vollends verweltlicht war. Und sie sahen sich allein, im Gegensatz zu den mit den Makkabäern zu Macht und Reichtum gekommenen Sadduzäern, als die wahren Zadokiden und Nachkommen des Zadok an, welcher zur Zeit des großen Königs David Hoherpriester war – insbesondere seiner rechten, frommen Gesinnung nach, die nicht nach weltlichen Gütern, Macht und Einfluss verlangte.
Diese »Chassidim«, wie die Juden die »Essener« nannten, die wegen ihrer tiefen Frömmigkeit im ganzen Volk hoch angesehen waren, hatten auch den Jakobus, den Sohn des Joseph, tief beeindruckt, als er mit seinem Vater und seinen Brüdern am Ausbau des Tempels des HERRN arbeitete, welchen Herodes der Große in Auftrag gegeben hatte. Denn hier waren auch Schreiner-Arbeiten für die Aufrichtung von stabilen Bau-Gerüsten gefragt.
Dort, im gemeinsamen Arbeiten mit den Essenern an der Vergrößerung des göttlichen Heiligtums, entschied sich Jakobus, der älteste Sohn des Joseph, schließlich, dem guten Beispiel der Essener, deren Frömmigkeit ihn tief beeindruckte, folgen zu wollen und sein Leben ganz dem HERRN zu weihen, und ehelos zu bleiben, um sich ganz dem HERRN, ohne Ablenkung durch Frau und Kinder, widmen zu können.
Jakobus aber, wie auch sein Vater Joseph, waren im ganzen Umland von Nazareth wegen ihrer tiefen Frömmigkeit und Kenntnis der Thora des Mose hoch angesehen, so dass in Fragen der rechten Auslegung im Sinne der »Halacha«, der »Überlieferung« der Väter, wie die Pharisäer sie lehrten, er und sein Vater nach dem Rabbi von Nazareth die nächste Anlaufstelle für alle Unschlüssigen war. Denn Jakobus galt – wie auch sein Vater Joseph – dem Volk als ein »Zaddik«, ein bewanderter Kenner der Thora, sowie der Halacha.
(F)
Als nun die Posaunen der Tempel-Herolde erschallten, da warf auch Joseph mitten in der Arbeit das Beil hin, wie auch seine Söhne; und sie begaben sich hinaus auf den Hof-Platz ihres Dorfes am Brunnen. Und als sie den Aufruf hörten, fragte Simon, einer der Söhne des Joseph: „Was hat das zu bedeuten?“ „Ich weiß es nicht“, antwortete da sein Vater Joseph, „doch ich werde es wohl schon bald erfahren. Denn einem Ruf zum Tempel habe ich gewisslich Folge zu leisten!“
Also hieb sich auch Joseph, der Witwer aus Nazareth, einen frischen Stab, wie es geboten worden war, und machte sich auf den Weg nach Jerusalem, wie alle Witwer aus dem Haus und Geschlecht des David, im ganzen Land.
Als aber alle Witwer aus der Nachkommenschaft des David an dem bestellten Tag im Tempel des HERRN im Vorhof der Männer unter der Säulenhalle vor dem erhöhten Hof der Priester mit ihren frisch gehauenen Stäben zusammen kamen, siehe, da waren es in etwa siebzig Männer in vorgerücktem Alter. Und sie traten vor den stellvertretenden Hohenpriester Zacharias mit ihren Stäben.
Da ließ Zacharias um einen jeden Stab ein Band mit den Namen des Witwers binden, dem er gehörte. Und die Stäbe wurden ins Heilige gebracht und unter den Tisch mit den zwölf Schaubroten für die zwölf Stämme Israels gelegt und ausgebreitet unter dem »Brot des Angesichts«, wie es dem Zacharias in einem Traum aufgetragen worden war. Dort blieben sie über Nacht liegen, so, wie es der HERR dem Zacharias in einem nächtlichen Gesicht befohlen hatte.
Und als sich am nächsten Morgen die siebzig Witwer wieder im Tempel im Vorhof der Männer unter der Säulenhalle vor dem erhöhten Hof der Priester einfanden, da ließ Zacharias die Stäbe aus dem Heiligtum bringen.
