Syn-Evangelium
(Studien-Fassung)

Das großartige Evangelium des vollkommenen Lebens
im Schatz der unverlierbaren Liebe Jesu Christi

II Die Ausbildung

12-A: Bedrohliche Schatten

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Maria warf ihrem Gatten einen bekümmerten Blick zu und wies ihm mit einer Kopfbewegung, in die hügelige Steppe zu schauen. „Hast du sie auch schon bemerkt?“, flüsterte Joseph ihr zu. Denn sie wollten beide ihre besorgnis-erregende Entdeckung vor ihrem Jungen geheim-halten: Über die Anhöhen des brachen Landes folgte ihnen ein Rudel Wölfe!

Immer wieder tauchten sie zwischen den Felsen auf und blickten nach ihnen, um dann wieder zwischen den umliegenden Hügeln zu verschwinden. Bestimmt wollten sie nur eine günstige Gelegenheit abpassen, um über sie herzufallen!

Darum hielt Joseph Maria und ihren Buben auch bis tief in die Nacht zum zügigen Weitergehen an. „Nur in Bewegung bleiben!“, dachte er sich: „Solange wir ihnen nicht geschwächt und ermattet erscheinen, werden sie es wohl nicht wagen, uns anzugreifen, nachdem sie es bislang unterlassen haben“ – obwohl es dem Rudel Wölfe wohl ein Leichtes gewesen wäre, sie nieder zu machen! Das waren, wie Joseph irgendwann ermittelt zu haben glaubte, bestimmt an die sieben Wölfe, die ihnen da versteckt heimlich folgten!

„Papa! Wann schlagen wir denn endlich unser Nacht-Lager auf?! Es ist doch schon stockdunkel! Ich kann einfach nicht mehr!“, quengelte schließlich irgendwann ihr Kleiner, der sich bis dahin, ohne zu meutern, doch ausgesprochen wacker geschlagen hatte. „Gleich, mein Junge! Bald ist es geschafft!“, versuchte Joseph, seinen Jesus hinzuhalten.

Zum Glück kamen sie dann aber endlich in eine felsige, gebirgige Gegend, wo sich auch viele verdorrte Sträucher fanden. Und da zeigte sich unter dem klaren Sternenhimmel sogar so etwas wie eine Höhle unter einem Felsen-Vorsprung.

Es hatte keinen Sinn mehr, weiter vor den Wölfen zu flüchten. Denn im Gegensatz zu ihnen schienen die Schatten, die sie verfolgten, nicht im Mindesten zu ermüden! Und immer wieder sah Joseph die funkelnden Augen der Wölfe, die aus der Finsternis hervor-leuchteten, wie feurige Kohlen.

„Schnell!“, wies er Maria und Jesus an: „Bringt mir Reisigballen von den verdorbenen Gestrüppen dort. Ich will uns ein Feuer machen.“

Gesagt, getan! Und Josephs Gebete wurden erhört, dass es ihm tatsächlich relativ schnell gelang, die abgestorbenen Zweige zu entzünden. Dann sammelte er noch weitere dürre Äste auf – mit einer brennenden Fackel in der Hand.

12-B: Habe Ich es euch nicht gesagt?

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Maria und Jesus sollten mit ihrem Esel unter den Felsen-Vorsprung hinter ihrer Feuerstelle bleiben. Schließlich legte Maria sich mit ihrem Jungen auf einer ausgebreiteten Decke zum Schlafen. Sie tat zumindest so, damit sich wenigstens ihr Bub erholen konnte. Denn an Schlaf war für sie in dieser bedrohlichen Situation freilich nicht zu denken. Ebenso erging es natürlich auch Joseph, der in aufrechtem Sitz hinter dem Feuer Wache hielt, um seine Familie zu beschützen und das Gestrüpp am Brennen zu halten. Das würde die Wölfe bestimmt fern halten! So hoffte er es zumindest.

Da sie alle von der langen Tagesreise ohne Unterbrechung aber doch ziemlich erschöpft waren, übermannte sie alle am Ende aber doch der Schlaf – bis ein Knistern den Joseph aufschrecken ließ: „O nein! Wie konnte das passieren!“ Er war tatsächlich eingeschlafen, und ihr Feuer war schon aus Mangel an Nahrung so gut wie ausgegangen, nur noch ganz schwach am Glimmen!

