15-A: Das Ende des Herodes

→ zu den Fußnoten

Schon kurz, nachdem Herodes alle kleinen Knäblein in Bethlehem eiskalt brutal hatte abschlachten lassen (a), ereilte ihn unverzüglich das göttliche Gericht, da er seine grausamen, abscheulichen Untaten zu einem solchen Vollmaß gebracht hatte (b), dass sogar die unendliche Langmut und Nachsicht des HERRN (c), selbst auch gegen die Undankbarsten und Bösesten (d), über alle erdenklichen Gebühren hinaus strapaziert worden war und sich die göttliche Geduld endgültig erschöpft hatte, nachdem der HERR so unendlich lange all die unzähligen Freveltaten erduldet hatte, mit welchen jener auch der Gottheit selbst Gewalt angetan und Ihr Leid zugefügt und Sie verletzt hatte (e), wobei trotz allem doch selbst sogar auch Herodes dem mütterlichen Abba-Herzen ein geliebtes Kind blieb, dessen Herz Es, wie eine jede andere Seele, suchte (f).

Denn unser aller Treuebruch, wie furchtbar und grauenhaft er auch immer ausfallen und zu Tage treten mag (g), kann die unerschöpfliche Liebe und Treue der Gottheit doch niemals aufheben! (h) Aber auch, wenn die göttliche Agape wahrhaft alle Sünden vergibt, so kann Sie diese doch nicht ungestraft lassen (i), so dass eine jede Seele trotzdem irgendwann ernten muss, was sie gesät hat (j).

Darum wurde Herodes in den letzten Jahren seines Lebens in zunehmendem Maße mit vielerlei äußerst schmerzhaften Krankheiten geplagt: Es begann mit loderndem Fieber, das ihn inwendig wie ein verzehrendes Feuer niederstreckte und in seinen Eingeweiden brennen ließ (k). Seine Füße schwollen darüber auf, wie bei einem Wassersüchtigen, und ein unerträglicher Juckreiz befiel ihn am ganzen Körper. Schließlich begann sich von seinem vielen Kratzen sein gesamter feister Unterleib zu einer schleimigen Masse zu entzünden. Seine Geschlechtsteile begannen zu faulen und seine Eingeweide zu eitern, bis sogar Würmer austraten (l). Das Ganze erzeugte einen derart widerlichen Geruch, dass sich ihm niemand mehr längere Zeit nähern konnte.

Da Herodes sich aber auch selbst da in seiner unersättlichen Gier und Fresssucht noch nicht zügeln konnte, überfielen ihn überdies schließlich zusätzlich zu allem auch noch regelmäßig massive Bauchkrämpfe, die so unerträglich wurden, dass er sich auf seinem Lager vor Schmerzen krümmte, wobei er wiederum in Atemnot kam, da es ihm nur noch in aufrechter Haltung möglich war, Luft zu holen.

Da half dem Herodes seine ganze Macht und sein enormer Reichtum nichts mehr – alles, was er in seinem Leben durch äußerste Kaltblütigkeit und Gnadenlosigkeit an sich gebracht und aufgehäuft hatte! (m)

Aber auch selbst darüber kam er nicht zur Besinnung, dass er sein gottloses Leben bereut und davon gelassen hätte! (n) Vielmehr gab er noch kurz vor seinem Tod den Befehl, viele der angesehensten, gottesfürchtigsten Männer aus allen Ortschaften in ganz Judäa nach Caesarea abzuführen und in den Kerkern bei den Verwaltungs-Gebäuden neben dem Hippodrom, einem zum Meer hin offenen Amphitheater, einzuperren. Diese sollten am Tag seines Todes niedergemetzelt werden, um die Freude und den Jubel im ganzen Land über sein Verscheiden in Trauer und Wehklagen zu wandeln.

Überdies ließ Herodes noch einen Tag vor seinem Ableben einen Dritten seiner Söhne töten: nämlich seinen erstgeborenen Sohn, dem Herodes nach seinem Vater den Namen Antipater gegeben hatte – jener, welchen dem Herodes seine erste Frau Doris geschenkt hatte, die er jedoch verstoßen hatte, als sein Erstgeborener noch ein kleiner Junge war, um durch Vermählung mit der Makkabäerin Mariamne in die Dynastie des monarchischen Hohepriester-Geschlechtes der Hasmonäer hineinzukommen.