Und siehe, alle gehauenen Stäbe waren genau wie am Vortag, bis allein auf einen: den Stab des Joseph. Der hatte über Nacht gesprosst und sogar Knospen und Blüten hervorgebracht und Mandeln reifen lassen. Und alle, die zugegen waren, verwunderten sich über die Maßen; und sie erinnerten sich an das Wort des HERRN: „Und es wird geschehen: der Mann, den Ich erwählen werde, dessen Stab wird sprossen.“
Und Zacharias teilte die Stäbe wieder an die Witwer aus. Und als er zuletzt zu Joseph kam, dessen Stab gesprosst hatte, sprach er: „Siehe! Das Zeichen ist eindeutig! An dich kommt der Spross des Aaron!.“ Und siehe, als Zacharias dem Joseph seinen blühenden Stab überreicht hatte, da flatterte eine Taube aus den Himmel hernieder und setzte sich auf das Haupt des Joseph.
(G)
Da berichtete der Priester Zacharias von dem Mädchen Maria, das mit drei Jahren als eine Geweihte des HERRN in den Tempel Gottes gegeben worden war, aber nicht länger im Heiligtum bleiben konnte, da es ihr bald nach der Frauenweise gehen würde, wenn sie ausgewachsen wäre.
Und er erzählte von der Weisung des HERRN, welche er am Räucheralter vor dem Allerheiligsten empfangen hatte und schloss mit den an Joseph gewandten Worten: „Und siehe, das Zeichen, das der HERR angekündigt hat, ist nun sogar auf doppelte Weise eingetreten: Denn nicht allein dein Stab hat gesprosst, wie einstmals der Stab Aarons, sondern überdies kam eine Taube vom Himmel herab und ließ sich auf dir nieder.
So hat der Himmel ein zweifaches Zeugnis über dir gegeben, dass du vom Höchsten erwählt worden bist, diese Ihm geweihte Jungfrau heimzuführen, um sie in deinem Hause jungfräulich zu behüten. Denn im Gesetz des Mose steht geschrieben: »Auf ein zweifaches Zeugnis hin soll eine Sache gültig sein.«“
Und als Zacharias dies gesagt hatte, da wurde die Maria zu ihnen in den Vorhof der Frauen geführt. Und auch Simon Ben Boethos, der Hohepriester des HERRN, trat herzu. Als Joseph aber durch das Nikanor-Tor hinunter in den Vorhof der Frauen blickte und das junge Mädchen sah, da schüttelte er ungläubig mit dem Kopf und widersprach: „Aber seht doch! Ich bin ein alter Mann, der bereits ausgewachsene Söhne und Töchter hat, die selbst schon Familien gegründet haben! Soll ich denn zum Gespött in ganz Israel werden, wenn ich nun ein solch junges Ding in mein Haus führe?!“
Zacharias aber antwortete dem Joseph: „Es hat doch niemand davon gesprochen, dass du sie dir zur Frau nehmen musst! Denn sie ist eine Geweihte des HERRN, die allein Ihm gehören soll, gleichwie eine Braut. Du sollst sie nur aufnehmen in dein Haus wie eine Verlobte, die dir zur Obhut anvertraut worden ist.“
Der alte Joseph aber mokierte sich: „In den Augen des Volkes bleibt sich das doch gleich! Man wird mich als lüsternden Greis verlachen, der sich in seinem hohen Alter noch ein junges unschuldiges Ding ins Haus geholt hat, um sie einstmals zu ehelichen!“
Da wirschte der Hohepriester Simon Ben Boethos den Witwer Joseph an: „Fürchtest du nicht den HERRN, deinen Gott? Hast du vergessen, was Er dem Korah und dem Dathan und dem Abiram mit ihrem ganzen Stamm angetan hat, wie die Erde sich spaltete und sie verschlungen wurden wegen ihrer Widerrede?! Willst du denn, dass derartiges auch in deinem Hause eintritt, dass es ausgetilgt wird vom Erdboden, weg vom Angesicht des HERRN durch Seinen grimmigen Zorn?!”
