8-A: Möge Gott dich behüten!

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Es geschah aber, als Maria annähernd zwei Jahre im Haus des Witwers Joseph gewohnt hatte, dessen Obhut sie aus dem Tempel Gottes durch den Obersten der Priester, Zacharias, ihrem Onkel (a), anvertraut worden war (b), da wurde Joseph zusammen mit seinen vier Söhnen erneut mit Arbeiten am Heiligtum Gottes in Jerusalem beauftragt (c), da allgemein bekannt war, dass er ein rechtschaffener und besonnener Mann war, der sich überdies ausgesprochen gut auf sein Handwerk verstand – wie auch seine Söhne (d).

Denn nunmehr hatte der Ausbau des äußeren Vorhofs der Heiden begonnen. Die mächtigen Tempelmauern mit ihren inwendigen Vorbauten – der überdachten Säulenhalle Salomos an der östlichen Längsseite und der Königlichen Halle mit den Kammern für die Tempeldiener an der südlichen Breitseite – sollten nochmals vergrößert werden, so dass auch wieder Zimmermanns-Arbeiten für die Errichtung von Bau-Gerüsten notwendig waren. So kam es, dass Joseph mit seinen Söhnen nach Jerusalem hinauf ziehen wollte, um dort für längere Zeit an der Tempel-Erweiterung mitzuarbeiten.

Und Joseph sprach zu Maria: „Siehe, ich habe dich in Empfang genommen aus dem Tempel des HERRN, und du lebst nun bereits schon fast zwei Jahre im Kreis meiner Familie und bist inzwischen mit meinen Töchtern und den Frauen meiner Söhne gut vertraut. So meine ich, es spricht nichts mehr dagegen, dich im Kreis der anderen angetrauten Töchter meines Hauses allein zurück zu lassen, so dass ich guten Gewissens mit meinen Söhnen in die Heilige Stadt hinauf ziehen kann, um dort die Zimmer-Arbeiten auszuführen, mit denen wir betraut worden sind. Denn es ist eine große Ehre, am Haus des HERRN mitarbeiten zu dürfen, auf dass es in noch größerer Pracht und Herrlichkeit erstrahlen mag, wie es dem Allerhöchsten in den Himmeln zukommt.

Auch hast du dich als gottesfürchtig und über alle Maßen tugendvoll erwiesen, so dass ich volles Vertrauen in dich habe. So möge Gott, der HERR, dich behüten und bewahren, bis wir wieder nach Nazareth zurück kehren! Denn auch, wenn wir Männer nun fort sein werden für eine längere Zeit, so wird ja doch der HERR mit euch Frauen sein!

Überdies wohnen ja nicht allein die Frauen meiner Söhne in unserem Haus, sondern auch meine Töchter bei ihren Männern in nächster Nähe, so dass ihr alle unter guter Obhut seid.“ (e)

Mit diesen Worten verabschiedete sich Joseph von der ihm anvertrauten Jungfrau Maria (f) und küsste sie, gleich einer lieb-gewonnenen Tochter, auf die Stirn.

Und nachdem sich auch alle seine Söhne von ihren Frauen verabschiedet hatten, machten sie sich auf nach Jerusalem; und die Schwiegertöchter des Joseph gingen mit den anderen aus Nazareth hinaus auf das Feld. Denn es war die Zeit der Ernte. Maria aber nahm das Scharlachfarbige und widmete sich dem Spinnen (g).

8-B: Wirst Du die Kluft überwinden?

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Es war aber bereits über ein Jahr verstrichen, seit Maria – wie viele andere erwählte heilige Frauen – am Spinnen von Fäden für den neuen riesigen, schweren, dicken, doppelten Vorhang des Jerusalemer Tempels saß, der das Allerheiligste, in welchem die Heiligkeit Gottes selbst wohnte, von der Welt abschirmen sollte (a). Und gar oft musste sie dabei an jenes visionäre Erlebnis denken, das sie einstmals im Haus des HERRN hatte, in welchem sie unter der Obhut von keuschen Jungfrauen aufgewachsen war (b).

Dort nämlich war sie jede Nacht noch vor Tagesanbruch durch eine Stimme geweckt worden, die sie rief (c), woraufhin sie sich in den Vorhof der Frauen begeben hatte und dort auf den halbrunden Stufen des Nikanor-Tors zum Heiligtum hin aus der Hand eines Engels des HERRN gespeist wurde (d).