Da Herodes schließlich irgendwann seine Schmerzen nicht mehr ertrug, machte er sich selbst mit dem Messer, mit welchem er Äpfel zu speisen pflegte, ein Ende. Doch es ist ziemlich gewiss, dass ihn nach seinem Verscheiden noch ungleich furchtbarere Höllenqualen ereilen mussten (o), um seine Verstocktheit zu brechen und ihn noch zu läutern (p).

15-B: Aufbruch aus Ägypten

→ zu den Fußnoten

Als aber Herodes gestorben war, siehe, da war dem Joseph in Ägypten der Engel des HERRN im Traum erschienen und hatte ihn aufgefordert: „Steh auf, nimm das Kindlein und seine Mutter mit dir und ziehe wieder in das Land deiner Väter. Denn inzwischen ist der gestorben, welcher dem Kindlein nach dem Leben getrachtet hat“ (a). So hatte Joseph sich aufgemacht und das Knäblein und seine Mutter mit sich genommen und war wieder nach Israel gereist: in das Land seiner Väter zurück (b).

So erfüllte sich, was der HERR durch den Mund des Propheten Hosea prophezeit hatte: „Siehe, gar schnell werde Ich Meinen Sohn aus Ägypten wieder hergerufen haben!“ (c)

Zu dieser Zeit trat auch das Zeichen am Himmel ein, welches die babylonischen Astrologen bereits vor einem halben Jahrzehnt berechnet hatten, als sie den Stern des göttlichen Kindes bei Seiner Geburt im Zeichen der Jungfrau aufstrahlen sahen (d): nämlich, dass der Mond, der damals dem aufgehenden Morgenstern des Sohnes Gottes (e) nachgejagt war, um ihn zu verschlingen, sich alsdann unter Seinem neuen Stern, der sodann im Schoß der Jungfrau aufzustrahlen begann, fünf Jahre später beugen müsse und in Form einer Mondsichel zum Schemel unter den Füßen Seiner Mutter werden müsse (f), da zu diesem Zeitpunkt der Widersacher des göttlichen Knaben überwunden sein würde.

15-C: Rückkehr nach Nazareth

→ zu den Fußnoten

Als Joseph aber hörte, dass Archelaus von den Römern als Volksfürst über Judäa eingesetzt worden war, fürchtete er sich, nach Bethlehem zurück zu kehren (a). Jener war nämlich der Älteste unter den noch lebenden Söhnen des Herodes und von diesem als sein Thron-Erbe bestimmt worden; und Archelaus stand seinem Vater an Grausamkeit in nichts nach (b), so dass er bereits unmittelbar nach dem Tod seines Erzeugers in Jerusalem zum Passahfest wegen eines Aufstands dreitausend Juden nieder-metzeln ließ, noch ehe er von Rom als Thronfolger bestätigt worden war.

Jener Archelaus war aber nicht allein Ethnarch über Judäa, sondern ebenso über Idumäa und Samaria, während seinen beiden Brüdern von ihrem Vater Herodes, dem Großen, nur kleinere Herrschaftsgebiete zugedacht worden waren: Denn sein Bruder Herodes Antipas erhielt als Tetrarch das Gebiet von Galiläa und Peräa im Ostjordanland, sein Halb-Bruder Philippus aber die Gegenden nordöstlich des Sees Genezareth zwischen Damaskus im Norden und Dekapolis im Süden – genau gesagt: Gaulanitis, Batanäa, Trachonitis und Auranitis.

Da nun aber jener grausame Archelaus über Judäa herrschte, fürchtete Joseph sich, wieder in ihr Haus nach Bethlehem zu ziehen (c). Überdies empfing er aber auch in einen Traum Weisung durch die göttliche Ruach, dass er in sein ursprüngliches Heimatdorf Nazareth zurückkehren sollte, wo alle seine Kinder aus erster Ehe lebten (d), nämlich seine Söhne und Töchter mit ihren Familien (e).

Also beschloss Joseph, mit Maria und seinem mittlerweile fünfjährigen Sohn Jesus nach Nazareth zurückzukehren (f); und so erfüllte sich die Weissagung der Propheten, dass der Messias auch »Nazoräer« genannt würde (g), weil Er der »Nezer«, der »Spross« Davids, wäre (h), unter dem es wieder sprossen würde (i). Denn in dieser Hoffnung, dass der verheißene Sohn Davids und Gottes (j) einstmals aus ihrer Mitte erstehen würde (k), war dem Heimatdorf des Joseph von den Daviden, die sich nach ihrer Rückkehr aus dem babylonischen Exil (l) dort angesiedelt hatten, auch der Name »Nazareth« gegeben worden. »Nazareth« heißt nämlich »Spross-Dorf«.

