Syn-Evangelium
(Roman-Fassung)

Das großartige Evangelium des vollkommenen Lebens
im Schatz der unverlierbaren Liebe Jesu Christi

I Die Anfänge

12: Der große Skandal: Maria ist schwanger!

12-A: Was ist denn mit Maria?!
12-B: Meine Schwiegersöhne! Holt sie sofort herbei!
12-C: Bei Gott! Wir wussten es nicht!
12-D: Wie und wo kann das geschehen sein?
12-E: Ephraims Geständnis
12-F: Ein Krieger in strahlender Rüstung?!
12-G: Sollte Gott etwa gottlos handeln?!
12-H: Bei Gott! Es war kein Mann im Spiel!
12-I: Ein Brief von Zacharias?
12-J: Wundere dich nicht, dass der Spross Aarons im Hause Davids aufgeht!
12-K: Ein neu erschaffener Adam Gottes?
12-L: Wie damit umgehen?!
12-M: Jakobus wäre ein rechter Spross Davids gewesen!
12-N: Hier! Lies selbst!
12-O: So etwas kann einfach nicht sein!
12-P: Am Ende ist es Teufelswerk!
12-Q: Ein Sohn Gottes allein durch göttliche Salbung!
12-R: Und was ist mit dem Engel des Bundes?
12-S: Was, wenn Gott doch einmal ganz anders kommt?
12-T: Soll unser Glaube nun auf Frauenwort begründet werden?!
12-U: Die Erschaffung eines neuen Menschengeschlechts?
12-V: Wahrscheinlich trägt sie einen Bastard aus!
12-W: Woher aber wusste sie um Elisabeth?!
12-X: Wen willst du schützen? Sie oder dich und deine Familie?
12-Y: Joseph in der Zwickmühle
12-Z: Die Steinigung der Maria
12-AA: Joseph, du Sohn Davids! Fürchte dich nicht!
12-AB: Welche Gnade! Trotz meines Unglaubens!
12-AC: Hört, was ich euch zu sagen habe!
12-AD: Darf man sich von seinem Herzen leiten lassen?
12-AE: Hört, was ich beschlossen habe!
12-AF: Er selbst ist zu mir getreten!
12-AG: Soll Maria nun unser aller Mutter sein?
12-AH: Wie soll dir der erschienen sein, der erst geboren wird?!
12-AI: Triff bitte alle Vorbereitungen!
12-AJ: Da siehst du, wie der HERR alles recht fügt!

(A)

Es geschah aber, nachdem Maria annähernd sechs Wochen wieder in Nazareth war, wo sie sich vor den Kindern Israel verborgen gehalten hatte, siehe, da kehrte Joseph, dessen Obhut sie als eine Geweihte Gottes anvertraut und dem sie damit gleichsam anverlobt worden war, mit seinen Söhnen aus Jerusalem zurück, wo sie über ein halbes Jahr Holzgerüste für den Ausbau des äußeren Bereichs vom Tempel des HERRN erstellt hatten.

Und siehe, als Joseph mit seinen Söhnen im Dorf eintraf, da liefen seinen Söhnen, dem Joses, dem Simon und dem Judas, deren Frauen, die Rahel, die Ruth und die Debora, aus dem Haus des Joseph entgegen. Jakobus, der älteste, erstgeborene Sohn des Joseph, nämlich war unverheiratet und hatte sich für ein Leben in Ehelosigkeit entschieden, um sich, gleich vielen Essenern, ganz Gott zu weihen – wie es auch bei Maria war.

Als aber den aus Jerusalem zurückkehrenden Zimmerleuten freudig die Frauen entgegen stürmten und ihre Männer umarmten, da fragte Joseph: „Sagt mir: Wo ist denn Maria? Warum ist sie uns nicht mit euch zusammen entgegen gekommen?“ Da blickten die Schwiegertöchter des Joseph betreten zu Boden und erklärten: „Maria liegt schon seit Wochen nieder. Ihr scheint wohl doch irgendetwas Ernsteres zu schaffen zu machen.“

Die Frauen in Josephs Hause hatten zwar sehr wohl mittlerweile schon gemerkt, was Maria `fehlte´ und welcher Natur ihre Beschwerden in Wirklichkeit waren; doch waren sie darüber ratlos und wagten auch nicht, die Schwiegersöhne des Joseph, welche während seiner Abwesenheit über Marias Keuschheit wachen sollten, darüber zu unterrichten. Denn sie alle liebten Maria und wussten, dass sie über alle Maßen gottesfürchtig und tugendvoll war. Darum sagten sie niemanden etwas davon, dass sie plötzlich schwanger geworden war, weil sie um ihr Wohlergehen in größter Sorge waren.

Joseph, dem Maria gleichsam anverlobt worden war, bemerkte natürlich sofort, dass etwas nicht stimmte, und lief ins Haus in die Kammer, in welcher Maria sich versteckt hielt. Und als er eintrat und Maria auf ihrem Schlafgemach, verschüchtert die Decke an sich ziehend, vorfand, da war ihm bei ihrem Anblick sofort klar, dass sie in anderen Umständen war. Denn Maria war bereits im sechsten Monat schwanger.

(B)

Joseph stand, wie von einem Blitzschlag gerührt, in der Tür und starrte Maria ungläubig an. Dann wandte er sich ab, ohne auch nur ein einziges Wort zu ihr zu sagen, schlug sich an die Brust und warf sich auf seine Lagerstätte und vergrub sein Gesicht in seinen Händen und schrie, von größter Seelenpein ergriffen, auf, wie unter Folterschmerzen.

Als seine Söhne mit ihren Frauen ins Haus traten und ihren alten Vater am Boden zerstört auf seinem Lager vorfanden, fragten sie natürlich sogleich entsetzt, was mit ihm sei. Joseph aber schrie nur: „Meine Schwiegersöhne! Holt sie sofort herbei!“ Josephs Söhne ahnten, dass etwas furchtbar Schlimmes mit Maria vorgefallen sein musste, und machten sich sofort auf, ihre Schwäger herbei zu schaffen.

Joseph aber schrie wie im Wahn auf seiner Matte, dass sich seine Schwiegertöchter nicht mehr ins Haus getrauten: „O Gott! O GOTT! Warum musste mir solches noch in meinem hohen Alter widerfahren! Wie könnte ich jetzt je nochmals hintreten vor das Angesicht des HERRN und an Ihn mich wenden – wegen dieses Mädchens! Denn als Jungfrau ist sie mir anvertraut worden aus dem Tempel des HERRN, meines Gottes, und ich habe sie nicht behütet!

Welcher Teufel nur hat solche Schmach und Schande über mich gebracht, dass er der keuschen Jungfrau, die mir anbefohlen worden ist, hinter meinem Rücken ihre Unschuld genommen hat! Wie nur konnte solches in meinem Hause geschehen, dass jemand diese Geweihte Gottes derart beschmutzt und befleckt hat?!

Hat sich denn an mir jenes Unglück wiederholt, das schon unserem Stammvater Adam widerfahren ist? Ergeht es mir nun ebenso, wie es ihn traf? Denn ich war ja im Heiligtum Gottes an einem ehrwürdigen Dienst am Tempel des HERRN, wie jener sich vormals dem Lobpreis Gottes widmete! Doch hinterrücks kam jene hinterhältige Schlange, die Eva allein und unbehütet antraf und aufs Übelste verführte, so dass sie von ihrem HERRN und Gott, dem sie geweiht war, abfiel. Und ebenso ist´s nun auch mir mit jener Jungfrau des HERRN ergangen!“

(C)

Dann aber riss Joseph sich zusammen und fasste sich wieder; denn er wollte nicht, dass seine Schwiegersöhne ihn derart aufgelöst antreffen sollten, sondern wollte bei allem doch seine Würde bewahren.

Sie hatten aber sein Haus noch nicht betreten, als Joseph sie mit überschlagender Stimme streng anfuhr: „Was habt ihr mir nur angetan?! Hab ich euch dies mir anverlobte Mädchen nicht anvertraut, dass ihr über ihre Keuschheit wachen und sie jungfräulich behüten solltet, solange ich mit meinen Söhnen in Jerusalem bin?! Doch wie schändlich habt ihr mir Ehrfurcht erwiesen, dass ich jenes meiner Obhut anvertraute Weib nun schwanger vorfinden muss!“

Johanan, Amazja und Ephraim verschlug es die Sprache. Und sie waren ebenso geschockt wie ihr Schwiegervater, als sie erfuhren, dass Maria in anderen Umständen war. Denn wenngleich es ihnen freilich nicht entgangen war, dass die junge Anverlobte ihres Schwiegervaters seit ihrer Rückkehr aus dem Gebirge Judas von irgendwelchen Beschwerden ermattet danieder lag, hatten sie keine Ahnung, was mit der Geweihten Gottes wirklich los war.

Nicht einmal Ephraim hatte irgend einen Verdacht geschöpft, da Josephs Schwiegertöchter, die Maria nichts Böses wollten, alles daran gesetzt hatten, auch nicht den leisesten Verdacht aufkommen zu lassen. Sie erklärten immer nur, Maria sei einfach geschwächt – jedoch auch nicht derart erkrankt, dass Grund zur Sorge bestünde oder der Rabbi gerufen werden müsste; und sie stellten es so dar, als würde es dem keuschen jungen Mädchen wohl nur einfach plötzlich mehr zu schaffen machen, wenn es ihr nach der Frauenweise erging, wie das bei manchen Jungfern der Fall war.

Die Schwiegersöhne des Joseph fielen gleichsam aus allen Wolken und bekundeten: „Bei Gott! Wir wussten es nicht!“ und riefen die Schwiegertöchter des Joseph herbei, die sich immer noch betreten vor dem Haus der Familie herum-gedruckst hatten: „Warum habt ihr das vor uns verheimlicht?!“, fuhren die Männer sie an. Die Frauen aber begannen zu weinen: „Wir haben es ja selbst erst lange Zeit nicht bemerkt! Dann aber fürchteten wir uns!“

(D)

Amazja, der mit Josephs Tochter Schila verheiratet war, fasste sich als erster und erklärte: „Wir haben fürwahr keine Ahnung, wie das geschehen konnte! Maria war doch die ganze Zeit in ihrer Kammer und saß am Spinnrad, um Garn für den Vorhang zum Allerheiligsten im Tempel des HERRN zu ziehen oder sich dem Gebet zu widmen! Und sie verließ das Haus allein, um Wasser vom Brunnen zu holen!“

„Und wenn ein Fremder ins Dorf gekommen wäre, solange wir auf den Feldern waren, um die Ernte einzubringen“, ergänzte Johanan, der Mann von Josephs Tochter Esther, „so wäre uns das unmöglich verborgen geblieben, hatten wir doch von allen Seiten stets Blick auf das Dorf, auch wenn wir außerhalb von Nazareth waren!“

„Hat Maria denn nie das Dorf verlassen?“, fragte Jakobus, Josephs ältester Sohn, nach. „Nun, sie war für drei Monate bei dem Hohenpriester Zacharias, um seiner Frau beizustehen, die, wie euch sicher auch zu Ohren kam, durch ein Wunder Gottes trotz ihres Alters noch ein Kind empfangen durfte“, antwortete Amazja.

„Aber das hatten wir mit dem Rabbi abgeklärt. Der sah keine Bedenken und wusste um eine vertrauenswürdige Pilger-Gruppe, die Maria auf ihrer Reise nach Jerusalem mitgenommen und direkt ins Haus des Zacharias in Bethanien gebracht hat. Sie war also niemals ohne Aufsicht!“ „Und ebenso wurde Maria von einer zurück-kehrenden Pilgerschar nach Nazareth zurückgebracht“, fügte Johanan hinzu.

„Wenn Maria ihr Gelübde gebrochen hat, so muss dies bei Zacharias im Gebirge Judas geschehen sein. Vielleicht hat Zacharias nicht ausreichend über sie gewacht? Schließlich ist er schon alt und hochbetagt und soll, wie uns zu Ohren kam, auch im Tempel des HERRN zusammen-gebrochen sein, nachdem er am Rauchopfer-Altar im Heiligtum Gottes Dienst getan hat, weswegen man ihn, wie ihr sicher wisst, schon längere Zeit von seinem Aufseher-Amt über den Ausbau des Tempels freigestellt hat.“

„Wann ist sie denn zu ihren Verwandten aufgebrochen?“, wollte Jakobus wissen. „Etwas über einen Monat, nachdem ihr nach Jerusalem hinauf gezogen seid. Und vor etwa fünf Wochen ist sie zurück-gekehrt“, antwortete ihm Ephraim, der Mann von Josephs Tochter Judith, der bislang ziemlich betreten und schuldbewusst geschwiegen hatte.