Joseph versuchte verzweifelt, das Feuer wieder zu entzünden. Doch es war schon zu spät! Denn er sah schon jene furcht-erregenden Schatten mit ihren funkelnden Augen – erregt mit ihren Schwänzen wedelnd – auf sie zukommen! Es war zu spät! Sie waren bereits umzingelt! Die Wölfe hatten geduldig den besten Moment abgepasst! Es gab absolut kein Entrinnen mehr!

Maria schreckte auf, als Joseph aufsprang, um sie mit seinem Wanderstab zu verteidigen. Und da wachte freilich auch ihr Junge auf: „Bleibt immer hinter mir!“, schrie Joseph in Panik: „Ich werde versuchen, sie mit meinem Stab abzuwehren!“

„Aber Vater!“, rief da Jesus: „Du musst doch keine Angst vor diesen Wölfen haben!“ (a) Und ebenso versuchte der Junge, Seine Mutter zu beruhigen: „Und auch du, Mama: Fürchte dich doch nicht!

Diese Wölfe sind nicht gekommen, um uns zu zerfleischen, sondern vielmehr, um uns zu begrüßen und uns zu beschützen! (b) Denn sie spüren, von wem Ich ausgegangen bin, und suchen nur Meine Nähe! Denn alle Geschöpfe Gottes verlangen nach der Liebe, die aus Seinem Herzen strömt!“ (c)

Und schon war Jesus aufgesprungen, ehe Maria – darüber vor Schreck erstarrt – Ihn halten konnte, und an Seinem Vater Joseph, der mit dem Rücken zu ihnen mit seinem Stab in der Hand in Verteidigungs-Haltung stand, vorbei-geschlüpft; und Er kniete einige Schritte vor ihnen nieder.

Und siehe: Da kamen die Wölfe mit wedelndem Schwanz zu Ihm, als würden sie ein Familienmitglied begrüßen! Und sie ließen sich von dem kleinen Jesus beherzt umarmen und graulen! Denn sie senkten ihre Köpfe und schmiegten sie an Ihn und genossen Seine Streicheleinheiten, wie es sich an ihrem aufgerichteten Fell und Ohren zeigte; und ebenso taten sie dem Jungen ihre Zuneigung und Ergebenheit kund (d).

„Habe Ich es euch nicht gesagt?“, lachte der Junge, zu Seinen vor Entsetzen erstarrten Eltern gewandt: „Es besteht keinerlei Grund zur Furcht, wie auch diese Geschöpfe Gottes jede Scheu vor uns verloren haben! (e) Denn sie spüren und genießen die Gegenwart der Liebe Gottes! Und sie begleiten uns nur, weil auch sie so sehr danach Verlangen haben, – aber auch, um uns zu beschützen!“ (f)

12-C: Keine Chance, an den Jungen heranzukommen!

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Dann legte Jesus sich zu Füßen der Wölfe zum Schlafen nieder; und sie alle sich um Ihn herum, als wäre Er das Nesthäkchen ihres Rudels, das sie alle wohlig wärmen wollten (a).

Sowohl Maria als auch Joseph verschlug es den Atem und sie starrten einander ungläubig an. An Schlafen war für sie freilich nicht mehr zu denken! Ihr Sohn schlummerte friedlich inmitten reißender Bestien, und diese ebenso um Ihn herum!

Joseph versuchte einmal, als auch alle Wölfe zu ruhen schienen, sich zu erheben, um den Jungen, der von dem Rudel der wilden Tiere umgeben war und der im Kreis der Wölfe selig schlief, wieder zu ihnen zu holen. Doch da wurde er von einem der Wölfe mit fletschenden Zähnen derart grimmig angeknurrt, dass er es nicht wagte, sich dieser schlafenden Runde zu nähern.

Schließlich siegte auch über Maria und Joseph irgendwann erneut die Müdigkeit und Erschöpfung, so dass sie doch noch – inwendig inbrünstig zum Höchsten um Bewahrung flehend – vom Schlaf übermannt wurden. – …

„O Gott! Nun ist es doch noch passiert!“ Ein grausiges Knurren und Fletschen riss Joseph aus dem Schlaf! Es war noch halbdunkel, kurz vor Tagesanbruch. Und er sah, wie die dunkeln Schatten der Wölfe wild aufgebracht über eine am Boden liegende, von Todesangst erfasste Gestalt herfielen! O nein! Hatten sie sich nun doch noch über ihren Jungen hergemacht, um Ihn zu zerfleischen?!