Und so erfüllte sich auch die Prophezeiung: „Über dem Volk, das in Finsternis wohnt, ja, im heidnischen Galiläa (m), wird ein großes Licht aufgehen; und über allen, die im Schatten des Todes sitzen, wird sein Glanz aufstrahlen“ (n).

Über allem kündeten dies nämlich sogar auch erneut die Himmel an (o), dass der Sohn Gottes als das göttliche Licht nun wieder in Israel erschien! (p) Denn bereits ein Jahr, bevor der kleine Jesus mit Seinen Eltern aus Ägypten ins Heilige Land zurück kehrte, da kam es nochmals zu einer Konjunktion des Morgensterns der Venus, die ein Bild für die Kraft der göttliche Liebe ist, mit dem Hoheitsstern des Jupiter, der als der Sohn des Ur-Gottes Saturn ein Gleichnis auf den Sohn Gottes ist, so dass diese beiden Gestirne in solch enger Verbindung bei ihrem Aufgang am Morgen regelrecht zu einem einzigen hellen Morgenstern verschmolzen, der in unvergleichlicher Leuchtkraft den ganzen Orient überstrahlte (q).

Dies alles aber geschah im Sternbild des Löwen. Und das Gestirn des göttlichen Sohnes drehte daraufhin eine Schleife oberhalb des Königssternes Regulus, wobei er drei Mal in enge Konjunktion zum Hauptstern des Löwen kam. So erfüllte sich die Prophezeiung über Juda, aus welchem der Herr als ein Nachkomme des David entsprossen ist (r): „Er wird hervor-kommen wie ein Löwe und eine Löwin: der `Schilo´, dem der `Herrscher-Stab´ gehört, der Sein Zepter über allen Völkern und Nationen aufrichten wird in alle Ewigkeit“ (s). Und zu einer solchen Verschmelzung kam es ebenso ein weiteres Mal nach einem Jahr, als die Füße des fünfjährigen Jesus-Knabens erstmals das galiläische Land betraten.

15-D: Danksagung im Haus des HERRN

→ zu den Fußnoten

Auf ihrem Weg durch Judäa nach Galiläa suchte Joseph mit Maria und ihrem Buben freilich auch das Heiligtum Gottes in Jerusalem auf, um dem HERRN für alle Bewahrung und die Gnade, dass sie aus dem Exil wieder nach Haus zurückkehren durften, ein Dankopfer darzubringen (a).

Außerdem hoffte Joseph, dort seine Söhne anzutreffen. Diese befanden sich zu dieser Zeit aber bereits wieder bei ihren Familien in Nazareth, da damals bis auf weiteres keine Baugerüste mehr für die Arbeiten am äußeren Vorhof des Tempels zu errichten waren (b).

Im Haus des HERRN erfuhren Joseph und Maria schließlich, dass Marias Onkel Zacharias, welcher einst der stellvertretende Hohepriester an der Seite des Simon Ben Boethos war (c), zwischen dem Brandopfer-Altar und dem Heiligtum des HERRN ermordet worden war (d), nachdem seine Frau Elisabeth, Marias Tante, mit ihrem kleinen Johanan in die Wüste geflohen war, wo sie – wie Maria und Joseph es bereits aus dem einstigen Traum Jesu wussten (e) – mit ihrem Sohn von essenischen Einsiedler-Mönchen aufgenommen worden war, die sich des Knaben annahmen, als dann schließlich auch Elisabeth aufgrund ihres hohen Alters irgendwann verschied (f).

Denn als Herodes seiner Zeit die Kinder in Bethlehem ermorden ließ (g), da hatte er auch dem Johannes nach dem Leben getrachtet, da der idumäische Fremdherrscher über Israel von dem Schriftgelehrten Hannas einen Hinweis bekommen hatte, dass auch auf dem Kind, welches dem Zacharias und seiner Frau Elisabeth in ihrem hohen Alter noch geschenkt worden war, eine besondere göttliche Verheißung lag (h).

Als Jesu Eltern aber all das erfuhren, da hatte sich ihnen bestätigt, dass Jesus in Ägypten seiner Zeit tatsächlich eine Vision gehabt hatte oder aber sogar tatsächlich im Geist ans Sterbebett von Marias Tante versetzt worden war (i).