In einer Nacht aber, vor etwa drei Jahren, als sie ihr zwölftes Lebensjahr erreicht hatte und eine »Bat Mitzwa«, eine mündige »Tochter unter dem Gesetz«, geworden war (e), und wie gewohnt, dem all-nächtlichen Ruf folgend, in den Vorhof der Frauen trat, da geschah es, dass sie mit einem Mal zu einem großen Erdbeben hin versetzt wurde, welches den Vorhang zum Allerheiligsten von oben bis unten auseinander riss (f), woraufhin ihr der Engel des HERRN selbst (g) in der Gestalt des himmlischen Hohepriesters Melchisedek erschienen war, der sie in einer Wolke Taus, das aus Seiner Seite quoll (h), rein-wusch (i) und ihr sodann Brot und Wein reichte, wie vorzeiten dem Erz-Vater Abraham (j).

Und als Maria beim Spinnen der Fäden so über ihr damaliges Erlebnis nachsann, da fragte sie sich, ob es jener Vorhang wäre, an welchem sie mit vielen anderen frommen Jungfrauen arbeitete, welcher einstmals auseinander gerissen werden würde, wie sie es in ihrer damaligen Vision gesehen hatte (k).

Und sie überlegte, was dies wohl zu bedeuten hätte, dass jene unüberwindliche, alles Unheilige vom Heiligen streng abtrennende Barriere einstmals auseinander-gerissen würde zum Allerheiligsten Gottes hin, in das bislang niemand hinein-treten durfte als der Hohepriester des HERRN allein, um Versöhnung für alle zu erwirken (l): ob dies bedeuten würde, dass einstmals nichts Trennendes mehr zwischen aller Welt und dem allerhöchsten Heiligen stehen sollte, sondern allen gefallenen Gotteskindern trotz all ihrer beschämenden Unzulänglichkeit und Unwürdigkeit (m) ein freier Zugang eröffnet werden würde ins innerste Licht des göttlichen Herzens hinein (n) – durch jenen höchsten hohenpriesterlichen Engel des HERRN, der auch sie gnädig angesehen hatte und zu ihr getreten war, um sich mit ihr sogar im gemeinsamen Teilen von Brot und Wein (o) gleichwie bei einem Hochzeitsmahl mit einer Braut zu vereinigen und zu vermählen (p).

Und als sie all dies in ihrem Herzen bewegte (q) und darüber nachsann, wie dies je zugehen könnte, da betete sie: „O HERR, Du Aller-Höchster und -Heiligster, dessen reinstem Licht sich fürwahr niemand nahen kann oder auch nur hinein zu blicken vermag! (r) Ach, dass Du doch fürwahr einstmals ebenso die Himmel aufreißen und zu uns allen treten mögest (s) und dadurch jene unendliche Kluft überwinden mögest, die uns alle in unserer Unheiligkeit und Unreinheit von Deinem vollendet heiligen, reinen Wesen trennt, wie Du es mich hast schauen und erleben lassen! (t)

Denn wie unmöglich es auch immer scheinen mag: Nichts ist unmöglich bei Dir! (u) Und wie unendlich tief auch immer sein mag, was uns alle von Dir trennt: Du kannst fürwahr auch die größte Kluft überwinden! (v) Denn wahres letztes Heil kann doch nur gefunden werden ganz in Dir allein!“

8-C: Erfreuliche Einladung

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In diesen Tagen war es auch, als Maria mit ihren Anverwandten zur Hochzeit ihrer Schwester Salome nach Kapernaum eingeladen wurde. Denn ehe Anna und Joachim, die hochbetagten Eltern von Maria und ihrer kleinen Schwester Salome verstorben waren, hatten sie Marias drei Jahre jüngere Schwester im Alter von acht Jahren der Obhut des Itamar und der Hulda anvertraut, welche am See Genezareth eine gut laufende Fischerei unterhielten. Sie sollte nämlich mit deren Sohn Zebedäus vermählt werden, sobald sie ins heiratsfähige Alter kam.

Und nun war endlich die Zeit gekommen, nachdem Salome ihr zwölftes Lebensjahr erreicht hatte und nun auch eine »Bat Mitzwa«, eine mündige »Tochter unter dem Gesetz«, geworden war; Zebedäus nämlich war zu dieser Zeit bereits zwanzig Jahre alt, und er und Salome, die schon seit vier Jahren im Haus des Itamar zusammen lebten, waren bereits gut miteinander vertraut und liebten sich auch innig.