Für den Hohenpriester Boethos war dies alles nämlich nur eine lästige Angelegenheit und Nebensächlichkeit, mit der er sich nicht länger aufhalten wollte; denn er erkannte die große Bedeutung nicht, dass Maria – als eine Tochter Aarons, mütterlicherseits aus dessen hohenpriesterlichen Geschlecht – nach dem Willen des HERRN einem frommen und ehrbaren Mann aus dem Haus und Geschlecht des David anvertraut werden sollte, weil sie einstmals den Messias zur Welt bringen sollte, den Sohn Gottes, welcher als der verheißene „Sohn Davids“ nach den Prophezeiungen aus dem königlichen Geschlecht des David hervorgehen sollte, wie zugleich der höchste Hohepriester Gottes sein sollte. Darum war es notwendig, dass Maria, als eine Aaronitin mütterlicherseits, einem Daviden anverlobt werden sollte.
(H)
Und der Hohepriester Boethos entließ die siebzig Witwer im Segen des HERRN und wandte sich ab. Zacharias aber, sein Stellvertreter, führte den Joseph aus dem Vorhof der Männer durch das Nikanor-Tor die halbrunden Stufen in den Vorhof der Frauen hinab, wo Maria betreten mit den Jungfrauen stand, welche sie aufgezogen hatten. Und Zacharias legte dem Joseph im Gehen tröstend seine Hand auf die Schulter und beschwichtigte ihn: „Betrachte es nicht als eine Bürde, Joseph, sondern vielmehr als einen Segen für dein Haus! Denn siehe, ich kenne dieses Mädchen von Geburt an! Denn sie ist meine Nichte.
Sie ist die Tochter des einstigen großen Fürsten Joachim aus dem Haus und Geschlecht des David, der noch in seinem hohen Alter mit einem Kind gesegnet wurde wie einst Abraham mit dem Isaak, dem Vater der Wurzel Israels. Und weil ihre Eltern in ihrem Alter noch mit diesen Kind gesegnet wurden, haben sie es dem HERRN geweiht, dass es ihm nach Priesterart dienen sollte, wie einst die Hanna ihren Sohn dem HERRN übergeben hat, den großen Propheten Samuel.
Aber ich kann dir versichern, dass eine besondere Gnade und Berufung auf diesem Kind liegen muss. Denn ich habe Dinge gesehen! Doch dafür ist jetzt keine Zeit. Ich werde sie dir aber bei Gelegenheit berichten. Denn schließlich werden wir ja zu Verwandten durch dieses Kind.
Aber sei dir gewiss: Mit dieser holden Jungfrau zieht Segen ein in deinem ganzen Haus! Und was die Versorgung des Mägdleins anbelangt, musst du dir auch keine Sorgen machen. Denn ihr Vater hat auch überreiche Mitgift im Tempelschatz für sie hinterlegt.“
(I)
So wurde die Jungfrau Maria am Ende ihres zwölften Lebensjahres dem Witwer Joseph anvertraut. Und Maria verabschiedete sich unter Tränen von ihren Kindermädchen, den unbefleckten Jungfrauen, die sie seit ihrer frühesten Kindheit betreut hatten, und umarmte sie. Und Maria fragte sie: „Was wird nur aus euch werden?!“ Ihre Ammen aber beruhigten sie: „Mach dir um uns keine Sorgen! Der HERR wird auch für uns ein Heim finden, wie Er auch für dich ein neues Zuhause gefunden hat. Wahrscheinlich gehen wir zu den Essenern.“
So führte Joseph die ihm anvertraute Maria als eine Geweihte des HERRN in sein Haus, um sie, wie es ihm geboten worden war, fortan zu behüten. Als er sie aber mit sich nach Nazareth führte, siehe, da redete er auf der Reise mit ihr kaum ein Wort. Denn er sann über alles nach, was geschehen war und was er gehört hatte. Und Furcht fiel ihn an, da er sich fragte: „Vielleicht ist jenes Mädchen, das mir anverlobt wurde, fürwahr eine besonders Geweihte des HERRN! Und auf mir liegt nunmehr die Bürde, sie zu schützen und ihre Keuschheit zu bewahren!“
Als Joseph aber mit dem ihm anvertrauen Mädchen nach Nazareth zurück kam und seinen Söhnen alles berichtete, was geschehen war, da ergriff Jakobus, der älteste seiner Söhne, für Maria das Wort und sprach: „Warum hast du dich so sehr dagegen gesträubt? Ist es nicht fürwahr ein Segen des HERRN, eine Geweihte Gottes aufnehmen zu dürfen? Denn ich weiß von vielen der frommen Essener, dass sie ebensolches auch tun. So wird sie keiner als deine Verlobte ansehen, auch wenn sie künftig bleibend deiner Obhut anvertraut ist.