15-E: Besuch in Emmaus

→ zu den Fußnoten

Nachdem Joseph mit Maria und dem Knaben dem HERRN im Tempel gehuldigt hatten, begaben sie sich schließlich nach Emmaus zu Josephs jüngeren Halb-Bruder Chalpai, der nach der griechischen Aussprache auch Kleopas, nach der römischen aber Alphäus genannt wurde (a).

Des Halphaios Frau, die nochmals jünger war als er, aber hatte den selben Namen wie die Frau des Joseph: nämlich »Maria«, und sie war auch nur ein wenig älter als diese. Außerdem hatten die beiden drei Söhne, die ebenso wie Josephs drei ersten Söhne hießen (b), nur in anderer Reihenfolge – nämlich Joses, Jakobus und Simeon (c), und die alle in etwa im Alter Jesu waren, da Chalpai erst in schon recht vorgerücktem Alter seine Maria zur Frau genommen hatte und diese ihm wiederum erst recht spät Kinder schenken konnte (d).*

  • Nach Eusebius von Cäsarea, Kirchengeschichte III, 11 aus dem 4. Jhdt. n. Chr.,
    nach dem dort zitierten Historiker Hegesippus aus dem 2. Jhdt. n. Chr.
    war Kleopas (aus Luk 24,18) der Bruder des Joseph.
    Er ist identisch mit Alphäus, dem Mann der „anderen Maria“
    und Vater des Apostels Jakobus, des Kleinen, und der Jünger Joses und Simeon
    (vgl. Mt 10,3; 27,56; Mk 15,40; Joh 19,25).
    Kleophas bzw. Halphaios ist die griechische,
    Alphäus aber die lateinische Form des hebräischen Namens Chalpai.

Natürlich lud Kleophas sogleich alle seine und seines jüngeren Halb-Bruders Jugendfreunde ein, welche einstmals mit ihnen in Bethlehem aufgewachsen waren, dann aber zusammen mit Chalpai nach Emmaus umgesiedelt waren. Es waren die, welche vormals auch von Joseph zu seiner Vermählung mit Maria im Haus des Zacharias als Trauzeugen eingeladen worden waren – nämlich Lazarus, Asterius, Antonius und sein Bruder Zeras, sowie die Gebrüder Samuel, Phinees, Krispus und Agrippa (e).

Und sie wussten auch, dass Maria einst jungfräulich, durch ein Wunder Gottes, empfangen hatte, und, dass ihr Sohn der verheißene Erlöser für Israel war (f). Darum traten sie dem kleinen fünfjährigen Jesus in großer Ehrerbietung gegenüber, als sie Ihn sahen.

Sobald die Kinder aber nach dem Abendessen auf der Dach-Terrasse des Alphäus hinunter zum Spielen nach draußen gestürmt waren, ermahnte Joseph seine allesamt fünf bis zehn Jahre jüngeren Freunde, dass sie seinen Sohn behandeln sollten, wie jedes andere gewöhnliche Kind.

15-F: Eine Prophezeiung?

→ zu den Fußnoten

Im Grunde genommen unterschied sich der Bub des Joseph auch in nichts von allen anderen Jungen (a). Und doch meinten die Freunde von Joseph und Chalpai, an dem kleinen Jesus bereits besondere Anwandlungen zu beobachten, die – zumindest nach ihrer Meinung – auf eine prophetische Gabe hinzudeuten schienen (b).

Als die Jungs nämlich unter dem Haus Fangen spielten, jagten die drei Knaben des Alphäus den fünfjährigen Jesus, den sie jedoch lange nicht zu fassen bekamen (c).

Schließlich gelang es doch dem Simeon, welcher der Jüngste des Halphaios war, und er rief freudig aus: „Endlich hab ich Dich!“ (d) Jesus aber umklammerte den Simeon, drückte ihn an sich und hob ihn beschwingt in die Höhe und jubelte: „Ganz im Gegenteil! Endlich hab ICH DICH! (e)

Und Ich werde dich nie mehr loslassen (f), so dass du Mir Mein Leben lang nachlaufen wirst, wie auch deine Brüder! Und in Meinem einstigen Königreich wirst du nach Meinem Bruder der zweite Fürst in Zion sein!“ (g)*

Freilich! Niemand hätte diesen Äußerungen im Spiel von halbwüchsigen Kindern jemals irgendeine Bedeutung beigemessen! Jeder andere hätte sie für bloße kindliche Fantastereien gehalten! Allein, wer um Jesu wahre Herkunft wusste, konnte darin bereits eine Weissagung vermuten – als welche sich des Jungen Ankündigungen schließlich auch in ihrem späteren Leben noch erweisen sollten.