„Das kann ich mir nicht vorstellen“, winkte Joseph energisch ab. „Zacharias hat ein großes Haus mit einem Gesinde. Ich glaube nicht, dass Maria dort jemals nicht umhütet gewesen wäre! Überdies scheint mir die Magd auch schon weit vorgerückt in ihrer Schwangerschaft zu sein. Es muss sich also schon vorher etwas zugetragen haben – nicht lange nach unserem Weggang.“

Da erinnerte sich Ruth, die mit Josephs Sohn Simon verheiratet war: „Ist Maria nicht einmal am Brunnen in Ohnmacht gefallen? Das war ein, zwei Wochen, bevor sie nach Bethanien hinauf zog. Hattet ihr da nicht zuerst noch Bedenken, ob man sie ziehen lassen könne? Vielleicht waren dies schon erste Anzeichen ihrer Schwangerschaft.“

„Dann muss es schon vorher passiert sein“, folgerte Jakobus, der Erstgeborene des Joseph. „Seid ihr sicher, dass sie sonst nie alleine war und immer im Dorf gewesen ist?“ „Nun“, rückte Amazja widerwillig heraus, „da war nur noch die Hochzeit ihrer Schwester, der Salome, in Kapernaum. Aber da haben wir sie auch nicht allein hin ziehen lassen. Sondern alle deine Töchter und Schwiegertöchter waren dabei, Joseph. Und Ephraim begleitete sie. Wir konnten ja nicht, wegen der Ernte. Aber Ephraim hatte über sie alle gewacht.“

(E)

Da richteten sich alle Blicke auf Ephraim; und der konnte es nicht verhindern, tief-rot anzulaufen und in Atemnot zu geraten. „Sag schon!“, wirschte Joseph ihn an, der Ephraims Schweißausbruch sofort zu deuten wusste: „Was ist vorgefallen?!“

„Nichts! Wirklich nichts! Das hätten wir doch gemerkt – ich, und die anderen Frauen!“ „Also war da was!“, schloss auch Josephs Ältester, Jakobus. „Nun endlich raus mit der Sprache! Was ist vorgefallen?!“

„Wir waren aber alle miteinander übereingekommen, dass ich mit den Frauen allein nach Kapernaum ziehen sollte!“, fiel Ephraim sofort in Verteidigungshaltung. „Wer hätte denn auch ahnen können, dass auf einem so viel genutztem Pfad am hell-lichten Tag …“ – ihm verschlug es die Sprache.

„Ja, was denn nun?!“, drängte Joseph. „Nun, da kamen mit einem Mal einige ziemlich herunter-gekommene Männer wüst den Abhang in den Wald hinunter gestürmt, in dem wir an einer Quelle Rast machten. Ich hieß den Frauen, sich im Dickicht zu verstecken, da ich diese finsteren Gesellen für Wegelagerer oder gottlose Samariter hielt, und um die Unschuld der Frauen fürchtete. Darum rief ich ihnen zu: »Schnell! Versteckt euch!« Und das taten sie dann ja auch.“ „Und dann?“, drängte Joses, einer der Söhne Josephs.

„Nichts! Gar nichts! Es waren Zeloten, auf der Flucht vor den Römern, wie sich herausstellte. Die trafen kurz nach ihnen im Wald ein, nachdem die anderen auch ins Gebüsch geflohen waren.“ „Zu den Frauen!“, folgerte Josephs Sohn Judas, als ob damit alles klar war. „Aber sie waren doch auf der Flucht! Wer käme da auf solch einen Gedanken?!“, hielt Ephraim gegen.

(F)

„Und die Römer?“, hakte Josephs Sohn Simon, der Mann von Ruth, nach. „Ja, freilich! Die sollten die Aufständischen natürlich suchen.“ „Im Wald, wo die Frauen waren!“, triumphierte Judas, als hätte er damit Ephraim überführt.

„Aber dann hätte man doch Schreie hören müssen! Und der Hauptmann hätte seinen rohen Soldaten dann unverzüglich Einhalt geboten! Außerdem hatte Maria nach dem Vorfall beteuert, sie sei von einem Engel des HERRN in strahlender Rüstung umschirmt und behütet worden, und machte auch überhaupt nicht den Eindruck als hätte ihr jemand …!“

Doch da fiel ihm Jakobus schon ins Wort: „UMSCHIRMT?! Von einem himmlischen Krieger in strahlender Rüstung?!“ Ephraim blieb die Spucke weg. Alle Männer blickten ihn und einander an, als wäre damit der Fall sonnenklar.

„Aber wie hätte Maria das als Bewahrung empfinden können, wenn tatsächlich ein römischer Soldat …“ – Ephraim wollte es nicht einmal aussprechen! „Sie kam völlig arglos aus dem Wald! Und auf der Hochzeit steckte sie mit den anderen Frauen den Kopf zusammen und kicherte mit ihnen. Ich hab sie genau beobachtet! Da KANN einfach nichts vorgefallen sein!“

„Was weiß denn dieses junge Ding, die von der Welt abgeschirmt im Heiligtum Gottes aufgewachsen ist, von Männlein und Weiblein! Die wusste wohl garnicht, wie ihr geschah!“, fiel Joses spöttisch ein. „Vielleicht schämte sie sich auch unsäglich dafür, dass sie sich nichts anmerken lassen wollte; – oder sie war so traumatisiert von dem, was ihr da angetan worden ist, dass sie es verdrängt und sich in derartige Fantasien geflüchtet hat!“, gab Simon zu bedenken.

„Aber mich trifft keine Schuld!“, hielt Ephraim gegen: „Ich wollte sie doch nur beschützen! Und dass ich sie allein begleiten sollte, darüber waren wir gemeinsam überein gekommen. Wer hätte denn auch ahnen können, dass so etwas passiert! Am helllichten Tag! Auf einem so viel genutztem Verbindungsweg! Ich kann es ja noch nicht einmal jetzt glauben, dass da … wirklich …“

„Da fällt mir ein“, erinnerte sich Johanan, der Mann von Josephs Tochter Esther, und begann schon schwatzhaft wie ein Waschweib zu werden: „Als Maria damals wieder zu sich kam, als sie am Brunnen das Bewusstsein verloren hatte: Stammelte sie da nicht schon irgend ein wirres Zeug von einem `Sohn´?!“

„Genug! GENUG!“ winkte Joseph, jedes weiteren Wortes überdrüssig, mit einer Hand vor den Augen ab. „Ich will nichts mehr hören! HINAUS! Hinaus mit euch allen! Lasst mich mit ihr allein! Ich werde der Sache auf den Grund gehen!“ Alle stahlen sich betreten davon – auch die Söhne des Joseph, obwohl die ja schließlich überhaupt keine Schuld traf!

Dann aber wandte sich Joseph nochmals um – an seine Schwiegertöchter, die wimmernd ihren Männern hinaus folgten: „Geht und füttert das Vieh! Und dass mir ja keine von euch um das Haus schleicht, um zu horchen! Ich will keine von euch auch nur in der Nähe sehen!“

(G)

Als alle das Haus verlassen hatten, kehrte sich Joseph zur Kammer der ihm Anverlobten und trat in ihr Gemach. Maria, die freilich alles mitbekommen hatte, lag tränenüberströmt, mit geröteten Augen, vor Angst und Scham gekrümmt auf ihrem Lager – ein einziges Häufchen Elend! Und bei aller Wut und Verzweiflung, die in Joseph kochte, befiel ihn bei ihrem Anblick doch Mitleid. Aber er musste hart bleiben, die Angelegenheit aufklären und dann mit aller Härte ahnden! Das verlangte das Gesetz Gottes!

So fuhr er Maria an: „Steh auf und erkläre dich mir!“ Maria stahl sich, furcht-erfüllt ihre Decke an sich drückend, von ihrer Lagerstätte in die Ecke ihrer Kammer. „Du für Gott in Obhut Genommene! Warum hast du mir das angetan?!

Nicht genug, dass du mir aus dem Tempel aufgezwungen worden bist! Nun bringst du auch noch Schimpf und Schande über mein ganzes Haus?!

Hast du denn den HERRN, deinen Gott, ganz vergessen, dass du die hohe Weihe, die dir zuteil geworden ist, so schmählich mit Füßen getreten hast?! Wie konntest du nur deine Seele derart erniedrigen, dich und damit auch mich und mein ganzes Haus derart zu besudeln, die du im Allerheiligsten aufgezogen worden bist und sogar von Engeln gespeist worden sein sollst – wie auch von uns, die wir dich in unser Haus aufgenommen haben?!“

Maria aber weinte bitterlich und beschwor: „Bei Gott, dem Höchsten, der alles sieht: Rein bin ich und weiß von keinem Mann!“ Da schrie Joseph sie an: „Und woher ist dann das da in deinem Leibe?!“ Dann aber versuchte Joseph sich zu mäßigen: Vielleicht war ja dem armen Ding wirklich Gewalt angetan worden, und sie verging über all dem geradezu vor Scham.

Maria, als sie erkannte, dass ihren betagten Gemahlen ein Anflug von Mitgefühl befiel, wagte einen Schritt auf ihn zu, und versuchte, zu erklären: „Hör mich an, Joseph! Du weißt, dass ich Gott fürchte und Ihm stets in allem treu ergeben bin! So glaube mir, wenn ich dir sage, dass mir ein Engel erschienen ist, der mir gekündet hat, Gottes heiliger Geist würde über mich kommen und …“ Doch sie kam nicht weiter. Denn von ihren Worten wurde Joseph derart erzürnt, dass er, nach Luft schnappend, ausholte, um sie nieder-zu-schlagen.

Maria sank vor Joseph wimmernd in die Knie, und tatsächlich war Joseph so in Wut geraten, dass er schwer an sich halten musste, nicht auf sie einzuschlagen.

Aber irgendwo musste sich der heilige Zorn entladen, der über ihn kam. Da riss er sein Gewand über seiner Brust entzwei: „WAS sagst du da?!!! Ist es nicht genug, dass du Gott und mir die Treue gebrochen und dich mit Hurerei besudelt hast?! Willst du nun auch noch den Namen des HERRN SELBST in den Schmutz ziehen, dass du es wagst, zu behaupten, … zu behaupten …!“

Joseph meinte, kurz vor einem Herzinfarkt zu stehen! Solch eine Gotteslästerung! Er brachte es nicht einmal über die Lippen: „Soll nun am Ende Gott selbst für deine unzüchtige Ausgeburt verantwortlich sein?! Geschrieben steht: »Wenn du abtrünnig geworden bist, so wage ja nicht, auch noch zu behaupten: „Der Allmächtige ist verantwortlich! Er hat´s getan! Er hat mich versucht! Wer kann denn Seinem Ratschluss widerstehen?“!«“

Daraufhin brach Joseph – ja, tatsächlich! – in Tränen aus und musste sich in die Knie stützen und um Luft ringen, um nicht auch selbst zu Boden zu gehen: „Wie fromm und gottesfürchtig du dich auch immer gegeben haben magst! Und weiß Gott: Ich war davon schon richtig angetan und begann dich schon wahrhaft lieb zu gewinnen und mich selig zu preisen, dass du ausgerechnet meinem Hause anvertraut worden warst! Was nur ist über dich gekommen, dass du in solch unverzeihliche Sünde gefallen bist?! Aber damit nicht genug! Du scheust dich über allem ja nicht einmal, den Heiligen selbst solch einer schändlichen Tat zu bezichtigen!

Sollte Gott etwa gottlos handeln und der Reine sich selbst verunreinigen, unzüchtig werden und sich derart besudeln?! – und nunmehr selbst tun, wofür Er vorzeiten all jene hohen Herrlichkeiten auf ewig verdammt und in die äußersten Höllen-Abgründe verstoßen hat, die einstmals ihren heiligen Stand und all ihre himmlische Würde vergaßen, dass sie mit Menschentöchtern Schande trieben, wie die verruchten Sünder von Sodom und Gomorra mit den niederen Tieren?! Wage es ja nicht, solch ein lästerliches Wort auch nur noch ein einziges Mal in meinem Haus zu wiederholen! Sonst, weiß Gott!“, und Joseph richtete sich wieder auf, hob die geballte Faust; – sein ganzer von seinem harten Zimmermans-Handwerk gestählter Körper war angespannt: „Weiß Gott! Dann vergess ich mich!“

(H)

Und nachdem Joseph wieder zu Atem gekommen war, reckte er Maria die Handfläche entgegen, als wolle er einen Dämon aus ihr austreiben: „Ich beschwöre dich beim lebendigen Gott: Sage mir, wie du zu diesem Kind gekommen bist!“

Maria aber wand sich heulend zu Josephs Füßen, voller Angst, er könne sie wahrhaftig noch erschlagen, und flehte um Erbarmen: „Wie soll ich dir erklären, was sich selbst nicht begreife?! So wahr Gott, der HERR, lebt: Ich weiß nicht, wie ich dieses Kind empfangen habe!

Doch glaube mir: Es war wahrhaftig kein Mann im Spiel! Ich bin weder dir noch dem HERRN, meinem Gott, untreu geworden, dass ich das Gelübde meiner liebsten Eltern vergessen hätte und die große unerfindliche Gnade verschmäht hätte, die mir widerfahren ist, dem Allerhöchsten geweiht worden zu sein von Kindesbeinen an und sogar in Seinem Heiligtum aufwachsen zu dürfen!“

Und Maria kroch auf Joseph zu und fasste ihn, um Gnade flehend, an den Unterschenkeln: „Doch wenn du mir nicht glauben willst! Tu mit mir, was immer du willst! Nur um EINES bitte ich dich! Warte damit, bis ich das Kind geboren habe, das in mir heranwächst! Siehe, was immer auch geschehen sein mag! Dies arme Kind in meinem Leibe trifft doch – bei Gott! – keine Schuld! So hab Erbarmen! ERBARMEN! – wenigstens mit meinem Kind!“

(I)

Joseph wurde schwindelig und er drohte schon, hinterrücks zu stürzen, konnte sich eben noch am Türrahmen festhalten. Das Ganze ging doch entschieden über seine Kräfte! Noch solche Aufregung in seinem Alter! Er wollte nur noch weg.