Also stand nun endlich deren Hochzeit an, zu der freilich auch Maria und das ganze Haus des Joseph, das sie aufgenommen hatte, eingeladen worden war. Da nun aber Joseph mit seinen Söhnen im fernen Jerusalem mit der Errichtung von Baugerüsten für die Erweiterungsarbeiten am äußeren Tempel-Bereich betraut war und die Männer dort unabkömmlich waren, kam Ephraim, welcher mit Judith, einer der drei Töchter des Joseph, verheiratet war, mit den anderen beiden Männern der Töchter des Joseph überein, dass er zusammen mit Maria und den anderen beiden Töchtern des Joseph, der Esther und der Schila, sowie mit den Frauen von Joses, Simon und Judas, den ebenso bereits verheirateten Söhnen des Joseph, von Nazareth hinunter nach Kapernaum am See Genezareth ziehen würde, um dort der Hochzeit von Marias Schwester Salome mit dem Fischerssohn Zebedäus beizuwohnen.

Denn auch dem Johanan und dem Amazja, den Männern der anderen beiden Töchter des Joseph, der Esther und der Schila, war es nicht möglich, der Einladung nachzukommen, da die Zeit der zweiten Ernte war. Überdies betrachteten sie sich auch nicht als direkte Verwandte der Maria, welche der Obhut ihres Schwiegervaters als eine Geweihte des HERRN (a) vom Hohenpriester in Jerusalem schließlich mehr oder minder aufgezwungen worden war (b). So begab sich also Ephraim allein zusammen mit den sieben Frauen auf den Weg zum galiläischen Meer nach Kapernaum, das etwa eine Tagesreise entfernt lag.

8-D: Schnell! Versteckt euch!

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Und als sie um die Mittagsstunde die halbe Wegstrecke zurück gelegt hatten, beschlossen sie an einer Quelle, um die herum alles grünte, im Schatten der alten knorrigen Bäume, die dort standen, Rast zu machen. Denn da die Wasserstelle in einer bewaldeten Talsohle lag, war es dort in der Mittagshitze doch recht angenehm frisch und kühl. Als sie sich dort aber eben nieder gelassen hatten, um ihre Wegzehrung zu sich zu nehmen, siehe, da geschah es, dass sie aus der Ferne fünf Männer ins Tal auf sich zustürzen sahen, die ziemlich herunter-gekommen wirkten und überhaupt keinen guten Eindruck auf sie machen, zumal es ziemlich bedrohlich wirkte, wie jene rauen Gesellen auf sie zustürmten.

Ephraim wies in äußerster Erregung sofort die Frauen an: „Schnell! Versteckt euch! Am Ende sind das Wegelagerer, die uns ausrauben wollen!“ (a)

Die Frauen sprangen unvermittelt auf und rannten nach allen Richtungen in die Waldung, um sich im Gehölz zu verstecken, und Ephraim sammelte hastig ihre ausgebreitete Mahlzeit ein, um die Spuren ihres Aufenthalts zu beseitigen. Er wollte daraufhin freilich auch selbst noch das Weite suchen, musste aber erkennen, dass es dafür schon zu spät war, als er ihre Wegzehrung zusammengerauft hatte, da jene auf ihn zustürmenden finstern Gestalten ihn bereits erblickt hatten. Immerhin gab es wenigstens keine Anzeichen mehr, dass er nicht allein war! Denn wie oft hatte man schon gehört, dass solche Straßenräuber sich auch an wehrlosen Frauen vergangen hatten!

Als jene fünf Männer schließlich den Quellen-Hain erreicht hatten, erhob sich Ephraim, in Erwartung, nun wohl niedergeschlagen und ausgeraubt zu werden. Er versuchte aber, sich von seiner Anspannung nichts anmerken zu lassen, und grüßte die bedrohlich wirkenden Gesellen, die auf ihn zustürmten, in der Hoffnung, sie vielleicht beschwichtigen zu können: „Friede sei mit euch! Seid ihr aus Samaria?“

Die fünf Männer aber schienen an ihm überhaupt kein Interesse zu haben. Sie blieben, völlig außer Atem, vor ihm stehen, stützten sich nach Luft hechelnd in die Knie und schlürften sodann eilig aus der Quelle Wasser. „Nein, wir sind Zeloten! Auf der Flucht vor den römischen Bluthunden! Sag ihnen, wir wären weiter den Weg entlang gerannt!“ Und schon waren auch jene fünf Männer, ebenso, wie zuvor die Frauen, in verschiedene Richtungen ins Unterholz geflüchtet.