  • Nach Eusebius von Cäsarea, Kirchengeschichte III, 11 aus dem 4. Jhdt. n. Chr.,
    nach dem dort zitierten Historiker Hegesippus aus dem 2. Jhdt. n. Chr.
    war Simeon, des Kleopas Sohn, der zweite Patriarch der Jerusalemer Urgemeinde
    nach dem Herren-Bruder Jakobus (vgl. Gal 1,19; 2,9.12; Act 1,14; 12,17; 15,13; Jak 1,1).

Während die Buben so unterhalb der Dach-Terrasse Fangen spielten, erzählte Joseph schließlich seinen Freunden alles, was seit der Hochzeit geschehen war und was sie seit ihrer Flucht aus Bethlehem alles erlebt hatten und wie sie Gottes Bewahrung und Leitung erfahren hatten. Und sie alle lobten den HERRN über Seine großen Taten.

15-G: Ankunft in Nazareth

Es wurde bereits Abend, als Joseph mit Maria und ihrem kleinen Jungen in Nazareth eintraf (a). Trotzdem wurden sie von manchen Bewohnern noch gesehen. Alle blickten überrascht auf. Manche, die Joseph näher standen, traten erfreut auf sie zu, um sie zu begrüßen, fragten aber ebenfalls sogleich nach, was den Joseph denn zu seinem Besuch veranlasst habe. Sie meinten nämlich, er würde noch immer zusammen mit Maria in Bethlehem wohnen, wo er sich, wie es allen in der Gemeinde von seinen Kindern erzählt worden war, mit Maria zur Ruhe gesetzt habe, um einstmals bei seinen Vätern begraben zu werden.

Das hatte damals freilich in ganz Nazareth für viel Getratsche gesorgt, und man hatte sich gefragt, was da wohl im Haus des Joseph vorgefallen wäre, dass er sich von seiner ganzen Familie abgesetzt hatte, obwohl er damals in einem doch noch recht rüstigen Alter von etwas über fünzig Jahren war und gut noch zwanzig Jahre hätte leben können (b), wenngleich solch ein höchst stolzes Alter von den wenigsten erreicht wurde.

15-H: Erstes Gemunkel über Jesus

Und natürlich fielen nun auch gleich verstohlene Blicke auf den kleinen Buben der beiden, und sobald sie sich mit ihrem Sohn zum Weitergehen anschickten, steckte man die Köpfe zusammen, um hinter ihren Rücken zu munkeln, was nun über allem auch das noch zu bedeuten hatte.

Der Kleine musste – darüber herrschte bald Übereinkunft – auf jeden Fall weit jünger sein, als es den Anschein hatte. Denn sonst wäre er einst mit den anderen Kindern in Bethlehem abgeschlachtet worden (a).

Doch wie war das zugegangen, dass Maria nun doch noch ein Kind von Joseph empfangen hatte? (b) War sie dem Joseph nicht einstmals als eine Geweihte des HERRN anvertraut worden, dass er über ihre Keuschheit wachen sollte?! (c) War der alte Joseph in Bethlehem, wo er sodann mit ihr allein gelebt hatte, schließlich schwach geworden, so dass er ihr Gelübde missachtete und sie doch noch ganz zu seiner Frau machte? (d) Oder war der Bub vielleicht ein angenommenes Waisenkind? (e) Dann hätte Er auch wiederum älter sein können – so, wie es den Anschein hatte!

15-I: Freut ihr euch denn nicht?!

Als Joseph an der Tür seines Hauses klopfte, wurde ihnen von Rahel, der Frau seines Sohnes Joses, geöffnet. Sie schrie jubilierend auf: „Joseph! Maria! Was für eine freudige Überraschung! Und da ist ja auch der kleine Jesus! Welche Freude!“

Sogleich stürmten auch Ruth und Debora, die Frauen von Simon und Judas herbei, umarmten die beiden herzlich und nahmen sich gleich des jungen Buben an, den sie ins Haus führten und ihn mit ihren eigenen Kindern bekannt machten.