Aber dann erkannte Joseph, dass Jesus hinter den Wölfen lag, sich schließlich aufrichtete und sich die Augen rieb. Nun ging die Sonne auf, die sogleich unvermittelt die diffuse Szenerie erhellte. Da wurde Joseph deutlich, dass die Wölfe nach einem Fremden schnappten und an seinen Kleidern rissen; und diese finstere Gestalt hatte ihre liebe Not, sich ihrer zu erwehren und davon-zu-kommen.

Die Wölfe folgten dem Mann jedoch nicht. Ihnen war offensichtlich nur daran gelegen, das Kind, das in ihrer Mitte geschlafen hatte, zu beschützen.

Und dann erspähte Joseph noch zwei weitere üble Gesellen, die mit ihrem vor den Wölfen davon stolpernden Kumpan die Flucht ergriffen und das Weite suchten. Das mussten Wegelagerer sein, von denen man immer wieder hörte, dass sie Reisende überfielen und übel zurichteten, sofern sie diese nicht sogar erschlugen, selbst, oder gerade, wenn diese nicht viel Raub-Gut boten (b).

So hatte sich das Rudel Wölfe, das sie zunächst für eine fürchterliche Bedrohung hielten, am Ende als eine göttliche Bewahrung erwiesen! (c)

12-D: Wie begnadet wir doch sind!

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In den folgenden Tagen schlossen sich dem Rudel Wölfe, die sie begleiteten, noch eine Unzahl anderer wilder Tiere an, die in der Wüste lebten: Gazellen und Wildesel, streunende Widder und Ziegen, Rebhühner und allerlei Federvieh – ja, sogar Löwen und Leoparden stellten sich ein!

Aber inzwischen hatten auch Maria und Joseph jede Furcht vor den wilden Tieren verloren und begannen, in ihnen eher einen himmlischen Geleitschutz, als eine Bedrohung zu sehen. Denn all diese Tiere gingen friedlich paarweise nebeneinander einher, als befänden sie sich auf dem Weg zur Arche Gottes! (a)

Auch hielten all diese Bewohner der Steppe gebührenden Abstand, als wollten sie in Respekt vor ihrem König, nach dem sie beständig Ausschau hielten, dessen Privatsphäre nicht verletzen.

Und o Wunder: da liefen Lämmer neben Löwen und Kälber neben Leoparden und Wild-Ziegen neben Wölfen, ohne sich von Letzteren bedroht zu fühlen oder von ihnen gerissen zu werden! Und als Maria ihren Gemahlen darauf hinwies, sprach sie zu ihm: „Wie gesegnet sind wir doch, dass wir gewürdigt wurden, den aufziehen zu dürfen, der sogar unter den wilden Tieren Frieden aufzurichten vermag und der sogar den reißenden Bestien ihr angeborenes, ihnen in dieser gefallenen Welt aufgezwungenes Verlangen nach Jagen und Töten nimmt, wie auch den friedliebenden, wehrlosen Geschöpfen ihre Scheu vor ihren einstigen Todfeinden!

Ja, wie begnadet sind wird doch, dass wir den unter unserer Obhut heranreifen und aufwachsen sehen dürfen, der noch einmal alles wieder heil und gut macht – nicht nur für unser Menschengeschlecht, sondern wahrlich für alle Geschöpfe Gottes!“ (b)

12-E: Innige Abschiednahme

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Schließlich näherten sie sich nach einigen Tagen wieder bewohnten Gebieten, den ersten entlegenen Ortschaften von Idumäa, das südlich ihres Heimatlandes lag.

Da rannte Jesus unvermittelt los, drehte sich um und rief zu Seinen Eltern: „Wartet hier!“ und winkte sodann alle Bewohner der Wildnis zu sich, drückte und herzte, streichelte und graulte sie und verabschiedete sich innig von Seinen tierischen Freunden (a). Und sie alle warteten geduldig, wie zugleich erwartungsvoll ihrer Liebkosung entgegen-sehend, bis sie an der Reihe waren, um sich dann, nach einer persönlichen Verabschiedung, wieder in alle Richtungen der Wildnis zu begeben.

So erfüllte sich die Weissagung des Propheten Jesaja: „Die für so unvernünftig gehaltenen Tiere (b) erkennen ihren Herrn! (c) Der Mensch jedoch? Er nicht!“ (c)