Doch Maria hielt ihn an einem Bein fest und fehlte: „Hör mich an, Joseph! Bitte! Geh nicht einfach weg!“ Und sie kramte verzweifelt in ihrem Gewand. „Ich hab hier einen Brief für dich! – von Zacharias, meinem Onkel, wo er dir alles zu erklären versucht!“ Schließlich zog sie ein zusammen-gerolltes Pergament hervor und hielt es ihrem Gemahl entgegen.

Joseph hatte nicht gedacht, dass ihn nach allem irgendetwas noch mehr aus der Fassung hätte bringen können: „Ein Brief von Zacharias?! Dem zweiten Hohenpriester?! Warum hast du das nicht gleich gesagt?!“ Maria sank wieder zu Boden: „Wie sollte ich? – hast du doch MICH zu Rede und Antwort gestellt!“

Joseph wandte sich mit dem Brief aus Marias Kammer. „Nur das eine noch“, rief Maria ihm nach: „Der Engel, der mir kündete, dass ich ein Kind empfangen würde, der war es auch, der mir mitteilte, dass auch meine Tante Elisabeth – trotz ihres hohen Alters! – noch durch ein Wunder Gottes ein Kind empfangen hatte. Und er sagte: »Denn kein Wort, das von Gott kommt, wird je kraftlos sein!« Und siehe, als ich sie aufsuchte, da bestätigte sich´s, dass sie tatsächlich schwanger war! Nur, dass du erkennst, dass es stimmt, was ich dir von jenem Engel gesagt habe!“

Joseph aber – in Gedanken schon ganz bei dem Brief, was ihm Zacharias, der oberste Tempelpriester und Aufseher über allen Arbeiten am Heiligtum, wohl geschrieben haben mochte – sagte nur fast geistesabwesend, als hätte er laut gedacht: „Das kannst du auch auf andere Weise erfahren haben! Du hast dir das alles doch nur ersonnen!“

(J)

Joseph setzte sich an den Tisch, atmete tief durch, öffnete die versiegelte Pergament-Rolle und las den Brief des Zacharias: „Gnade und Friede dir, lieber Joseph, und deinem ganzen Haus! Wundere dich nicht, dass der Stab Aarons im Hause Davids sprosst und der Spross Aarons im Hause Davids aufgeht!

Maria ist eine Geweihte des HERRN! Sie wurde sogar, schon als Kind, wie ich mich selbst überzeugen konnte, im Heiligtum Gottes jede Nacht von Engeln heimgesucht, die sie gespeist hatten.

Als sie das Alter der »Bat Mitzwa« erreicht hatte, ist ihr überdies ein besonderer Engel erschienen, welcher ihr Brot und Wein reichte wie zu einem Hochzeitsmahl. Seine Erscheinung aber glich dem himmlischen Hohenpriester Melchisedek, der schon unserem Vater Abraham erschienen ist.

Auch meine Frau Elisabeth ist, wie du sicher weißt, durch ein Wunder Gottes in ihrem hohen Alter noch schwanger geworden. Als aber Maria zu uns kam, mit dem himmlischen Kind in ihrem Leibe, siehe, da hüpfte das Kind im Schoß meiner Frau vor Glück, und Elisabeth weissagte, dass Maria den Sohn Davids austragen würde, nämlich den Herrn und Sohn Gottes selbst, dessen Ursprünge in die Urzeiten zurück reichen.

So beschwöre ich dich! Verstoße jene Maria nicht, sondern nimm dich ihrer und ihres Kindes an, und sei dem Knäblein, das sie austrägt, ein guter Vater! Denn wie du weißt, bist du hierfür durch Zeichen vom Himmel vom HERRN auserwählt worden und solcher Ehre gewürdigt worden von Ewigkeit her, da du aus dem Haus und Geschlecht des Davids bist, aus dem der Messias kommen soll.

Wenn du dich aber dazu nicht im Stande siehst, Maria zur Frau zu nehmen, so schicke sie zu uns, dass wir uns ihrer annehmen. Doch denke an die Worte des Hohenpriesters Boethos, der dich scharf zurecht gewiesen hat, dem HERRN, der dich erwählt hat, nicht zu widerstehen! Höre auf den HERRN! Der wird dich hüten und bewahren und in allem recht leiten! Es grüßt Dich Zacharias, der stellvertretende Hohepriester des HERRN.“

Joseph verstand, was Zacharias ihm damit sagen wollte, dass er ihm schrieb: „Wundere dich nicht, dass der Stab Aarons im Hause Davids sprosst und der Spross Aarons im Hause Davids aufgeht!“ Denn Maria war mütterlicherseits aus dem hohenpriesterlichen Geschlecht des Aaron, er, Joseph, aber aus dem königlichen Geschlecht des David. Da Maria ihm aber anvertraut und gleichsam anverlobt worden war, kreuzten sich in ihrem Kind, wenn er es denn als sein eigenes annehmen würde, diese beiden Linien – genau, wie es vom Messias prophezeit worden war, dass Er sowohl königlichen wie auch hohenpriesterlichen Geblütes sein würde, wie von Ihm geschrieben steht: „Spruch des HERRN an meinen Herrn: »Setze dich zu Meiner Rechten, bis Ich alle Deine Feinde gemacht habe zum Schemel deiner Füße. In Dir soll der Thron und die Herrschaft der Dynastie des David befestigt werden auf ewig, und Du sollst herrschen bis hin zu aller Welt Enden! Denn Mein Sohn bist du! Heute habe Ich dich gezeugt! Und Mein Hoherpriester bist du, nach der unüberbietbaren Ordnung und Weise des Melchisedek, des großen Königs und gerechten Friedefürsten, in Ewigkeit!.“

So verstand Joseph die Anspielung des Zacharias sehr wohl, dass der Sohn Marias, einer Tochter Aarons, als seiner, des Josephs Frau, der ein Nachkomme Davids war, schon seiner priesterlichen wie königlichen Abkunft nach der Messias sein könnte, den man darum als den höchsten, erst-erwählten »Sohn Gottes« verehren würde. Bei all dem gab es nur einen bedeutsamen Haken. Joseph WAR nicht der Vater dieses Kindes – zumindest nicht der Zeugung nach!

Zacharias hatte in seinem Brief zwar erklärt, dass nach seiner Ansicht Maria durch eine gnadenvolle Heimsuchung des HERRN empfangen hätte und auf übernatürliche Weise schwanger geworden sei.: Aber auch, nachdem Joseph die Zeilen des Zacharias gelesen hatte und wohl verstanden hatte, was Zacharias da andeutete, so konnte er es doch nicht glauben, dass jenes ihm anvertraute Mädchen auf übernatürliche Weise schwanger geworden sein sollte.

(K)

Andererseits war Zacharias nicht irgendwer, sondern der Stellvertreter des Hohenpriesters, in den Heiligen Schriften durchaus bewandert. Gab es doch eine Möglichkeit, wie solches geschehen konnte, dass der Auserwählte Gottes, der von Ewigkeit her zum Heil aller Welt ausersehen worden war, Seiner außergewöhnlichen Weihe gemäß durch ein besonderes Wunder Gottes ins Dasein gerufen werden sollte und entsprechend auch auf eine augenfällige Weise, die Seine göttliche Sendung bestätigen würde, in die Welt treten sollte?

Adam wurde schließlich auch ohne leibliche Eltern erschaffen, allein durch den Hauch aus dem Munde Gottes, so dass in gewisser Weise auch bei ihm allein Gott selbst sein Vater war! Konnte es so dann nicht auch mit dem letzten Adam geschehen, der sich, wie Hiob gekündet hatte, als der erste über den Staub der Verweslichkeit erheben sollte?

Und ebenso Eva: Wurde auch sie nicht ohne eine Mutter erschaffen? – allein aus Adam, ihrem Mann, heraus! Warum sollte nunmehr nicht ebenso umgekehrt der letzte Adam erschaffen werden ohne einen Vater, allein aus einer Frau und neuen Eva heraus?.

Konnte es also doch stimmen, was Maria beteuerte? Kam dieses Kind tatsächlich ohne Zutun eines Mannes aus den Himmeln Gottes? War sie auf übernatürliche Weise schwanger geworden? Oder war ihr Kind am Ende tatsächlich irgendwie eine himmlische Zeugung von Engeln? – oder sogar von DEM Engel des HERRN selbst? Schließlich musste, was den gewöhnlichen Engeln verboten war, noch lange nicht dem ersten und höchsten Engel des HERRN verboten sein, der sich immerhin auch anbeten und Opfer darbringen lassen durfte, was sonst keinem anderen Engel Gottes gestattet war. Und doch: Sollte Gott tatsächlich zeugen, wie ein Mensch zeugt? War solches wirklich denkbar? Was nur sollte Joseph von all dem halten?!

(L)

Joseph trat hinaus vor das Haus und sah seine Söhne zusammen mit seinen Schwiegersöhnen in der Nähe des Brunnens in der Mitte des Dorfes stehen, wo sie offensichtlich auch mit ernster Miene die ganze Angelegenheit beredeten.

Nachdem Joseph den Brief des Zacharias gelesen hatte, hatte er sich wieder etwas beruhigt, war sich aber immer noch nicht klar, was er von all dem halten sollte, und vor allem, wie er damit umgehen sollte. So trat er zu den Männern, die ihre Unterredung einstellten, legte seine Hand auf die Schulter seines Ältesten und sprach zu ihm: „Jakobus! Lass uns ein Stück gehen. Ich will die ganze Sache eingehender mit dir bereden.“

(M)

Wie dankbar war Joseph in diesem Augenblick, dass er einen so frommen, gottesfürchtigen Sohn hatte, der von ganz Nazareth und selbst auch allen umliegenden Dörfern wegen seines tiefen Glaubens und seiner Kenntnis der »Halacha«, der »Überlieferung der Väter« in Fragen der Auslegung des mosaischen Gesetzes, wie auch Joseph selber, hoch angesehen war. So musste Joseph die ihm auferlegte Last nicht alleine tragen und konnte sich mit seinem Erstgeborenen beraten, der einstmals an seiner Stelle das Oberhaupt seines Hauses werden würde.

Josephs Wertschätzung für seinen Sohn ging sogar so weit, dass es ihn nicht gewundert hätte, wenn er, Jakobus, sich einstmals als der Messias Gottes erwiesen hätte, der die verfallene Hütte Davids wieder aufrichten sollte. Denn es war, als wäre auf dem Leben des Jakobus schon von Mutterleibe an ein besonderer göttlicher Segen gelegen; denn Jakobus lebte von Kindesbeinen an ganz Gott ergeben, so dass er schließlich, als er in das Alter kam, auch ein Nasiräer-Gelübde ablegte, niemals berauschenden Wein trank und sein Haar nicht scheren ließ und überdies, bis auf die hohen Feiertage wie Passah, auf jedweden Fleischverzehr verzichtete, wie es einstmals auch der große Prophet Daniel getan hatte. Überdies wollte Jakobus ehelos bleiben, um sein Leben einzig und ausschließlich ganz Gott, dem HERRN, zu weihen. Darum wurde Jakobus schon von allen nur noch der »Zaddik«, der »Gerechte«, genannt.

So wenn Jakobus sich noch als der Messias Gottes ausgewiesen hätte, hätte das Joseph ohne Schwierigkeiten glauben und annehmen können. Immerhin erwarteten alle Bewohner von »Nazareth«, die allesamt der königlichen Nachkommenschaft Davids angehörten, dass einstmals der »Nezer«, der messianische Spross des David, aus ihren Reihen erstehen würde, unter dem das Volk Israel einstmals wieder zu alter heroischer Blüte aufsprossen sollte, weswegen sie auch, nachdem sie sich nach ihrer Rückkehr aus dem babylonischen Exil hier in Galiläa angesiedelt hatten, ihrem Dorf den Namen »Nazareth«, »Spross-Dorf«, gegeben hatten.

Ja, Jakobus, sein Erstgeborener: das wäre ein Messias nach dem Herzen des Joseph gewesen! Aber das Kind einer Geweihten, der auf absonderliche, unnachvollziehbare Weise ihre Keuschheit geraubt worden war, am Ende der heidnische Bastard einer aufgezwungenen Magd, der durch Unzucht und Hurerei gezeugt worden war! Konnte das wirklich der Auserwählte Gottes sein?!

(N)

Joseph ging mit Jakobus hinaus aus dem Dorf in Richtung der Anhöhe, die über einen schroff abfallenden Steilhang einen wunderbaren Blick über die ganze Ebene Jesreel bot. Das brauchte Joseph jetzt: Weite, frische Luft, und den Rat seines geschätzten Sohnes, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Wie dankbar war doch Joseph, dass er so einen Sohn hatte, mit dem er alle bereden und mit dem er sich beraten konnte!