Die Söhne Josephs erhoben sich von ihren Stühlen – sie saßen nämlich gerade alle bei Tisch zum Abendessen – und blickten sprachlos, wie vom Donner gerührt, Joseph und seine Begleitung an.

Sie wussten nämlich nichts davon, dass er mit Maria und dem Kind nach Nazareth zurück kehren würde. Sie meinten, ihr Vater befände sich mit seiner neuen Familie noch immer in Ägypten in Gosen, wo sich eine jüdische Siedlung befand (a).

Als Joseph nämlich mit Maria eineinhalb Jahre nach Jesu Geburt einstmals aus Bethlehem geflohen war (b), hatte er auf seinem Weg nach Ägypten einer Gruppe von Pilgern, die sich auf dem Weg zum Tempel in Jerusalem befanden, wo seine Söhne arbeiteten (c), ein Schreiben an sie mitgegeben, in denen er sie darüber unterrichtet hatte, dass er mit ihr auf Weisung eines Engels ins Nil-Delta ziehen würde (d).

Jakobus, der Älteste von Josephs vier Söhnen, fasste sich als erster wieder und grüßte mit einem irritiertem: „Vater!“ Und alle Söhne des Josephs traten herzu, um ihren Vater zu umarmen.

Die Begeisterung über das Wiedersehen hielt sich aber doch deutlich in Grenzen. Da fragte Joseph, schon fast gekränkt: „Was ist denn mit euch?! Freut ihr euch denn nicht?!“

Jakobus, welcher in der Zeit der Abwesenheit seines Vaters das Familienoberhaupt war, wies die Frauen an, mit den Kindern nach draußen zu gehen und das Vieh zu versorgen. Also begaben sich Rahel, Ruth und Debora zusammen mit Maria und den Kindern hinaus, um zum Brunnen auf dem großen Dorfplatz zu gehen und Wasser für ihre Ziegen und Schafe zu schöpfen.

Und Debora legte ihren Arm um Maria, sobald sie sich außer Haus befanden, und ermunterte sie: „Also wir Frauen jedenfalls freuen uns, dass ihr zurück gekehrt seid!

Denn wir glauben alles, was wir von dir und dem Jungen gehört haben, da wir wissen, wie fromm und gottesfürchtig du bist! Und wir sind voll Hoffnung und Zuversicht, dass du uns tatsächlich den »Nezer«, den verheißenen »Spross« Davids, geboren hast (e), unter dem ganz Israel wieder aufsprossen wird (f) – jenen, dessen Ankunft doch schließlich schon immer und von je her ganz Nazareth in unserer eigenen Mitte erwartet (g), wie es der Name unserer davidischen Siedlung – »Nazareth«, »Spross-Dorf« – schon verrät! (h)

Als die Frauen mit den Kindern sich vom Haus entfernt hatten, und die Männer offen reden konnten, beteuerte Josephs Sohn Simon: „Natürlich freuen wir uns, Vater! Es ist nur so, dass wir total überrascht sind!“

Und Jakobus erklärte, obwohl die ganze Sache doch eigentlich ziemlich offensichtlich war: „Bist du nicht damals von Nazareth fort-gezogen, um uns allen, deinem ganzen Haus, Verruf und Ächtung zu ersparen, weil Maria als eine Geweihte des HERRN, die dir anvertraut worden war, dass du über ihre Unschuld wachen solltest, ein Kind erwartete? (i)

Und nun führst du sie als dein dir angetrautes Weib hierher zurück – zusammen mit diesem ihren Sohn?! Hast du vergessen, was du damit über uns alle heraufbeschwörst, dass du damit Schimpf und Schande über deine ganze Familie bringst?!“

In Joseph stieg ein gewisser Unmut über diese Anfragen auf, dass er von seinen Söhnen angehalten wurde, sich vor ihnen zu rechtfertigen. Doch er unterdrückte seinen Ärger, da er sich selbst eingestehen musste, dass es sich schließlich tatsächlich so verhielt, wie sie es sagten.

Nur war inzwischen so viel geschehen! – und er hatte so viel mit diesem göttlichen Kind erlebt, dass sich seine Sichtweise auf alles grundlegend geändert hatte (j).

Also versuchte Joseph zu erklären: „Ich habe eine Weisung von einem Engel des HERRN erhalten, dass ich aus Ägypten wieder in unser Heimatland zurück kehren sollte (k).