Überdies kannst du doch jedem, der es wissen will, erklären, dass sie dir aus dem Tempel des HERRN als eine unbefleckte Jungfrau, deren Leben ganz Gott geweiht ist, zum Schutz und zur Fürsorge anvertraut worden ist, so dass sie dir zwar anverlobt worden ist wie eine Braut, weil es im Gesetz für solche Sonderfälle keine andere Bestimmung gibt, sie aber doch niemals deine Frau werden wird!“
Denn zu diesem Zeitpunkt erachtete Jakobus, der Erstgeborene des Joseph, es noch als eine Ehre, eine unbefleckte Jungfrau in Obhut nehmen zu dürfen. Dies änderte sich erst, als Maria schwanger erfunden wurde und damit, wie alle meinten, große Schande über das ganze Haus des Joseph gekommen war.
So wurde Maria zu diesem Zeitpunkt, als Joseph sie vom Tempel des HERRN mitbrachte, von seinem ganzen Hause herzlich empfangen und aufgenommen. Und siehe, auch der Witwer Joseph gewann sie mehr und mehr lieb. Denn Maria war von beispielloser Tugendhaftigkeit und Gottesfurcht.
(J)
Nachdem aber die Erweiterungsarbeiten am Heiligtum des HERRN im Wesentlichen abgeschlossen waren und das Haus des HERRN in unvergleichlicher neuer Pracht und Größe erstrahlte, kamen die Priester und die Schriftgelehrten und Ältesten Israels in ihrem Hohen Rat überein, dass auch die beiden riesigen schweren Vorhänge, welche das Allerheiligste verbargen, erneuert werden sollten.
Denn an ihnen war seit den Tagen des Jeschua und des Serrubabel, als der Tempel nach dem babylonischen Exil wieder aufgebaut worden war, nichts mehr gemacht worden, so dass die Vorhänge verblichen und brüchig geworden waren. Darum beschlossen die Priester: „Lasst uns neue Vorhänge für den Tempel des HERRN anfertigen, dass auch die Abtrennung zum Allerheiligsten hin neu erstrahlen möge in würdigem Glanz!“
Und als der Sanhedrin den Beschluss gefasst hatte, die Vorhänge zum Allerheiligsten zu erneuern, da wies der Hohepriester Simon Ben Boethos seinen Stellvertreter Zacharias, dem er die Aufsicht über die Arbeiten am Tempel übertragen hatte, an, im ganzen Land fromme und keusche Frauen zu bestellen, welche die verschiedenfarbigen dicken Fäden für die Vorhänge fertigen sollten. Denn er erteilte dem Zacharias den Auftrag: „Lass alle tugendhaften, frommen Frauen aus dem Stamme Davids und Aarons hier versammeln, die sich diesem ehrwürdigen großen Dienst am Heiligtum Gottes weihen wollen, damit sie gesegnet und eingeteilt werden können für die Zuarbeiten am Vorhang für das Haus des HERRN!“
Da dachte Zacharias, der Vorsteher der Priester und Tempeldiener, natürlich auch sofort an seine Nichte Maria. Denn Elisabeth, die Frau des Zacharias, war die Schwester der Anna, welche mit dem ehrwürdigen Fürsten Joachim aus dem Haus und Geschlecht des David verheiratet gewesen war, denen in ihrem hohen Alter noch jenes Mädchen Maria geschenkt worden war, wofür sie das Kind ganz den HERRN geweiht und in den Tempel Gottes gegeben hatten, wo das kleine Mädchen unter der Aufsicht des Oberpriesters Zacharias von unbefleckten Jungfrauen aufgezogen worden war, bis sie der Obhut des Witwers Joseph aus Nazareth anvertraut worden war.