„Ach, Jakobus!“ seufzte Joseph: „Warum musste ausgerechnet über uns solch ein Ungemach kommen?! War es nicht schon genug, dass mir meine liebe Frau, eure Mutter, vor der Zeit genommen wurde und ich als Witwer meine letzten Tage fristen muss? Was wird uns der HERR noch alles auferlegen? Ich weiß einfach nicht, was ich von all dem halten soll! Wie dankbar bin ich bei allem aber doch, dass ich diese Last wenigstens mit dir teilen kann!

Zuerst dachte ich ja, dem armen Ding wäre auf dem Weg nach Kapernaum Gewalt angetan worden. Dann hätte man ja noch Gnade und Barmherzigkeit walten und Nachsicht zeigen können! Denn dann wäre diese Magd ja gänzlich unschuldig ihrer Keuschheit beraubt worden!

Aber nun stell´ dir mal vor, was jene in Schimpf und Schande Gefallene behauptete! Sie wollte mich doch tatsächlich glauben machen, sie hätte von Gott selbst empfangen, ihr Kind wäre vom Heiligen Geist des Höchsten, vom Engel des HERRN, der sich höchstpersönlich an ihr vergangen haben soll! Man stelle sich das einmal vor!

Als sie sich dann derart erdreistete, mit solchen durchtriebenen Ammenmärchen anzufangen, war ich vollends überzeugt, dass sie gänzlich vom Weg der Wahrheit abgekommen sein müsste und sich doch willig und aus freien Stücken irgendeinem ruchlosen Unhold ergeben haben musste, der sie beredet hat, sich mit ihm zusammen der schändlichen Lust und verwerflichen Unzucht hinzugeben und mit ihm Hurerei zu treiben. Denn solch abartige, verrückte Gedanken, meinte ich, könnten doch nur einem Herzen entspringen, dass sich gänzlich der Lüge und Scheinheiligkeit ergeben hat!

Aber dann reichte sie mir einen Brief, von dem Hohenpriester Zebedäus, der wegen seiner tiefen Frömmigkeit, wie du weißt, sogar von den tief-gläubigen Esser-Priestern hoch geachtet wird, die selbst allen Sadduzäer-Priestern wahre Gottesfurcht absprechen! Als ich seine Zeilen las, konnte ich es kaum fassen!“

Inzwischen hatten die beiden die Spitze des Hügels erreicht, der einen wunderbaren Blick über die ganze Ebene Jesreel bot, die in der roten Abendsonne erglühte. Und als sie sich auf der Anhöhe niedergelassen hatten, reichte Joseph seinem Sohn die Schriftrolle des Zacharias: „Aber hier! Lies selbst!“

Jakobus las das Schreiben, blickte nachdenklich in das Abendrot, und schüttelte schließlich ungläubig den Kopf: „Aber wie sollte das zugehen?! Sollen wir glauben, jenes Kind sei von einem Engel Gottes gezeugt worden?! Wurden nicht alle Engel, die sich vorzeiten auf diese Weise vor dem HERRN versündigt hatten, indem sie ihren himmlischen Stand vergaßen und bei Menschentöchtern eingingen, schwer gezüchtigt vom HERRN und in die tiefsten Abgründe hinunter gestoßen, um dort auf ewig gebunden zu bleiben und des Höllenfeuers Qualen erleiden zu müssen? Und nun sollte ein Engel Gottes oder am Ende sogar DER Engel des HERRN selber …?“ Jakobus wagte es nicht, dies auch nur auszusprechen: „Einfach unmöglich! UNMÖGLICH!“

Sein Vater pflichtete dem Jakobus bei: „Das war auch mein allererster Gedanke. Aber dann dachte ich mir: Zacharias ist doch der Oberste der Priester im Tempel des HERRN und überdies ein Mitglied des Hohen Rates, in allen Heiligen Schriften höchst bewandert. Wenn er so etwas doch für möglich hält, …? Und wenn Maria tatsächlich, wie Zacharias berichtetet und wie er es mit eigenen Augen gesehen haben will, von je her, als sie dem HERRN geweiht und in Sein Heiligtum gegeben worden ist, Umgang mit Engeln hatte? Sogar mit dem himmlischen Hohenpriester Melchisedek selber, der mit ihr die Hochzeit vollzogen haben soll!“

(O)

Jakobus schüttelte erneut energisch beteuernd den Kopf: „Nein, Vater, nein! So etwas KANN einfach nicht sein! Siehe, Zacharias ist fürwahr gesegnet worden, dass ihm und seiner Frau in ihrem hohen Alter noch ein Kind geschenkt worden ist, wie einst dem Erzvater Abraham. Und das ist schon für sich ein Wunder, eines, das man noch glauben kann!

Doch könnte es nicht sein, dass sie in ihrem Glück und in ihrer Euphorie jeden Sinn für die Realität verloren haben und nun überall Wunder Gottes ausmachen, so dass dem doch schon recht betagten Priester Zacharias darüber das rechte, nüchterne Urteilsvermögen getrübt worden, um nicht zu sagen: völlig abhanden gekommen ist, so dass er regelrecht einem diabolischen Schwarmgeist verfallen ist? – dass er sogar schon derart grotesken abergläubigen Vorstellungen der Heiden zugeneigt ist, der Gott Israels würde sich wie die höchsten Götter-Väter der Römer und Griechen, deren Jupiter oder Zeus, mit Menschentöchtern heldenhafte Söhne und Titanen zeugen!

(P)

Es ist doch allgemein bekannt, dass dort, wo der HERR Seinen Tempel errichtet, gleich daneben der Satan seine Synagoge baut! Und gar oft ist die teuflische Lüge und Verkehrung von der göttlichen Wahrheit kaum zu unterscheiden!

Wenn jene Magd tatsächlich auf übernatürliche Weise schwanger geworden ist: Wer sagt uns, dass jenes Kind nicht von Dämonen und Teufeln stammt? Denn auch der Satan verstellt sich zum Engel des Lichts!

So dürfen wir uns nicht täuschen lassen, wie es vielleicht dem Zacharias widerfahren ist! Was uns allein Richtschnur sein kann, diabolische Verführung und teuflische Täuschung von der göttlichen Wahrheit und Klarheit zu unterscheiden, ist Mose. Und Mose weiß nichts von einer gottgefälligen Zeugung eines Menschensohnes durch ein himmlisches Wesen! Und auch nicht die Propheten!“

(Q)

Joseph schien sich da nicht mehr so sicher: „Aber heißt es nicht vom Messias: »Mein Sohn bist Du! Heute habe Ich Dich gezeugt!«? Sind das nicht die Worte Gottes höchstpersönlich über Ihn?“

Jakobus entgegnete: „Du weißt, wie dieses Wort von je her nach der Halacha, der Überlieferung unserer ehrwürdigen Väter auf dem rabbinischen Stuhl des Mose gedeutet wurde: Es ist eine Metapher, dass der HERR sich jeden König Israels zum Sohn erwählt, wie Er es auch bei Salomo getan hat, von welchem Er verkündigte: »Er soll Mir Sohn sein! Ich will ihn halten, selbst wenn er sich versündigt.«

Salomo aber war nicht etwa von Gott oder einem Engel gezeugt worden, sondern er war der Sohn Davids. Und ebenso wird es einstmals bei DEM »Sohn Davids« sein, der uns als Messias verheißen ist. Er ist eine Zeugung aus dem Geblüt des Davids, den der HERR aber annehmen wird wie einen Sohn, indem Er ihn mit Seinem Geist salbt, weswegen der »Sohn Davids« schließlich auch der »Messias« und »Christus«, der »Gesalbte«, genannt wird, weil Gott, der Höchste selbst, durch Seinen Geist in Ihm wohnen und Ihn leiten und durch Ihn zu uns sprechen wird.

Aber der Messias ist doch nicht ein »Sohn Gottes« in dem Sinne, dass Er aus Gott selbst hervorgegangen und damit selbst Gott ist! Siehe, Gott zeugt nicht, noch wird Er gezeugt, sondern ist, der Er ist, von Ewigkeit zu Ewigkeit! So bekundete der Höchste selbst es von sich schon dem Mose!“

(R)

Joseph gab zu bedenken: „Und doch scheint es mir, je länger ich darüber grüble, doch denkbar, dass der Christus einstmals trotzdem himmlischer Abkunft ist. Denn kündete nicht schon der Seher Bileam von dem Künftigen: »Es tritt hervor ein Stern aus Jakob« – »ein Stern«, wie von je her die himmlischen Gottes-Söhne genannt werden! Und weissagte nicht ebenso auch der Prophet Maleachi: »Siehe, der Engel des Bundes, den ihr herbei wünscht, Er kommt!«? Und heißt es nicht weiter von Ihm bei Micha: »Er, der Herrscher über Israel sein soll: Seine Ursprünge sind von der Urzeit, von den Tagen der Ewigkeit her!«?“

„Deshalb“, entgegnete Jakobus – und er klang jetzt wie ein Rabbi, der seinem unmündigen Schüler seine neuesten Weisheiten und Erkenntnisse vermitteln würde, „glauben die Essener auch, dass es zwei Messiasse gibt: einen irdischen und einen himmlischen, einen irdischen heldenhaften Krieger und König und einen himmlischen Hohenpriester und Friedefürst, wie bei Sacharja geschrieben steht, dass das göttliche All-Auge zwei Christusse erblickt: zwei göttliche Gesalbte, die wie zwei Ölbäume und Leuchter beständig vor dem HERRN stehen. Denn alles, was auf Erden geschieht, ist ein Spiegel himmlischer Ereignisse.

Und darum heißt es auch bei Maleachi: »Siehe, Ich sende Meinen Boten« – das ist der irdische Messias – »damit er den Weg vor Mir bereiten soll. Und plötzlich kommt zu Seinem Tempel der HERR, den ihr sucht, und der Engel des HERRN, den ihr herbei wünscht, siehe, Er kommt.« So ist es nicht EIN Christus, der kommt, sondern es sind ZWEI: ein irdischer und ein himmlischer!

Aber siehe, der aus den Himmeln kommt, jener himmlische Friedefürst und Melchisedek: Von Ihm heißt es, dass Er den Himmel aufreißen würde und erscheinen würde wie ein Blitz von einem Ende des Himmels bis zum anderen, in einer übergewaltigen himmlischen Herrlichkeitsgestalt, die aus den höchsten Höhen zu uns herabsteigt wie die Sonne, um alle Finsternis zu vertreiben und alle Feinde Israels nieder-zu-strecken allein durch Seine bloße Erscheinung, nur mit dem Hauch Seines Mundes – wie es Sacharja geschildert hat, dass alle Heidenwelt vor ihm aufschrecken und fliehen müsste!

Und wie der Eine auf Erden für uns kämpfen und überwinden wird als der irdische Messias, so wird der Andere als der himmlische Messias für uns in den Himmeln streiten, wo letztlich alle irdischen Geschehnisse entschieden werden. Vielleicht ist der irdische Gesalbte der Elia, dessen Wiederkunft uns verheißen worden ist, der himmlische Gesalbte aber der Erz-Engel Michael, der als Bundes-Engel über das Haus Israel gesetzt ist.

Aber jener »Engel des Bundes« kommt doch nicht als ein unbedeutendes, auf Fürsorge angewiesenes ohnmächtiges Menschenkindlein in diese Welt! Wer hat solches je gehört oder gar verkündigt?! Sondern es wird vielmehr so sein, wie Maleachi alle Gottlosen vermahnt: »Wer aber wird bestehen können am Tag Seiner Ankunft, wenn Jener erscheint! Er wird ein verzehrendes Feuer sein!«

(S)

Joseph kratzte sich an der Stirn: „Ich weiß nicht, ich weiß einfach nicht … Könnte es nicht auch alles ganz anders kommen, als wie wir es aus den unzähligen Prophezeiungen heraus lesen, die mitunter doch recht widersprüchlich sind, so dass wir große Mühe haben, uns einen rechten Reim darauf zu machen?

Zeigt sich das nicht schon daran, dass es die Essener ganz anders deuten und lehren als die Pharisäer, und diese wiederum nicht übereinstimmend mit den Sadduzäern?

Was, wenn Gott doch noch einmal ganz anders kommt und ist und wirkt und das Heil für alle Welt herbei-führt – und am Ende keiner von ihnen Recht behält?

Wenn wir uns auf unsere unzulänglichen Deutungen allzu sehr festlegen: Laufen wir da nicht Gefahr, am Ende zu verkennen, wenn Er wirklich kommt, und zum Schluss sogar noch aus unserer unwissenden Hochmütigkeit noch gegen Ihn streiten?

(T)

Maria lebt nun schon – wie lange? – ich meine an die drei Jahre bei uns! Und sie war immer höchst tugendvoll, wahrhaft erfüllt von der Liebe des HERRN! Und bei allem anfänglichen Widerwillen, den ich, wie du weißt, hatte, sie aufnehmen zu müssen, pries ich mich inzwischen schon selig, dass mir eine solche liebenswürdige, stets hilfsbereite Magd in meinem hohen Alter noch an die Seite gestellt wurde, die all meine Wünsche und Bedürfnisse schon erkannte, ehe ich sie nur aussprechen musste.