Aber nach Bethlehem hätte ich doch unmöglich wieder zurück ziehen können! Denn wir sind dort vielen bekannt, nachdem wir mit unserem Neugeborenen in Ephrata eineinhalb Jahre gelebt hatten! Da hätte es sich doch ziemlich schnell herumgesprochen, dass unser Junge als einziger das damalige große Massaker von Herodes dem Großen überlebt hat! (l)

Und man hätte sich gewiss auch schnell wieder daran erinnert, dass seiner Zeit die Weisen aus aller Herren Länder nach Bethlehem gezogen waren in der Erwartung, dort den einstigen Messias Israels zu finden! (m) Und jeder, der Eins und Eins zusammen zählen kann, hätte entsprechende Schlussfolgerungen gezogen!

Überdies scheint der Sohn des Herodes seinem tyrannischen Vater – nach allem, was ich gehört habe – in absolut nichts nachzustehen! Jener Archelaus aber herrscht über ganz Judäa, wie auch über Samaria (n). So bleib uns doch nur Galiläa!

Und das wurde mir auch durch eine himmlische Erscheinung bestätigt! Und hätte ich mich dieser göttlichen Weisung etwa widersetzen dürfen?! (o)

Aber nachdem uns gewiesen worden ist, nicht nach Judäa zurück zu kehren, sondern nach Galiläa zu ziehen: Hätten wir uns da etwa irgendwo anders niederlassen sollen oder können, als allein hier in Nazareth?! (p) So groß ist dies unser Land auch wieder nicht, dass es nicht irgendwann auch hierher in mein Heimat-Dorf gedrungen wäre, dass ich mit Maria und einem weiteren Sohn wieder in Galiläa wohne!

Was hätte das erst für Gerüchte in Umlauf gebracht, wenn man hier in Nazareth mitbekommen hätte, dass ich mit Maria und einem weiteren Kind wieder in der Gegend wohne, aber fern von meinen eigenen Söhnen und meinem eigenen Haus! Das hätte doch erst recht für die aller-übelsten Mutmaßungen gesorgt!

Darum schien es mir bei allem noch am weisesten zu sein, die Flucht nach vorn anzutreten und direkt hierher in mein Heim nach Nazareth zurück zu kehren, das bei allem doch immernoch mein Haus ist, das ich selbst einstmals für uns alle erbaut habe! Das wird noch am ehesten alle verleumderischen, boshaften Nachreden eindämmen, wenn ich durch meine unbedarfte Rückkehr mit Maria und meinem Sohn aller Welt bekunde, dass ich keine Schande zu verbergen habe!“

„Es könnte dir aber auch als aller-gröbste Schamlosigkeit ausgelegt werden,“ erwiderte Josephs Sohn Judas, „dass man dir nachsagen wird, dass dir dein Ansehen sowohl bei Gott, als auch bei den Menschen inzwischen offensichtlich völlig gleichgültig geworden ist, weil du dich nicht allein von der Anmut dieses zarten, unschuldigen Mädchens in deinem Alter noch so nachhaltig hast betören lassen, dass du die Weihe, die auf ihrem Leben lag, missachtet hast (q), sondern mittlerweile darüber hinaus auch noch die Unverfrorenheit besitzt, dich dreist und frech, ohne jedwedes Schamgefühl, mit ihr und dem Kind in aller Öffentlichkeit zu zeigen (r), welches du ihr – als einer Geweihten des HERRN! – wie jeder glauben würde! – gemacht hast!

„Aber sie ist mir mittlerweile doch angetraut worden! Und das auf Geheiß der Hüter Israels selbst! Und sie ist damit nach Recht und Gesetz, sowie nach Sitte und Anstand meine Frau, so dass unser Kind nicht aus unzüchtigem Verkehr stammt! Und dafür, dass ich Maria ehrenvoll in Würde heimgeführt habe, gibt es schließlich sogar Zeugen hier in Nazareth, nämlich Amas, Isaak, Judas und Jakob (s), die zu den angesehensten Ältesten unserer Synagoge gehören!