Und da auf dem Mädchen, wie Zacharias wusste, als einer ganz dem HERRN geweihten unbefleckten Jungfrau Gottes ein ganz besonderer Segen lag, erschien sie ihm besonders würdig, zumal sie auch – ihrem Vater nach – aus dem Stamme Davids war, ihrer Mutter nach aber überdies sogar auch aus dem hohenpriesterlichen Geschlecht des Aaron.
So erschallten erneut die Posaunen der Tempel-Herolde im ganzen Land. Und sie brachten zum bestimmten Tag von überall fromme, gottesfürchtige Frauen, die sich diesem ehrwürdigen Dienst am Haus des HERRN weihen wollten und konnten – darunter auch sieben unbefleckte Jungfrauen, unter denen auch Maria war. Aber auch Elisabeth, die Frau des Zacharias, welche Marias Tante war, fand sich unter ihnen ein. Und welche Freude war das für die beiden, als sie sich im Tempel des HERRN wieder sahen. Denn seit Maria dem Joseph aus Nazareth anverlobt worden war, hatte sie ihre Tante nicht mehr gesehen.
Der Priester Zacharias und seine Frau Elisabeth wohnten nämlich im Gebirge Judas in Bethanien, das etwa fünfzehn Stadien von Jerusalem entfernt lag, also gerade einmal eine halbe Stunde Fußweg östlich von der Heiligen Stadt. Nazareth dagegen lag in Galiläa, etwa drei bis vier Tagesreisen von Jerusalem entfernt.
Und die Tempel-Herolde führten alle Frauen durch die Schöne Pforte in den Tempel des Herrn hinein. Und der Hohepriester Boethos sprach zu ihnen über den verantwortungsvollen Dienst, der ihnen anvertraut werden sollte. Danach aber erklärte er: „Nun aber soll durchs Los festgestellt werden, welche von euch das Gold spinnen soll, und welche den Bergflachs, und wer die Baumwolle, und wer die Seide, und wer das Hyazinthenfarbige, und wer das Scharlachfarbige und den echten Purpur!”.
Und auf Maria und die anderen unbefleckten Jungfrauen, sowie auf Elisabeth, die Frau des Zacharias, entfiel dabei der echte Purpur und das Scharlachfarbige. Daraufhin erhob der Hohepriester Simon Ben Boethos seine Hände, um ihnen den dreifaltigen aaronitischen Segen der göttlichen Trinität zu erteilen: „Der HERR segne euch und behüte euch! Der HERR lasse Sein Angesicht leuchten über euch und sei euch gnädig! Der HERR erhebe Sein Angesicht auf euch und gebe euch Frieden!“ Und sie alle empfingen ihr Spinnwerk, dazu Spinnräder, sofern sie noch keine besaßen, und wurden von den Tempel-Herolden wieder in ihre Heimstätten begleitet – eine jede, von wo sie abgeholt worden war.
So wurde auch Maria zusammen mit anderen Frauen aus Galiläa wieder in ihr Heim zurückgeführt. Und dort begann sie zugleich, sich ans Spinnrad zu setzen, um den purpur- und scharlachfarbigen Stoff zu Fäden zu spinnen. Maria aber war vierzehn Jahre alt, als sie mit diesem Dienst begann. Und sie saß am Spinnrad Tag für Tag, wann immer es ihr die Zeit erlaubte, und sie nicht andere Arbeiten im Haus des Joseph zu verrichten hatte, bis hinein in ihr fünfzehntes Lebensjahr. So widmete sie sich dem Spinnen annähernd ein ganzes Jahr lang.
Und als sie fast allen Stoff bearbeitet hatte, zu jener Zeit war es, als Zacharias mit Stummheit geschlagen wurde. Und seine Aufgaben wurden an einem anderen Priester mit Namen Samuel übertragen, welcher dem Zacharias bislang in der Organisation der Bauarbeiten am Tempel zur Seite stand. Und jener Samuel vertrat den Oberpriester Zacharias, bis dieser wieder reden und sein Vorsteher-Amt wieder übernehmen konnte.