Sie erschien mir ebenso gesegnet von Mutterleibe an, wie du es bist, mein lieber Jakobus! Und da soll sie mit einem Mal so tief gefallen sein, dass sie sich der Unzucht und Hurerei hingegeben hat, und überdies noch dreist und unverfroren fromme Fabeln auftischt?

Wenn Maria, die sich allezeit als gottesfürchtig erwiesen hat, über Jahre – ohne auch nur das kleinste Anzeichen von Aufbegehren und Ungehorsam: wenn dieses keusche Mädchen nun so nachdrücklich beteuert, dass sie nicht weiß, wie sie zu dem Kind gekommen ist, als allein das, was ihr jener Engel bekundet haben soll, der ihr erschienen sein soll: wer bin ich da, ihr Zeugnis in Zweifel zu ziehen, zumal es von Zacharias, dem eigentlichen und wahren Hohenpriester Israels nach Gottes Wohlgefallen, überdies noch bestätigt wird?! Heißt es nicht: »Auf der Bekundung aus dem Munde zweier unabhängiger Zeugen wird die Wahrheit stehen«?“

„Nun, so ganz unabhängig voneinander sind diese beiden Zeugnisse dann doch wiederum auch nicht!“, widersprach Jakobus. „Mir scheint es eher so, als hätte jener hochbetagte Zacharias, der aufgrund von einem Schwäche-Anfall schon sein Amt nicht länger ausüben konnte, sich von Maria und ihrer Tante, also von seiner Nichte und Frau, bezirzen und betören lassen, wie du übrigens, Vater, – nichts für ungut! – meiner Meinung nach auch schon Gefahr läufst!

Soll unser Glaube nunmehr auf Frauen-Wort gegründet werden?! War es nicht auch schon in den Uranfängen eine Frau, die den Menschen irregeleitet und verführt hat?“

(U)

Aber Joseph ließ sich aus seinem Gedankengang durch diesen Einwand seines Erstgeborenen nicht herausreißen; und er fuhr fort: „Hatte Gott im Anfang nicht auch aus Adam allein die Eva erschaffen? Und gibt es irgendetwas, was Ihm zu groß und zu wunderbar oder unmöglich ist? Hat Er nicht Adam selbst aus Lehm gebildet und ihm den Odem des Lebens eingeblasen? Ja, kann Er sich nicht selbst sogar aus Steinen Kinder erwecken? Warum dann nicht auch ein Menschenkind aus einer Jungfrau Schoß? – und so einen neuen Adam aus einer neuen Eva?

Würde sich da nicht sogar der Kreis schließen?! Am Anfang erschuf Er die Frau aus dem Mann, die Mutter aus dem Vater. Doch jenes erste Menschengeschlecht ist in Sünde gefallen. Kann es da nicht sein, dass sich der HERR nun ein neues Menschengeschlecht erschaffen will, dass in Seiner Treue bewahrt bleibt, so dass Gott mit uns einen gänzlich neuen Anfang macht, indem Er nunmehr einen neuen Mann aus einer neuen Frau erschafft, den Vater aus der Mutter, um sich aus ihnen ein gänzlich neues Menschengeschlecht zu erschaffen, das nicht dem Bösen anheimfallen kann?

Was ich meine: Muss dieses Kind, wenn es denn wahrhaftig, wie Maria beteuert, auf übernatürliche Weise durch die Kraft Gottes entstanden ist, darum unbedingt eine himmlische Zeugung sein? Kann es nicht auch einfach eine Neu-Schöpfung Gottes sein, ein gänzlich neuer Ur-Adam und Mensch, der die ganze gefallene Menschheit in ein neues geheiligtes Menschsein überführt, welches das Heil noch erlangen soll?

Jakobus konnte es sich nicht verkneifen, zu spötteln: „Du meinst, dass Gott – Seiner alten Schöpfung überdrüssig – aus ihrer Mitte eine völlig neue Schöpfung hervorgehen lässt, aus seiner alten gefallenen Menschheit eine gänzlich neue, Ihm geheiligte, ergebene Menschheit, und am Ende wohl gar noch aus Seinem erwählten Volk Israel ein gänzlich neues Volk Israel?

Das würde ja alles Gewesene von Grund auf umstürzen! Und alles, was bislang gegolten hat, würde jedwede Gültigkeit verlieren! Sogar Mose selbst wäre aufgehoben! Hat solches Mose je gekündet?!

Merkst du nicht selbst, wie du dich da in etwas verrennst? Das klingt alles mehr nach den heidnischen Götter-Mythen als nach dem, was uns Mose von Gott, dem wahren HERRN, gekündet hat! Gott ist Gott und der Mensch ist Mensch! Und dazwischen liegt eine unüberwindliche Kluft! Und wenn Gott tatsächlich solch eine neue Schöpfung hervorbringen wollte, warum hat Er solches niemals in irgend einer Form durch Seine Propheten angekündigt?

(V)

Was du dir da zusammenschusterst, ist doch alles ziemlich weit hergeholt! Vielleicht wurde der Maria schlicht und ergreifend tatsächlich auf dem Weg nach Kapernaum von einem verruchten Samariter oder gar von einem rohen römischen Soldaten Gewalt angetan, und sie, die so behütet im Heiligtum Gottes aufgewachsen ist, dass sie nicht einmal von Männlein und Weiblein zu wissen scheint, ist von diesem furchtbaren Erlebnis derart traumatisiert, dass sie sich in solche Phantastereien flüchtet, durch einen Engel Gottes in strahlender Rüstung zu diesem Kind gekommen zu sein!

Aber deshalb muss man ihr das alles doch nicht glauben! Wahrscheinlich trägt sie einen heidnischen Bastard aus! So wird es wohl sein! Man kann ihr dafür keine Vorwürfe machen. Aber nun ist es eben so passiert.“

(W)

Joseph aber wollte noch nicht kleinbei geben. Sein Sohn, wiewohl er seine Meinung hoch schätzte, hatte ihn doch noch nicht gänzlich überzeugt: „Aber spricht das nicht für ihre Version, dass sie überhaupt erst durch diesen Engel, der ihr wohl dies Kind gemacht hat, erfahren hat, dass auch ihre Tante Elisabeth in ihrem Alter noch empfangen hat?“

Jakobus wollte sich ebenso wenig umstimmen lassen: „Das kann ihr auch auf andere Weise zugetragen worden sein, und sie legte sich das alles nur so zurecht. Oder aber, auch selbst das war schon eine diabolische Täuschung von Dämonen, die uns glauben machen wollen, jene Teufelsbrut sei vom Heiligen Geist!

So kann ich dich nur warnen! So schlimm es für Maria auch sein mag, die vielleicht wirklich gänzlich unschuldig an dem Ganzen ist! Diese ganze Sache ist bei allem doch fürwahr alles andere als koscher! Darum sollten wir uns da nicht auch noch mit hinein ziehen lassen!“

(X)

Joseph seufzte: „Maria war von je her höchst tugendvoll, von jungfräulicher Unschuld! Ich kann es einfach nicht glauben, dass sie durch Hurerei und Unzucht empfangen hat! Wenn ich sie zur Verantwortung ziehe und anzeige und öffentlich bloßstelle, kann das ihren Tod bedeuten, da sie entweder mir oder aber als eine Geweihte Gottes dem HERRN selbst anverlobt war, so dass sie der Untreue und des Ehebruchs schuldig geworden ist. Darauf aber steht die Todesstrafe nach dem Gesetz des Mose! So kann sie dafür gesteinigt werden!

Und überdies würde man von mir verlangen, dass ich den ersten Stein gegen sie erhebe und auf sie werfe! Das kann ich einfach nicht! Wenn ihr am Ende doch Gewalt angetan worden ist, würde sie unschuldig bestraft und ich würde mit meiner Anzeige das Unrecht, das ihr widerfuhr, noch zum Vollmaß bringen!“

Jakobus gab zu bedenken: „Ich weiß, dass das hart und überaus schwer ist! Wenn du sie aber weiterhin in deinem Haus duldest und es aller Welt offensichtlich wird, dass sie schwanger ist, wird jeder fragen, von wem sie empfangen hat. Dann stehst du als einer da, der eine unzüchtige Ehebrecherin und Hure mit ihrem Bastard in seinem Hause duldet und sein Haus nicht reinhält, weil er den Sauerteig nicht aus seiner Mitte entfernt, so dass dieser um sich greift und am Ende noch ganz Israel befällt und unter Gottes Fluch bringt!

Meinst du, man wird es dir als Großherzigkeit auslegen, wenn du jene Gefallene länger in deinem Haus behältst, weil dem Mädchen vielleicht Gewalt angetan worden ist? Man wird vielmehr sagen, du selbst hast dich an jenem jungen Ding vergangen und dich am HERRN versündigt, dass du dich an einer geweihten Jungfrau Gottes vergangen hast!

Du wirst als ein lüsternder Greis und alter Hurenbock gelten, der seine Triebe nicht im Griff hat und sich trotz seines hohen Alters noch wie ein Deckhengst auf jenes unschuldige junge Ding, das ihm zum Schutz anbefohlen worden war, gestürzt und hergemacht hat!

Damit aber bringst du nicht nur dich selbst in Verruf und unter Ächtung, sondern auch dein ganzes Haus, alle deine Söhne und Töchter mit ihren Familien!

So wäge ab, wodurch du größeres Leid und Unrecht verursachst: Indem du diese schützt, von der wir nicht wissen, ob sie sich selbst versündigt hat oder ob ihr Gewalt angetan worden ist, da sie uns nicht enthüllen will, was wirklich geschehen ist, was sie höchst schuldig erscheinen lässt, oder, ob du deine Familie schützt, deren Großherzigkeit missbraucht wurde, dass sie diese Fremde in ihr Haus aufgenommen hat!“

Joseph wusste keine Argumente mehr vorzubringen, sondern sprach nur noch aus seinem wehmütigen, von Mitleid erfüllten Herzen: „Und wenn wir ihr einfach Glauben schenken, so wie Zacharias, und jedem, der es wissen will, dies ebenso bekunden?“

Jakobus aber, der in der Milde seines hochbetagten, lebenserfahrenen Vaters jedoch mehr die Wankelmütigkeit und Unsicherheit des geschwächten Greisenalters erspähen zu müssen meinte, versuchte seinen Alten zu ernüchtern: „Dann wird man erklären, du seist verrückt geworden und von Sinnen! Oder sie werden dir unterstellen, du wolltest mit solchen Ammenmärchen deine eigene Schuld verschleiern und deine eigene Schmach überdecken!

Du kannst es drehen und wenden, wie du willst: Sie kann unmöglich hier in deinem Hause bleiben! Du hast nur zwei Möglichkeiten: Entweder du bringst sie zur Anzeige und lässt die Ältesten über ihr Schicksal entscheiden, oder aber, du entlässt sie heimlich aus deinem Haus. Aber sie hier behalten: Das ist einfach unmöglich!“

(Y)

Dieses Gespräch mit Jakobus, seinem Erstgeborenen, ging dem alten Joseph noch bis tief in die Nacht nach. Er wälzte sich hin und her und konnte einfach keinen Schlaf finden. Und ebenso konnte er auch schon keinen klaren Gedanken mehr fassen: Was sollte er nur tun?! So kreisten seine Überlegungen wie ein unbarmherziger inwendiger Mühlstein, der nicht aufhören wollte, sich über ihn – schwer auf seiner Seele lastend – zu drehen, und der ihn zermürbte, und doch kein Korn hervorbrachte und zur irgendeinem vernünftigen Ergebnis geführt hätte!

Und so wiederholte und wiederholte sich in Joseph die endlose Gedankenspirale unaufhörlich. Er war wie in einem Labyrinth gefangen und auch nicht fähig, auf der Suche nach einem erlösenden Ausgang einfach Rast zu machen und die ganze Sache einfach erst einmal zu überschlafen.

Und so kehrten immer und immer wieder die selben Gedanken zu ihm zurück und meldeten sich zu Wort, wie Ankläger und Verteidiger in einem Gerichtssaal, die eigentlich nichts Neues mehr vorbrachten, aber nicht ablassen wollten von ihrem »Für« und »Wider« in einem schon zur Folter anwachsenden unermüdlichen Prozess:

„Wenn ich sie zur Anzeige bringe und sie am Ende wegen Treuebruch gesteinigt wird, weil sie als eine erachtet wird, die entweder mir oder aber dem HERRN anverlobt worden ist, ihr aber Gewalt angetan wurde in einer so entsetzlichen Weise, dass sie´s selbst nur verdrängen konnte und sich in Fantastereien flüchten musste, dass sie sich´s nur als eine gnadenvolle Heimsuchung durch den Höchsten selbst deuten konnte, die sie sich in ihrer inneren Not ersann, so dass sie im Grunde doch unschuldig ist, und ihr auch so schon entsetzlich großes Unrecht widerfuhr, so versündige ich mich damit schwer an diesem Mädchen, das doch vom HERRN meiner Obhut anvertraut worden ist! Und was erst, wenn es stimmt, was sie beteuert, und das Kind von Engeln stammt?!