Überdies weiß hier in Nazareth schließlich kein Mensch, dass Maria schon vor unserer Eheschließung schwanger war, so dass man sich hüten wird, mir zu unterstellen, ich hätte mir die Ehe mit ihr erschlichen (t), indem ich ihr Keuschheitsgelübde missachtet und ihr selbst Gewalt angetan hätte (u), wo sie doch meiner Obhut und Fürsorge anvertraut worden war! (v)

Denn dann hätte mich doch schließlich wohl auch der Zorn Gottes anfallen und der Fluch des Höchsten treffen müssen (w), begonnen mit einer Tod-Geburt (x), statt dass ich wie durch ein Wunder Gottes in meinem Alter noch so überreich mit einem derart begnadeten Kind gesegnet worden bin! (y) Denn das wird auch noch jeder in Nazareth erkennen und auch anerkennen müssen, dass auf diesen Jungen ein ganz besonderer göttlicher Segen liegt!“ (z)

15-J: Wir sollen lügen?!

„Und doch wird man, wenn auch hinter vorgehaltener Hand, reden und munkeln, da du ihr Enthaltsamkeits-Gelübde nicht sogleich öffentlich aufgehoben hast, als sie dir vormals wie eine Verlobte anvertraut worden war als eine Geweihte des HERRN!“ (a), entgegnete Jakobus: „Denn ganz Nazareth weiß, dass sie dir als eine keusche Jungfrau des HERRN anvertraut worden war, dass du über ihre Unschuld wachen solltest!“ (b)

Aber Joseph blieb stur und erklärte: „Dann sagt eben, dies hätte ich vorsorglich vormals schon im Tempel getan: dass ich schon damals als ihr künftiger Ehe-Herr dem Keuschheitsgelübde über ihrem Leben vorsorglich widersprochen hatte, um mir diese Option offen zu halten, sie auch einstmals noch vollumfänglich als mein Weib heimführen dürfen zu können, wenn sie mir denn schon als eine Verlobte aufgebürdet werden sollte (c).

Nur wäre ich mir damals noch unschlüssig gewesen, ob ich die Ehe einstmals tatsächlich auch noch mit ihr wirklich vollziehen wollen würde. Was für eine Veranlassung hätte darum damals bestanden, in ganz Nazareth herum-zu-posaunen, dass ich mir die Möglichkeit offen hielt, das mir anverlobte junge Ding, wenn sie älter würde, vielleicht einstmals noch vollumfänglich heimzuführen?“

„Wir sollen für dich lügen und Gottes Gebot übertreten, das uns auf die Wahrheit verpflichtet?!“ (d), mokierte sich Jakobus. „Hat das nicht auch Rahab getan, um den Gesandten Gottes zu schützen?“, erwiderte Joseph: „Und war sie nicht gerade um dieser ihrer Not-Lüge willen gerechtfertigt worden von Gott?! (e)

Manchmal muss man sich eben mit einer Halb-Wahrheit behelfen, wenn die Welt für die Wahrheit noch nicht reif geworden ist!“ (f)

15-K: Wer zuletzt lacht, lacht am besten!

Sie alle waren entsetzt: Wie war ihr Vater doch nur in seinen alten Tagen vom rechten Weg des HERRN abgekommen! Er legte sich sogar schon selbst Mose gänzlich verkehrt und verdreht nach seinem eigenen Gutdünken zu seinem Vorteil aus! (a)

Joseph aber winkte ab, wie ein starrsinniges Kleinkind: „Lasst sie doch reden: Sie werden schon noch sehen, was sie davon haben! (b) Was nämlich ist wichtiger und höher zu achten: Das Ansehen und die Anerkennung bei Menschen oder das Ansehen und die Anerkennung bei Gott? (c) Er aber, der zuletzt lacht, lacht am besten! (d) So lasst die Höhner höhnen und die Spötter spotten, bis ihr eigener Hohn und Spott auf sie selbst zurück-fällt!“

Da wussten die Söhne Josephs nichts mehr zu entgegnen. Und sie entsetzen sich: Was war nur aus ihrem so achtenswerten altehrwürdigen Vater geworden, der früher so äußerst penibel auf seinen, wie seines Hauses Ruf in der Öffentlichkeit geachtet hatte?! (e)

Er war überhaupt nicht wieder-zu-erkennen! – von Alters-Starrsinn heimgesucht, wie ein trotziges unmündiges Kind – und wie beherrscht von einer einfältigen Naivität und kindlichen Vertrauensseligkeit (f), die jeden Sinn und jedweden nüchternen Blick für die harte Realität verloren zu haben schien!

Aber was sollten sie machen?! Er war ihr Vater! – und damit das Oberhaupt des Hauses! Denn es war klar, dass Joseph seit diesem Tag wieder das Sagen hatte. Also mussten sie sich alle fügen und Maria mit ihrem Kind annehmen, als würden sie zu ihrer Familie gehören …