8-E: Wer hätte damit rechnen können?!

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Gleich darauf erspähte Ephraim ihre Verfolger: einen Trupp römischer Soldaten, die den Hang hinunter in die begrünte Oase im Tal stürmten. Der Hauptmann gab den Befehl, das bewaldete Tal zu durchforsten.

Sodann wandte er sich an Ephraim: „Wohin diese Barbaren geflohen sind, brauche ich dich ja wohl erst garnicht zu fragen! Ihr Juden haltet ja alle zusammen, wenn es nur gegen uns Römer geht! Diese verruchten Hunde haben einen meiner Soldaten nieder-gestochen! Aber in euren Augen ist das ja kein Vergehen, wenn es einen von uns Römern trifft! In euren Augen sind wir ja allesamt Feinde eures auserwählten Volkes und eures Gottes, (a) obwohl wir doch nur Frieden und Ordnung in euer Land zu bringen suchen, dass der größte Unruheherd im ganzen römischen Imperium ist! Und was ihr auch immer wieder vergesst: Ihr selbst wart es, die ihr uns zuerst gerufen habt!“ (b)

Und tatsächlich! Ephraim fühlte sich dadurch keineswegs sicherer, dass nunmehr diese selbst-ernannten heidnischen Ordnungshüter, die ihr Land okkupiert hatten, jetzt auch hier in diesem grünen Tal eingetroffen waren, um jenen fünf Flüchtigen nachzustellen und sogleich den ganzen Wald durchforsteten, in welchem sich seine Gefährtinnen versteckt hielten. Denn auch jenen römischen Besatzern wurde nachgesagt, dass sie sich schon des öfteren an jüdischen Frauen vergangen haben sollten.

So war Ephraim nicht minder von großer Sorge erfüllt, was jene rohen heidnischen Kriegsleute seinen Begleiterinnen im Verborgenen des sie umgebenden Hains antun konnten, wenn sie diese im Gebüsch aufspüren würden; und seine Befürchtungen wuchsen mit jeder Minute an und steigerten sich hin zu den abschauderlichsten Angstphantasien, je länger er mit dem Hauptmann auf die Rückkehr von dessen Soldaten wartete.

Ephraim war aschfahl angelaufen und musste sich setzen, konnte sich nicht mehr auf den Beinen halten. Wie konnte er nur so eine Leichtsinnigkeit begehen, sich allein mit den Frauen auf die Reise nach Kapernaum zu begeben?! Ihn hätte doch von Anfang an klar sein müssen, im Notfall als einziger Mann niemals alle Frauen schützen zu können! Was für Vorhaltungen würde er von Seiten seines Schwiegervaters Joseph und von dessen Söhnen zu hören bekommen, wenn tatsächlich etwas vorfallen würde und wirklich etwas passieren sollte!

Aber immerhin hatten ja schließlich auch Johanan und Amazja, die Männer von Esther und Schila, der anderen beiden Töchter des Joseph, zugestimmt und auch eingewilligt, dass er allein mit den Frauen nach Kapernaum ziehen sollte! Wer hätte auch damit rechnen sollen, dass auf einer derart viel begangenen Wegstrecke am helllichten Tag so etwas passieren konnte!

8-F: Was aber ist mit Maria?!

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Ständig rechnete Ephraim damit, sogleich gequälte Schreie der Frauen aus dem Wald zu hören, weil sie im Gestrüpp geschändet wurden, so dass er bei jedem knisternden Geräusch aus dem Wald zusammenfuhr, als sei dort ein Blitz eingeschlagen.

Nach geraumer Zeit – Ephraim erschien es wie eine Ewigkeit! – kamen aus den verschiedenen Richtungen die Soldaten aus der sie umgebenden Waldung zurück, jeweils mit einer oder zwei seiner Begleiterinnen, die sich im Unterholz versteckt hatten und von ihnen dort aufgefunden worden waren.