Wenn ich sie aber behalte und es aller Welt offensichtlich wird, dass sie empfangen hat, ich sie aber weiterhin unter meinem Dach dulde, so bringe ich Schande nicht allein über mich, sondern mit mir über mein ganzes Haus, auch all meine Söhne und Töchter mit ihren Familien, weil ich dann entweder als einer gelte, der wider alle Anmahnungen des Mose Unreinheit bei sich duldet, die göttliche Weisung zur Bewahrung Seines Volkes missachtet und – ja – gegen das Gesetz des Mose streitet, oder aber als einer, der sich am Ende wohl selbst an diesem jungfräulichen Mädchen vergriffen hat, das doch ganz dem HERRN geweiht worden ist!

So würden meine Söhne und Töchter als Kinder eines Hurenbocks geächtet, der seine Triebe nicht in Zaum zu halten versteht, und mein ganzes Haus käme – freilich! – wie es immer ist: in Sippenhaft genommen! – mit mir unter Schimpf und Schande, Ächtung und Verruf!

Denn niemand würde es mir als Großherzigkeit auslegen, wenn ich jenes Mädchen länger unter meinem Dach dulden würde, sondern man würde sagen, ich würde durch diesen Akt der Nachsicht meine eigene Gottlosigkeit zu verschleiern suchen, dass ich mich in Wahrheit selbst an dem Kind vergangen habe!

So bleibt mir doch eigentlich nur dies Eine: sie heimlich zu entlassen und fortzuschicken! Denn auch für sie wäre es besser, mit dem Kind irgendwo anders aufzuwachsen, wo niemand um sie weiß. Denn dort könnte sie sich als eine junge Witwe ausgeben, so dass auch ihr Kind nicht als ein heidnischer Bastard angesehen würde!

Doch zu Zacharias kann ich sie dann auch nicht geben, da die ganze Priesterschaft darum weiß, dass Maria dem HERRN geweiht worden ist. Doch wohin dann nur mit ihr? Wo kann und soll ich solch demütige Menschen finden, die sich ihrer und ihres Kindes annehmen und sich ihrer erbarmen würden?! Bei den Essenern vielleicht?

Und was, wenn jenes Kind am Ende doch aus den Himmeln ist, und ich mich versündige, dass ich jenem Knäblein und seiner Mutter die Obhut entziehe, zu der Gott, der Höchste selbst, mich durch augenfällige Zeichen vom Himmel her berufen und von Ewigkeit her erwählt hat?!“

Joseph konnte nur noch zum HERRN flehen: „O Gott! Hilf mir! Zeige mir einen Ausweg! Was nur, was nur soll ich tun?!“ – Irgendwann aber übermannte Joseph dann doch der Schlaf.

(Z)

Es war um die Mittagsstunde. Die Luft flimmerte von der Gluthitze der Sonne. Da stießen die Nazarener Maria aus dem Dorf, hinauf auf die Anhöhe mit dem schroffen Steilhang, der furcht-erregend über die ganze Ebene Jesreel empor-ragte, wo am vorigen Abend noch Joseph mit seinem Sohn Jakobus gesessen und darüber nachgesonnen hatte, was er mit Maria tun sollte, nachdem er die ihm anverlobte Geweihte des HERRN schwanger vorgefunden hatte und erkennen musste, dass sie ihr Keuschheitsgelübde gebrochen und damit sowohl Gott als auch ihm, dessen Obhut sie anvertraut worden war, die Treue gebrochen hatte. Die erbosten Nazarener wollten Maria dort oben auf dem Hügel zu Tode bringen: sie steinigen, vielleicht sogar hinunter in die Tiefe stürzen.

Maria, die sie grölend vor sich her trieben, schrie und beschwor die aufgebrachte Meute: „Bitte! Ich flehe euch an! Verschont wenigstens mein Kind, und richtet mich erst, wenn ich es ausgetragen habe!“ Ihre Schwestern, die Schwiegertöchter des Joseph, die mit ihr zusammen im Haus des Zimmermanns und seiner Söhne wohnten, weinten und bettelten ebenso bei Joseph um Gnade.

Der Rabbi aber und die Ältesten der Stadt wirschten Joseph an: „Du musst es tun! So verlangt es das Gesetz! Wir dürfen solche Abtrünnigkeit nicht unter uns dulden, damit das Krebs-Geschwür nicht den ganzen Leib befällt!“

Alle hatten bereits Steine aufgehoben, um sie nach der Ehebrecherin zu werfen und das schwangere Mädchen damit zu erschlagen. Und als sie Maria auf der Anhöhe zu Boden gestoßen hatten und es für sie kein Auskommen mehr gab, da drängten sie den Joseph zu ihr nach vorn und drückten ihm einen schweren Stein in die Hand. „Dir ist diese Geweihte des HERRN gleich einer Anverlobten anvertraut worden. So hat sie dir, nach dem HERRN als dem Nächsten, die Treue gebrochen. Darum obliegt es dir: Wirf den ersten Stein!“

Joseph durchwallten eiskalter Schauer und Schwindel fiel ihn an über dem, was man ihm abverlangte und was er tun sollte. Er blickte um sich in die aufgebrachten Gesichter der frommen Nazarener. Was sollte er nur machen?! Sie alle forderten, dass Maria gerichtet werden sollte! Also wandte er sich zu der zu Boden gestoßenen, klagenden, um Erbarmung winselnden Jungfrau um, die in Schande gefallen war.

(AA)

Doch siehe, da stand mit einem Mal ein Mann in strahlendem weißen Gewand vor ihm. Und das ohrenbetäubende Geschrei der ungehaltenen Dorfbewohner verhallte und verebbte völlig, als würde Joseph in weite Ferne versetzt, obwohl er noch immer, von ihnen umringt, in ihrer Mitte stand. Da sprach jener gelockte Jüngling zu ihm: „Josef, du Sohn Davids! Hab keine Angst wegen dieses Mägdleins! Und fürchte dich nicht, Maria, die dir anverlobt worden ist, zur Frau zu nehmen! Denn was sie empfangen hat, das ist vom Heiligen Geist. Denn diese Geburt ist eine Einsenkung der Ruach, um unter euch Gestalt zu nehmen und als das Licht der Welt und Heil für alle Völker zu erscheinen.

Und sie wird einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen »Jesus« geben. Denn dies ist Sein Wesen: »Heil für alle«, und Er wird Sein Volk retten aus allen seinen Sünden. Aber nicht das gläubige Israel allein, sondern wahrhaft alle Welt!

Und so wird sich erfüllen, was der HERR durch den Propheten Jesaja verheißen hat, der euch weissagte: »Siehe, ein keusches Mädchen – ja: eine unberührte Jungfrau! – wird schwanger werden und einen Sohn gebären, und sie werden Ihm den Namen »Immanuel« geben, was da heißt: »Gott selbst mit uns«. »Denn ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und alle Herrschaft ruht auf Seiner Schulter. Denn Er selbst ist es: der Friedefürst und Wunder-Rat, der heldenhafte Erlöser-Gott und Ewig-Vater selbst! Seine Herrschaft überragt alles und Seines Friedens wird kein Ende sein von nun an bis in Ewigkeit«

Darum fürchte dich nicht! Sondern frohlocke lieber und freue dich! Denn du bist auserwählt worden, der Vater dessen sein zu dürfen, der aller Vater ist; und die Vaterschaft Gottes, des All-Abbas, ist mit dir!

Gesegnet bist du darum in allerhöchstem Maße unter allen Männern; und gesegnet ist auch die Frucht deiner Lenden. Denn deinem Erstgeborenen ist es bestimmt, der erste König und Zepter-Führer werden zu dürfen über das neue Volk, das der Höchste sich aus Israel erwecken will, um dessentwillen die Sonne über dieser Nation noch geraume Zeit auf und untergehen soll, wenngleich sie sich schwer an ihrem Gott und HERRN versündigen wird.“

(AB)

Als der junge Mann dies zu Joseph gesagt hatte, da erwachte er schweißgebadet aus seinem Albtraum, der am Ende doch noch eine glückliche Wendung genommen hatte; und Joseph war inwendig in seinem Herzen vollends überzeugt davon, dass es ein Engel des HERRN war, durch den Gott selbst in diesem Traum-Gesicht zu ihm gesprochen hatte. Denn ihm brannte von der unglaublichen Kunde das Herz und bestätigte ihm, dass es die Enthüllung der überaus wunderbarsten göttlichen Wahrheit war.

Und Joseph erhob sich von seinem Lager und kniete nieder und pries den Gott Israels, der ihm solche Gnade erwiesen hatte, Seinen eingeborenen Sohn aufziehen zu dürfen, als wäre es sein eigener: den verheißenen Messias und Erlöser der ganzen Welt.

Und er ging zu Maria in ihr Gemach und kniete neben ihrem Lager nieder; und Joseph strich ihr das Haar aus dem Gesicht und sprach zu ihr: „Vergib mir, Maria, dass ich an dir gezweifelt hab´! Nun weiß ich es, denn auch mir ist nunmehr ein Engel des HERRN im Traum erschienen und hat es mir bestätigt.“

Und während er so mit Maria sprach, kam der Geist Gottes über ihn, dass er weissagte; denn er war noch in tiefster Ergriffenheit und Verzückung über seinem Traum.

So benedeite er der Maria: „Du bist fürwahr die Geweihte des HERRN, die Er von Ewigkeit her ersehen und auserkoren hat, einstmals Sein Herz und tiefstes Wesen auszutragen, das da selbst in diese Welt treten will, um durch Seine Retterliebe wahrhaft alle zu erlösen – jenen, der uns von allen Uranfängen an, sogar schon unseren Ur-Ahnen, dem Adam und der Eva nach ihrem tiefen Fall, verheißen worden ist: der »Frauen-Same«, der, da Er aus Gott kommt, ohne Zutun eines Mannes ins Leben gerufen wird, um der alten satanischen Schlange, die alle Welt verführt und ins Verderben zieht, ein für alle Mal den Garaus zu machen und ihr das Haupt zu zertreten: Er, in dem der Höchste und Ewig-Vater selbst, unser aller Schöpfer, zu uns kommen will, um Seine ganze Schöpfung zu erlösen, weswegen das Heilige, das in dir heranwächst, auch als der »Sohn Gottes« verehrt werden wird.

Welche Gunst und Gnade und Barmherzigkeit aber, dass es mir vergönnt wurde, dich mit deinem Kind heim zu führen, dass du ausgerechnet mir anvertraut worden bist, obwohl ich voll Unglauben war und gezweifelt habe! Und doch ist es mir vergönnt, Ihm Vater sein zu dürfen, welcher selbst unser aller Ewig-Vater ist, auf dass aus dem Haus und königlichen Geschlecht des David Jener kommen könne, welcher der »Sohn Davids« genannt wird, obwohl Er in Wahrheit doch Gott ist über allem.“

(AC)

Und Joseph rief seine vier Söhne, den Jakobus, den Joses, den Simon und den Judas, zu sich und sprach mit ihnen im Vertrauen. Und er eröffnete ihnen: „Hört, was ich euch zu sagen habe.

Ich weiß jetzt mit Bestimmtheit, und mein Herz kündet es mir eindeutig und zweifelsfrei: Maria hat ihr Keuschheitsgelübde nicht gebrochen und auch keine Schande über uns gebracht, und sie ist auch mir als eine Anverlobte des HERRN nicht untreu geworden.

Wir haben keinerlei Grund, ihre überraschende Schwangerschaft zu beklagen, sondern dürfen uns vielmehr glückselig preisen, dass ausgerechnet unserem Hause solches widerfahren ist. Denn mir ist heute Nacht im Traum ein Engel des HERRN erschienen, und hat mir alles kund getan, dass das Kind in Marias Leib vom Heiligen Geist ist.

Mehr kann und will ich im Augenblick noch nicht darüber sagen. Nur will ich, dass ihr wisst, was vorgefallen ist. Denn ich will mich drei Tage und drei Nächte in die Einöde an einen entlegenen Ort begeben, um den HERRN zu fragen, was nunmehr zu tun mir aufgetragen ist, um das mir vom HERRN zur Obhut anvertraute Weib und das Kind, das sie der Welt schenken wird, recht zu behüten und zu bewahren.

So sorgt euch nicht, wenn ich mich für eine Weile in die Abgeschiedenheit zurück ziehe. Es ist alles in Ordnung mit mir und es lastet keinerlei Kummer und Bedrückung mehr auf meiner Seele. Vielmehr ist mein Herz mit Freude erfüllt, wenngleich ich noch keine Ahnung habe, wie es nun weiter gehen soll. Aber ich will mich in dieser Sache nicht mit Fleisch und Blut beraten, sondern in der Stille erfühlen, was der HERR selbst mir aufs Herz legen wird.“ Und mit diesen Worten entließ Joseph seine Söhne.

(AE)

Als die drei Tage verstrichen waren, kehrte ihr Vater schließlich zurück und rief seine Söhne zu sich und ging mit ihnen hinaus auf den Hügel über der Ebene Jesreel. Und als sie sich auf der Anhöhe niedergelassen hatten, erklärte er ihnen: „Ihr wisst, dass ich in den letzten Tagen den HERRN gesucht habe, um zu erfahren, was Er von mir erwartet. Denn Maria ist mir durch Zeichen vom Himmel sowie auf Anordnung des Hohenpriesters anvertraut worden, dass ich über ihr Wohlergehen wachen soll. So erfahrt nun, was der HERR mir enthüllt und mir aufgetragen hat.“

Und er erzählte ihnen genau in allen Einzelheiten, was vorgefallen war, seit er die ihm anverlobte Maria schwanger vorgefunden hatte, und wie es bei ihm zu einer Gesinnungswandlung kam: was ihm zuerst Maria bekundet hatte, sowie von seinen Zweifel und Unverständnis, und wie die Worte der ihm Anbefohlenen ihn zunächst erzürnt hatten.

Dann las er ihnen den Brief des Zacharias vor und schilderte ihnen den Traum, welchen er in der darauf folgenden Nacht hatte, wie ihm ein Engel vom Himmel enthüllt hatte, dass der Messias tatsächlich auf diese Weise in die Welt kommen sollte und was ihm seither der Geist des HERRN enthüllt hatte, dass dies alles ebenso von den Propheten angekündigt worden war.

Und er schloss mit den Worten: „Ich weiß, dass dies so groß und wunderbar ist, dass ihr´s wohl auch jetzt noch kaum glauben könnt. Und doch kündet mir mein Herz, dass es wahr ist – und eine große Ehre vom HERRN, dass Er mich gewürdigt hat, für dies Sein Kind im Leibe der mir Anverlobten Sorge zu tragen. Darum werde ich der Stimme folge leisten, die mir geboten hat: »Scheue dich nicht, Maria, die dir anverlobt worden ist, zur Frau zu nehmen!«

Deshalb habe ich beschlossen, mich mit Maria zu vermählen und sie in den heiligen Ehestand zu bringen, ehe ihr Kind geboren wird. So soll jenes Knäblein als mein Sohn gelten, und ich will ihm Vater sein, so dass niemand Ihm nachsagen kann, dass Er aus unzüchtigem Verkehr stammt und Er nicht unter der Ächtung aufwachsen muss, ein Huren-Sohn und heidnischer Bastard zu sein.

Mir ist gleichwohl bewusst, dass in ganz Nazareth bekannt ist, dass Maria mir als eine Geweihte des HERRN anvertraut worden ist, damit ich über ihre Unschuld wachen sollte. Und mir ist klar, dass man mir hier im Dorf Übelstes nachsagen würde: dass ich ein lüsternder alter Greis wäre, der seine Triebe nicht im Griff hat, dass ich mich an dem jungen Ding vergangen hätte und mir so die Ehe mit ihr auf verabscheuungswürdige Weise erschlichen hätte, da ich, als sie mir anverlobt worden war, nicht – wie es das göttliche Gesetz gefordert hätte – ihr Gelübde aufgehoben habe und auch nicht öffentlich angezeigt habe, dass ich mit ihr, nachdem sie mir denn anvertraut worden ist, dann auch die Ehe vollziehen wolle.

So werde ich als einer gelten, der abtrünnig geworden ist und das Gesetz des Mose wie die Überlieferungen der altehrwürdigen Väter missachtet. Und ich weiß, dass ich damit Schimpf und Schande nicht allein über mich, sondern über euch alle, mein ganzes Haus brächte.

Darum habe ich beschlossen, mit Maria fortzuziehen zu einer Stunde, da es niemand bemerkt. Denn keiner soll wissen, dass das mir anvertraute Mädchen in anderen Umständen ist. Ich werde mit Maria hinauf zu Zacharias ziehen. Ich bin mir sicher, dass er uns vermählen wird, da er mich angehalten hat, die mir in Obhut Gegebene zur Frau zu nehmen. Auch wüsste ich keinen, der würdiger wäre, uns zu segnen, da Zacharias in die Ratschlüsse des Höchsten nach dem Willen des HERRN eingeweiht worden ist.

Dann werde ich mich mit Maria nach Bethlehem begeben, in die Stadt Davids, die Heimat unserer Vor-Väter, in der, wie ihr wisst, auch euer Großvater Jakob, mein Vater, begraben ist. Und ebenso befindet sich dort auch das Grab des Eli, meines Vaters der Erbfolge nach, dessen Nachlass an mich überging, nachdem mein leiblicher Vater Jakob ihm durch eine Levirats-Ehe mit dessen Witwe den Samen erweckt hatte, da Eli kinderlos starb, mein Vater Jakob, welcher der weit jüngere Halb-Bruder von Elis Großvater Levi war, aber als der nächste Verwandte aus unserem Hause in der Pflicht stand, meinem Vater Eli, dem Enkel seines Halb-Bruders Levi, mich als einen Nachkommen und Erben zu zeugen.

Und ebenso befindet sich dort auch die Ruhestätte eurer Großmutter, meiner Mutter, der Frau des Eli, die mich als ihren und ihres Mannes Sohn und Erben durch die Kraft meines Vaters Jakob empfangen und in Bethlehem aufgezogen hat. Und nicht zu vergessen freilich: eure liebe Mutter, meine geliebte Frau, die wir auch dort bestattet haben, damit ich einstmals, wenn ich mich zu meinen Vätern lege, auch sie an meiner Seite wissen darf.

So werde ich es auch allen unseren Bekannten und Freunden im Dorf darlegen, dass ich mich in Bethlehem, meiner Vater-Stadt, zur Ruhe setzen will, wo ich mit meinem Halb-Bruder Chalpai aufgewachsen bin – mit dem Alphäus, dem Sohn und Erben, welchen mein Stammhalter Jakob sich einige Jahre nach meiner Geburt mit seiner eigenen Frau selbst gezeugt hat.

Denn wie ihr wisst, ist mir Bethlehem von meiner Kindheit gut vertraut, bis wir beide, Halphaios wie auch ich, beschlossen hatten, von dort weg zu ziehen, da an anderen Orten mehr Aussicht bestand, unser erlerntes Handwerk ausüben zu können. Damals zog Kleopas nach Emmaus, ich aber nach Nazareth, da sich auch hier viele Daviden angesiedelt hatten.

Darum müsste es meines Erachtens durchaus glaubhaft erscheinen, wenn ich erkläre, in meiner Herkunft-Stadt in der Nähe des Grabes meiner lieben Frau meine letzten Jahre verbringen zu wollen, um mich einstmals zu meinen Vätern legen zu können, und, dass Maria mich begleiten wird, um im Alter für mich zu sorgen, was schließlich auch alles der Wahrheit entsprechen würde.

Nur ganz wenige will ich in die wahren Hintergründe einweihen – allein diejenigen, welche der HERR mir gezeigt hat, dass ich mich ihnen anvertrauen kann und soll. Sie sollen auch Zeugen unserer Hochzeit sein, um einstmals gegen jeden aufstehen zu können, der behauptet, dass das Knäblein der Maria aus unzüchtigen Verkehr stammen würde und kein Sohn Davids sei. Ihr aber und eure Frauen sollt nicht zur Hochzeit kommen, damit niemand in Nazareth falsche Schlüsse zieht und kein Gerede zu eurem Schaden in Umlauf kommen kann.

Auch werde ich euch damit nicht zur Last fallen, wenn ich mich in Bethlehem niederlassen werde. Denn, wie ihr wisst, wurde von Marias Eltern, die mit allem reichlich gesegnet waren vom HERRN, im Tempel eine großzügige Mitgift für Maria hinterlegt für den Fall, dass ihre Tochter, da sie dem HERRN geweiht worden ist, in die Obhut eines Hauses gegeben werden müsste.

Und bislang haben wir von diesem Geld nichts angerührt. Davon will ich nun nehmen, um ein kleines Haus in Bethlehem zu erwerben, wo ich mit Maria leben kann. Den Rest davon nehmen wir für den Unterhalt. Und da ich, Gott sei´s gedankt, noch gut bei Kräften bin, kann ich vielleicht auch in Bethlehem einem dort ansässigen Zimmermann zur Hand gehen, um uns etwas hinzu zu verdienen.

So lege ich euch durch die Entscheidung, die ich getroffen habe, keinerlei Lasten auf. Und ich werde euch auch nicht um Einverständnis bitten. Denn ich bin doch zuerst und zuletzt dem HERRN und Seinem Willen verpflichtet. Ich hoffe aber, dass ihr meinen Entschluss doch verstehen oder wenigstens annehmen könnt. Es trifft euch ja nichts anderes als das, was es für Folgen hat, wenn ich einstmals gestorben bin.

Freilich ist dies nicht nur ein unsägliches Opfer für mich selbst, euch verlassen zu müssen, sondern ebenso, wie ich wenigstens hoffe, auch für euch, mich nun ziehen lassen zu müssen – vielleicht gar auf ein `Nimmer-Wiedersehen´; denn wer weiß, wohin es mich um dieses Kindes willen noch hin verschlagen mag! Doch ich bin gewiss, dass der HERR uns alle Entbehrungen überreich entlohnen wird, die wir um Seinetwillen auf uns zu nehmen haben.

Dir, Jakobus, als meinem Erstgeborenen, vertraue ich mein Haus, all mein Hab und Gut sowie auch meine Werkstatt an, dass du, wie es im Gesetz des Mose bestimmt ist, fortan als neues Oberhaupt über mein ganzes Haus gestellt bist und für alle Sorge tragen sollst, wie ich es getan habe: über all deine Brüder mit ihren Familien, die hier wohnen, wie auch über deine Schwestern, sofern es erforderlich werden sollte, da sie bereits in andere Familien entlassen und anderen Oberhäuptern anvertraut worden sind.

Nun aber bitte ich euch: Seid nicht betrübt, sondern freut euch in dem HERRN, der uns gewürdigt hat, solche Bürde für Ihn zu tragen. Er wird uns in allem segnen und bewahren! Dessen bin ich gewiss.“

(AF)

Und mit diesen Worten entließ Joseph seine Söhne – bis allein auf Jakobus, mit dem er noch etwas zu besprechen hatte. Joses, Simon und Judas erhoben sich mit betretenen, geradezu verstörten Blicken, wagten es aber nicht, irgendetwas dazu zu sagen, nachdem ihr Vater derart unbeirrbar bestimmt in allem aufgetreten war, was er zu tun gedachte. Auch wussten sie überhaupt nicht, was sie von all dem halten sollten. Sie mussten all das Gehörte erst einmal verarbeiten, und hofften darauf, dass ihr älterer Bruder, der bei ihrem Vater verblieb, nichts unversucht lassen würde, ihm all diese seine Absichten auszureden, wenn er denn überhaupt noch davon abzubringen war.

Als die Söhne des Joseph sich wortlos entfernt hatten, fragte Jakobus seinen Vater: „Hast du ihre Gesichter gesehen? Sie alle verstehen es nicht und können es überhaupt nicht fassen! Sie wagen es zwar nicht, es dir zu sagen, ich aber muss es, da ich der Älteste bin: Sie alle, wie auch ich, halten das, was du da vorhast, für einen großen Fehler! Willst du wirklich alles, deine ganze Familie, aufgeben um dieses fremden, angenommenen Mädchens und ihres Kindes willen, von dem keiner von uns eine wirkliche Ahnung hat, wo es herkommt und was es wirklich ist?!

Ich muss dich noch einmal fragen: Was macht dich so sicher und gewiss, dass dies der Wille Gottes ist? Nur wegen eines Traumes und irgendwelcher Eingebungen, die du in der Wüste unter Entzug von Wasser und Brot in sengender Hitze empfangen zu haben glaubst?“

„Nein, Jakobus“, erklärte Joseph: „Da war weit mehr!“ „Was denn? Hast du etwa wieder einen Engel gesehen?“ „Nein, mehr noch: Ich glaube, es war der Sohn Gottes selbst! Denn siehe, als ich in Versenkung saß, alle meine Sinne ausgerichtet hin zu Gott, und Sein Geist mir alles enthüllt hatte anhand der uns geschenkten Schriften, dass der Höchste sich Seine größte Ehre niemals nehmen lassen will, dass Er nicht selbst Heil und Erlösung brächte und erwirkte für alle, wie auch alle Seine Kinder sind, und als auf diese Weise Sein Wind alle Zweifel, die in mir gärten, hinweg geweht hatte, da trat mit einem Mal jemand neben mich:

Kein Engel, sondern ein Mensch aus Fleisch und Blut mit wallendem lockigem Haar. Und Er kauerte sich neben mir nieder und schrieb Namen in den Sand. Nämlich: Amas, Isaak, Judas und Jakob – jene angesehene Mitglieder des Ältestenrates von Nazareth, dir mir gute Freunde sind; – sowie Lazarus, Asterius, Antonius, Zeras, Samuel, Phinees, Krispus und Agrippa – Jugendfreunde von mir, die damals mit Alphäus, meinem Bruder, nach Emmaus umgesiedelt sind.

Und als Er diese Namen in den Sand geschrieben hatte, blickte jener Menschensohn auf zu mir und sprach: »Diese zwölf sind es: Sie sollen Meine Zeugen sein, dass ich nicht aus Hurerei entsprossen bin, sondern rechtens aus dem Haus und königlichen Geschlecht des David nach dem Gesetz des Mose als dein rechtmäßiger Sohn, wie damit auch der Sohn Davids.«

(AG)

Aber horch! Als Er mir so direkt in die Augen blickte: Du wirst es nicht glauben! Es war, als würde ich in die Augen Marias, eurer Mutter, blicken, so ähnlich sah Er ihr!“

In Jakobus regte sich heftiger Widerwillen: „Betrachtest du jene Maria nun schon so selbstverständlich als deine Frau, dass du sie unsere Mutter nennst?! Verzeih´ mir: Bei aller Liebe! Wenn du meinst, sie heim führen zu müssen, so tu´s! Doch niemals darfst du erwarten, dass wir, deine Söhne, sie als unsere neue Mutter betrachten werden!