Der Hauptmann wirschte seine Soldaten an: „Was bringt ihr da denn an?! Das scheinen mir aber nicht die Verbrecher zu sein, die ihr aufspüren solltet!“ Seine Männer aber erwiderten: „Von den Zeloten keine Spur! Wer weiß, wohin sie sich davon gemacht haben! Alles, was wir ausfindig machen konnten, sind diese Frauen hier, die sich im Dickicht des Waldes versteckt hatten.“

„Gehören die zu dir?“ fragte der Hauptmann den Ephraim. „Ja, wir sind auf den Weg nach Kapernaum, zu einer Hochzeit“, erklärte sich dieser: „Als wir jene rauen Gesellen hierher ins Tal hinunter auf uns zustürmen sahen, hieß ich sie, sich zu verstecken. Denn ich hielt sie für Wegelagerer und Räuber und fürchtete um ihre Unschuld und ihr Wohlergehen.“

„Na, da magst du garnicht so falsch gelegen haben!“, spöttelte der römische Offizier: „Vergiss das nur ja einmal nicht, wer hier vor uns in den Wald ins Unterholz geflüchtet ist, um dort Unterschlupf zu suchen, wenn eine deiner Frauen nun tatsächlich geschwängert worden sein sollte! Nicht, dass uns noch mehr an Übel nachgesagt wird, das aus euren eigenen Reihen kommt!“

Schließlich fehlte nur noch eine der Frauen: Maria; und offensichtlich auch noch einer der römischen Soldaten, da der Hauptmann nun erneut seine Männer in die Richtung ins Dickicht des Waldes schickte, wohin jener »Rufus«, den sie vermissten, gestürmt war.

Wieder schienen Ewigkeiten zu verstreichen. Ephraim musterte die bereits zurück geführten Frauen mit prüfendem Blick. Sie aber nickten ihm beschwichtigend zu, als wollten sie ihm zu verstehen geben, dass alles in Ordnung war und ihnen nichts widerfahren wäre.

Was aber war mit Maria?! Und warum war jener Rufus nicht auch, wie die anderen römischen Soldaten, zurück gekommen?! Hatte jener römische Bluthund die sich ihm bietende Gelegenheit ausgenutzt und sich an Maria vergangen?! Erneut wurde Ephraim von Hitzewallungen erfasst: Nicht auszudenken, wenn ausgerechnet ihr, jener Geweihten des HERRN (a), etwas angetan worden war!

Dann endlich kamen die Soldaten zusammen mit jenem, ihrem Rufus und der von ihm aus dem Wald geführten Maria zurück. „Sie sind uns entwischt! Auch nicht eine Spur!“ erstatteten sie ihrem Oberst Bericht. „Dann sind sie wohl tatsächlich auf dem Weg geblieben“, erwiderte der Hauptmann, „in der Hoffnung, dass wir mit allem rechnen würden, nur damit nicht!

Also weiter! Ihnen nach! Noch wollen wir nicht aufgeben! Sie haben euren Kameraden niedergestreckt! Wir müssen sie zu fassen bekommen!“ Und ebenso unvermittelt, wie all jene Männer – erst diese Samariter, oder auch Zeloten, und dann die ihnen nach-jagenden römischen Bluthunde – hier über ihnen eingefallen waren, waren all diese auch wieder verschwunden.

8-G: Bedenkliche Bewahrung

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Als die römischen Soldaten außer Hörweite waren und auf der anderen Seite der bewaldeten Oase den Hang hinauf jagten, fragte Ephraim die Frauen: „Alles in Ordnung? Ist euch auch nichts widerfahren?!“ Seine Begleiterinnen aber nickten alle erleichtert und beteuerten: „Gelobt sei der HERR! Er hat uns bewahrt!“

Ephraim warf einen prüfenden Blick auf Maria, die geschwiegen hatte. „Maria?!“ sprach er sie verunsichert an. Aber auch sie versicherte: „Keine Sorge! Mir ist nichts geschehen! Denn siehe: ein Engel des HERRN in strahlender Rüstung trat direkt vor mich und hat mich umschirmt und in seinem Gewandbausch verborgen und mich beruhigt und bewahrt.“

Aber eben diese Bekundung Marias schien Ephraim noch mehr zu beunruhigen, als ihm seine Sorge zu nehmen! Wohl wusste er von dem Gerede unter den Töchtern Josephs, Maria solle als eine Geweihte des HERRN im Tempel Gottes von Engeln gespeist worden sein (a). Aber das alles hatte er freilich für Frauen-Tratsch gehalten!