Sie ist ja sogar jünger als wir alle, zumindest jünger als alle deine Söhne! Sie könnte uns bestenfalls eine angenommene Schwester sein! Und auch, wenn du sie dir nun zur Frau nehmen willst, damit ihr Kind nicht als Bastard aufwachsen muss, so willst du doch nicht etwa tatsächlich mit ihr die Ehe auch noch wirklich leibhaftig vollziehen?!“

„Verzeih´ mir, mein Sohn! Natürlich nicht! Das war nur ein Versprecher. Oder vielleicht auch nicht: Denn wenn jene Maria tatsächlich unser aller Herrn und Erlöser, den göttlichen Friede-Fürst, austrägt, wird sie uns damit nicht allen, sogar mir, ihrem Gemahlen, gleichsam zur Königin-Mutter werden?“

(AH)

„Vater!“ mokierte sich Jakobus: „Wenn du ein anderer wärst, als der du bist! Nichts für ungut! Aber jedem anderen würde ich erklären, er hätte über all dem, was da über uns gekommen ist, den Verstand verloren und wäre gänzlich von Sinnen! Hat dich die Glut der Sonne gestochen?!

Und überdies: Jener Menschensohn, den du da erblickt haben willst: Wer soll das denn gewesen sein, wenn es kein Engel war? Meinst du, es war DER Menschensohn, den der Prophet Daniel bereits in einer Vision des Zukünftigen ins gleißende Licht der Gottheit aufsteigen sah, über alle Mächte und Gewalten, erhöht über Raum und Zeit? – also der Messias? – jener, den Maria austragen soll? – da du sagtest, Er hätte ihr so ähnlich gesehen wie ein Zwillingsbruder.

Aber wie soll das zugehen? Wie kann Er denn zugleich im Schoß Mariens eben erst werden, sich seiner eigenen Existenz noch nicht einmal bewusst, und dir zugleich erscheinen als ein ausgewachsener Mann?! Merkst du nicht selbst, dass dir die Hitze die Sinne vernebelt haben muss?!“

„Jakobus, ich kann es ja selbst kaum fassen, noch begreifen! Aber eben dies kündet mir, dass es keine Halluzination gewesen sein kann, sondern die Wahrheit sein muss, eine göttliche Wahrheit, die über all unsere Vernunft und unser Verstehen unendlich weit hinaus geht!

Wenn Gott uns in jenem Ungeborenen tatsächlich selbst besuchen will und ein Menschenkindlein wird, so frage ich mich selber: Wie kann Er da zugleich noch das ganze All tragen? Und doch kündet mir mein Herz, dass es nichts Größeres, Großartigeres gibt, als dies, was uns nunmehr, durch all diese Geschehnisse, von der ewigen Gottheit selbst über Ihr wahres Wesen und Ihre eigentliche Natur enthüllt werden soll!

Aber dass all dies kein Tag-Traum von der Glut der Mittagshitze gewesen sein kann, erwies sich mir, als Er mir Seine Hand reichte und mich aufrichtete und sodann Seine andere Hand auf meine Schulter legte, und ich Seine Wärme spürte. Dann hob Er die Hand, mit der Er mich aufgerichtet hatte, über meine Stirn zum Segen.

Und als ich – von Ehrfurcht ergriffen – die Augen schloss, um zu empfangen, da sprach Er: »Sei gesegnet vom dem, der dich auserkoren hat, Ihm zum Vater zu werden nach dem Fleisch: von dem allmächtigen Gott, dem Ewig-Vater von dir und allen!« Und siehe: Dann durchströmten mich Schauer der Freude und des Glücks vom Haupt bis zu den Füßen, als würden Ströme lebendigen Wassers meinen ganzen Leib durchfließen.

Als ich dann aber meine Augen wieder öffnete, siehe, da war Er entschwunden. Ich aber kehrte voll Freude im Herzen zu euch zurück, um euch diese unglaublichste Heimsuchung Gottes zu künden.“

(AI)

Nach diesen Worten legte Joseph väterlich seine Hand auf ein Knie seines Sohnes und erklärte: „Weswegen ich dich aber noch hier behalten habe, Jakobus, und was ich mit dir noch bereden muss: All diese Pläne, die ich habe, müssen vorbereitet werden. Du bist der Älteste, mein Erstgeborener, so dass du am ehesten für mich sprechen kannst. Überdies möchte ich deinen Brüdern die wenigen Wochen nicht nehmen, die sie mit ihren Frauen haben können, bis ihr wieder hinauf müsst nach Jerusalem, um Gerüste für den nächsten Bau-Abschnitt am Tempel zu errichten. Du bist schließlich der einzige von meinen Söhnen, der sich für ein Leben ohne Frau und Kinder, allein für den HERRN entschieden hat.

So bitte ich dich, hinauf zu ziehen zu Zacharias, um ihn zu bitten, an mir und Maria die Trauung zu vollziehen. Ich bin gewiss: Er wird´s auch tun. Und es würde mich nicht wundern, wenn er überdies anbieten sollte, dass die Hochzeit in seinem Haus vollzogen werden kann.

Wenn er dies vorschlägt, dann willige ein und vereinbare mit ihm einen Termin für die Feier. Sie sollte in etwa acht Wochen stattfinden, da Maria nach meinem Dafürhalten so etwa im sechsten Monat sein müsste. Denn sie soll als meine Frau gelten nach dem Gesetz, wenn sie ihre Niederkunft hat.

Wenn du aber mit Zacharias Ort und Zeit festgelegt hast, dann ziehe hinüber nach Emmaus zu meinem Bruder Kleopas und unterrichte ihn über alles, was vorgefallen ist, so, wie ich es euch bezeugt habe. Er soll meine Jugendfreunde in all diese wunderbaren Geheimnisse einweihen, nämlich den Lazarus, den Asterius, den Antonius und seinen Bruder Zeras, sowie die Gebrüder Samuel, Phinees, Krispus und Agrippa. Manche von ihnen sind auch dir von unseren Besuchen bei meinem Bruder, Halphaios, bereits bekannt. Aber du musst nicht persönlich mit ihnen sprechen. Alphäus wird dies schon für mich tun.

Alsdann, bitte ich dich, zieh nach Bethlehem und suche ein kleines bescheidenes leer-stehendes Haus für mich und Maria. Sollte aber nirgends ein angemessenes Heim zum Verkauf stehen, so suche, ein Grundstück für mich zu erwerben, wo ich uns eine Lehmhütte errichten lassen kann.

In diesem Falle sieh dich bitte gleich auch nach Bauarbeitern um, die uns ein Gebäude errichten können. Zwei Drittel von Marias Mitgift werde ich dir anvertrauen. Das dürfte für den Kauf eines Häuschens oder aber eines Bau-Grunds und die Bezahlung der Arbeiter ausreichen.

Für den Fall, dass wir uns selbst erst ein Heim errichten müssen, kündige unsere Ankunft in spätestens zwei Monaten in einer Herberge an, damit sie uns, wenn nötig, eine Unterkunft frei halten, wo wir wohnen können, bis unser neues Zuhause fertig gestellt ist. Kannst du das für mich tun?“

„Du bist mein Vater! Wie könnte ich dir widersprechen oder dir den Gehorsam verweigern, und wenn mir deine Absichten auch noch so unbegreiflich sind!“, antwortete Jakobus seinem Vater offen und ehrlich.

„Ich kann nicht erwarten, dass du all dies schon verstehst, was selbst ich in meinem hohen Alter kaum begreife. Ich kann dich nur aufs Neue bitten, dich mit all deinen Fragen und Bedenken an den HERRN zu wenden, und Ihn zu bitten, alles recht hinaus zu führen, über all unser Begreifen und Verstehen hinaus.“ „Das will ich tun, Vater“, versicherte ihm Jakobus, und erhob sich: „Das will ich tun.“

(AJ)

So brach Jakobus, der Erstgeborene des Joseph, am nächsten Morgen ins Gebirge Juda nach Bethanien auf, wie ihm sein Vater gehießen hatte. Joseph aber nutzte die nächsten Wochen, um jeden Sabbat einen anderen seiner nächsten Freunde zu sich einzuladen, um ihnen der Reihe nach, einem jeden für sich in einem persönlichen Gespräch unter vier Augen, zu eröffnen, dass er mit Maria nach Bethlehem ziehen würde, und sie alle über die wundersamen Geschehnisse, die seinem Hause widerfahren waren, ins Vertrauen zu ziehen und sie zu seiner Vermählung mit Maria einzuladen.

Und da Joseph überall hohes Ansehen als ein `Zaddik´, ein `Gerechter´ Gottes, genoss und wie kein anderer im Gesetz und in den Propheten, wie auch in den Weisheitsschriften und Psalmen bewandert war, konnte er seine Vertrauten auch davon überzeugen, dass all dies im Willen Gottes war und alles eine Erfüllung dessen darstellte, was vom Höchsten über sich selbst von Ewigkeit her ersehen und in den heiligen Schriften angekündigt worden ist.

Denn schließlich waren dem Joseph auch vom HERRN all jene genannt worden, die er einweihen konnte, dass sie einstmals als Zeugen dafür einstehen konnten, dass Marias Sohn rechtens als Sohn und Erbe Davids anzusehen war, so dass Joseph in diesen ihm am nächsten Stehenden doch solche finden sollte, die sich gegen gänzlich Neues, so noch nie Gehörtes, nicht sperrten und ihr Herz dagegen nicht verschlossen, da es von Joseph doch einsichtig aus den Bekundungen Gottes hergeleitet werden konnte, selbst wenn es so groß und wunderbar war, dass es noch in keines Menschen Sinn gekommen war.

Und siehe, der HERR fügte es so, dass Jakobus nach etwa sechs Wochen wieder in Nazareth eintraf – wenige Tage, bevor die Söhne des Joseph wieder hinauf ziehen mussten nach Jerusalem, um dort ihre Arbeiten am Erstellen von Bau-Gerüsten für die Erweiterungsarbeiten am äußeren Tempel-Bereich wieder aufzunehmen, um so weiterhin in ganz besonderer Weise dem HERRN mit ihrem Schreiner-Handwerk zu dienen.

Und Jakobus berichtete seinem Vater Joseph, dass im Haus des Zacharias alles für seine Vermählung mit Maria bereitet würde, und, dass auch Chalpai, der Bruder des Joseph, von ihm unterrichtet worden wäre und sich auch bereit erklärt hatte, ihrer beider Jugendfreunde einzuweihen und zur Hochzeit zu laden.

„Ein Haus konnte ich allerdings nicht erwerben“, musste Jakobus einräumen. „Aber dafür einen Bau-Grund: wunderbar gelegen, auf einem Hügel am Rande von Bethlehem mit einem herrlichen Ausblick über die ganze Stadt. Arbeiter, die dir ein Gebäude errichten können, habe ich auch ausfindig machen und verpflichten können. Ihnen ist es aber frühestens in zwei Monaten möglich, mit der Errichtung eures neuen Heims zu beginnen. Andererseits hast du so die Möglichkeit, alles mit ihnen zu besprechen, wie du euer neues Zuhause genau ausgerichtet und gestaltet haben willst.

Bis dahin Unterkunft in einer Herberge zu finden, dürfte auch keine Schwierigkeiten machen: Es gibt derer drei; und der Hausherr von der Unterkunft, die mir für euch am geeignetsten erschien, ein Mattathias, versicherte mir, es wäre immer Raum in seiner Herberge – bis auf die Zeit der hohen Feste Israels, da dann alle Welt nach Jerusalem strömen würde und alles schnell hoffnungslos ausgebucht sei. Ich habe euch in dieser Herberge bereits angemeldet und angekündigt, dass ihr einige Tage nach eurer Hochzeit dort eintreffen würdet. Dort habt ihr dann eine gute Bleibe, bis euer eigenes Heim errichtet worden ist.“

Als Joseph dies hörte, wurde sein Herz mit Freude erfüllt; und er umarmte seinen Sohn und segnete ihn, und sprach: „Da siehst du, wie der HERR mit uns ist, dass er alles so wunderbar fügt! Weckt dies nicht auch in dir Vertrauen und Glauben, mein zaudernder, zagender Sohn, der noch so von Zweifeln befangen ist?“ Und Joseph grinzte regelrecht spitzbübisch über das ganze Gesicht: „Aber ich bin gewiss, dass der HERR auch dich noch überzeugen wird, wo Er doch selbst mich, Seinen größten Zweifler und Zauderer, noch überzeugen konnte!“

Joseph, der Jakobus über seine spitze Nase, anflunkerte, wirkte auf seinen Sohn geradezu wie ein kleiner Lausbub! Jakobus konnte sich nicht erinnern, seinen Vater schon einmal so erheitert und frohgemut, geradezu erwartungsvoll und abenteuerlustig erlebt zu haben!