Aber nun diese Bekundung Marias, ein Engel in strahlender Rüstung sei zu ihr getreten und hätte sie … „umschirmt“ …? Was hatte er von dieser Schilderung Marias zu halten?

Ja! Sie war schon fünfzehn Jahre alt, in einem durchaus empfänglichen Alter! Aber noch derart unbedarft! – was ja auch kein Wunder war, nachdem sie, von allem Unbill der Welt abgeschirmt, im Heiligtum des HERRN aufgewachsen war! (b) Was konnte jenes keusche, jungfräuliche Mädchen in seiner Unschuld denn überhaupt schon davon wissen, was sich zwischen Mann und Frau alles abspielen konnte?!

Jemand war zu ihr getreten und bei ihr gewesen, wie sie selbst erklärt hatte, der sie … „umschirmt“ … haben soll. Doch was war von diesem Engel in strahlender Rüstung und seiner … „Umschirmung“ zu halten?! Sollte dies wirklich ein Schutzpatron des Höchsten gewesen sein, der sie als eine Geweihte des HERRN behütet hatte?

Was, wenn am Ende mit jener keuschen Maria vielmehr etwas geschehen war, das sie in ihrer Unbedarftheit und noch regelrecht kindlichen Unschuld nicht besser zu deuten wusste?! Aber wenn ihr tatsächlich Gewalt angetan worden wäre: Wie hätte sie dies als eine Bergung und Bewahrung empfinden können?!

Ephraim versuchte, sich seine schlimmste Befürchtungen selbst auszureden: Wie unwahrscheinlich das auch klang, was Maria bekundete, dass ein Engel des HERRN zu ihr getreten war, um sie zu schützen und zu bewahren: Warum sollte es nicht stimmen können? Schließlich war sie doch tatsächlich von ihren Eltern ganz dem HERRN geweiht worden! (c)

Und war es nicht wahrhaftig schon etwas ganz Außergewöhnliches, dass sie als ein junges Mädchen tatsächlich im Tempel des HERRN aufwachsen konnte (d), was einzig und allein in dieser Zeit während des Ausbaus des Tempels (e) keuschen Jungfrauen zugestanden wurde, dass sie im heiligen Bereich wohnen durften, um dort für das Labsal der essenischen Priester zu sorgen, die an der Vergrößerung des Hauses des HERRN arbeiteten?

8-H: Es wird schon nichts passiert sein!

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Vielleicht war jene Maria ja tatsächlich in ganz besonderer Weise vom HERRN auserkoren worden (a) und erlebte darum auch in ganz außerordentlicher Weise Seine Umschirmung und Bewahrung! (b) Wer konnte das wissen?!

Sie machte auf jeden Fall nicht den Eindruck, irgendein schockierendes Erlebnis hinter sich zu haben, auch wenn an ihrem Gewand einige abgerissene klebrige Mistel-Zweige hingen, von denen sie sich, jedoch ohne großes Aufhebens darum zu machen, völlig arglos befreite.

Und irgendwelche Schreie hatte es ja auch nicht gegeben! Also versuchte Ephraim, sich selbst seine Angst-Phantasien ausreden: Es wird schon tatsächlich nichts passiert sein! Hoffentlich nicht! Nicht auszudenken, was er zu hören bekäme, wenn Maria mit einem Male doch schwanger erfunden würde! (c)

So benedeite Ephraim dem Höchsten, wenngleich es schon fast mehr eine Beschwörung war: „So sei der Allmächtige gepriesen, dass Er uns alle doch noch einmal vor Unheil bewahrt hat!“ Und sie alle machten sich eilends wieder auf ihren Weg nach Kapernaum. Denn ihnen allen war nach dem widerfahrenen Schreck nicht mehr nach Rast und Stärkung zumute. Sie wollten alle nur weg von dieser bewaldeten Oase im Tal, deren Bergung im Schatten der Bäume sich als höchst fragwürdig und trügerisch erwiesen hatte.

So begaben sie sich in das Fischerdorf am See Genezareth, um dort mit Marias Schwester deren Hochzeit zu feiern. Und nach dem großen Vermählungsfest schlossen sie sich auf dem Rückweg hinauf nach Nazareth einer größeren Reisegruppe an, um im Schutz dieser Gemeinschaft sicher in ihr Heimatdorf zurück zu kehren.