Syn-Evangelium
(Studien-Fassung)
Das großartige Evangelium des vollkommenen Lebens
im Schatz der unverlierbaren Liebe Jesu Christi
II Die Ausbildung
17: Der Sohn im Haus Seines Vaters
17-A: Passahfeier in Jerusalem
17-B: Gibt es keinen anderen Weg zur Entsühnung?
17-C: Nein! Niemals! Vergiss das!
17-D: Wo ist Jesus abgeblieben?!
17-E: Auf der Suche nach Antworten
17-F: Was beschäftigt Dich, mein Sohn?
17-G: Sind nicht all eure Opfer in Wirklichkeit alles Opfer Gottes?
17-H: Sinnt Gott auf Vergeltung oder auf Vergebung?
17-I: Was denkt ihr von dem Messias?
17-J: Lebt nicht alles aus der göttlichen Hingabe?
17-K: Dann dürften auch keine Schlachtopfer mehr nötig sein!
17-L: Wusstet ihr nicht, wo Ich sein muss?
17-M: Verlockendes Angebot
17-N: Ganz bestimmt werden wir uns wiedersehen!
17-O: Eine weitere Prophezeiung über Jesus im Tempel
17-A: Passahfeier in Jerusalem
Großer Jubel erfasste die ganze Pilgerschaft, als sie über die Anhöhe des Ölbergs trat und die Heilige Stadt mit ihrem herrlichen Tempel erblickte, die sich über dem Kidron-Tal erhob. Es stand nämlich das große Passah-Fest bevor, in welcher sich ganz Israel in Jerusalem versammelte, um seine einstige Befreiung aus der Knechtschaft Ägyptens zu feiern (a).
Unter der jubelnden Pilgerschar befand sich auch die ganze Sippschaft des Joseph aus Nazareth (b), also alle seine Söhne: Jakobus, sein Erstgeborener, der ein Nasiräer-Gelübde abgelegt hatte (c) und ledig geblieben war, um nach dem Vorbild der von ihm verehrten Essener sein ganzes Leben Gott zu weihen (d), sowie dessen jüngere Brüder Joses, Simon und Judas (e) mit ihren Frauen und Kindern, – aber auch die Töchter des Joseph: Esther, Judith und Schila, die ebenfalls bereits verheiratet waren und Söhne und Töchter hatten, mit den Groß-Familien, welchen diese Frauen nunmehr angehörten.
Und freilich begleitete den hochbetagten Joseph auch die junge Maria, die ihm als Witwer einstmals aus dem Tempel des HERRN als eine Geweihte Gottes anvertraut worden war (f), welche er jedoch später zur Frau genommen hatte, als sie durch ein göttliches Wunder ihren Sohn Jesus empfangen hatte (g). Ihr Bub war eben zwölf Jahre alt geworden und befand sich unter der reichen Kinderschar ihrer Familien (h).
17-B: Gibt es keinen anderen Weg zur Entsühnung?
So feierte Joseph, wie in jedem Jahr, in der Heiligen Stadt Jerusalem das Passah-Fest im Kreis seiner Großfamilie (a). Und Jesus als dem Jüngsten oblag es, bei diesen Feierlichkeiten die Fragen zu stellen (b), auf die hin Sein Vater als das Familienoberhaupt die Geschichte von der Befreiung Israels aus der Knechtschaft Ägyptens berichtete, wo das erste Mal in allen Hütten der Kinder Israels Passah-Lämmer verspeist wurden, mit deren Blut die Tür-Rahmen ihrer Häuser bestrichen wurden, damit der Verderber, der in ganz Ägypten alle Erstgeburt erschlug, an ihren Wohnungen vorbei-zog und die Hebräer schonen musste, da sie durch diese Opfer-Lämmer entsühnt worden waren (c).
Im Anschluss an dieses Passah-Fest blieb das Haus Joseph freilich, wie auch alle anderen Juden, noch die Tage der ungesäuerten Brote in Jerusalem (d); und sie suchten häufig den Tempel Gottes auf, um dort zu beten oder Hymnen aus dem Psalter zu singen, welche der Chor der Leviten anstimmte (e), der sich regelmäßig auf den Stufen zum Nikanor-Tor aufstellte, das aus dem Vorhof der Frauen Einblick über den Vorhof der Männer und der Priester bis hin zum eigentlichen erhabenen Heiligtum Gottes gewährte, vor dessen beiden mächtigen Säulen, die den Eingang ins Haus des HERRN säumten, die Sühneopfer dargebracht wurden.
Dort hatte Jesus auch, wie jedes Jahr, die Schlachtung und Darbringung der unzähligen Passah-Lämmer unmittelbar miterlebt (f), zu deren Beiwohnung Er sich zusammen mit Seinen erwachsenen Brüdern und Seinem hochbetagten Vater in den Vorhof der Männer begeben hatte, welcher den innersten Vorhof der Priester vor dem Heiligtum Gottes in Form von Säulen-Hallen umschloss.
Für den kleinen Jesus war diese blutige Abschlachtung all dieser zarten Jungtiere allerdings schon von je her ein schrecklicher Brauch (g); und es tat Ihm im Herzen weh, wenn Er mit ansehen musste, wie den armen unschuldigen kleinen Opfer-Lämmern die Kehle durchgeschnitten wurde, um ihr Blut auf dem Altar des HERRN zur Sühne darzubringen. Denn Er hatte großes Mitleid mit all jenen Lämmlein, die da abgeschlachtet wurden, um den Menschen Sühne für ihre Sünden zu erwirken.
Und bei jedem Jungtier, dem die Kehle durchgeschnitten wurde, war es Ihm, als würde man Ihm selbst die Kehle durchschneiden, so tief und innig war das Mitempfinden Seiner zarten Kinder-Seele mit all diesen erbarmungswürdigen Herden-Kindern (h). Ja, der kleine Jesus ertappte sich sogar bei dem Gedanken, dass Er sich lieber selbst als ein Sühneopfer-Lamm hätte hinschlachten lassen wollen, wenn dies dem fruchtbaren Abschlachten all jener kleinen Lämmlein ein Ende hätte machen können (i).
Sein Vater Joseph erklärte ihm, dass diese Opfer aber zur Sühnung aller Sünden der Menschen notwendig wären. Sie sollten den Gläubigen vor Augen führen, wie ernst es mit ihren Gesetzes-Übertretungen und Pflichtverletzungen gegenüber der höchsten Heiligkeit war, weil die göttliche Gerechtigkeit nach Vergeltung verlangte, weswegen die Menschen eigentlich ebenso hätten abgeschlachtet werden müssen (j), wie diese Lämmer, weil sie mit ihren Sünden ihr Recht auf Leben eigentlich verwirkt hatten (k) und darum vor der zerschmetternden Herrlichkeit Gottes (l) ohne diese ihre Sühneopfer überhaupt nicht bestehen konnten, wenn die Gottheit den Menschen nicht die Darbringung all dieser Opferlämmer an ihrer statt, zur Entsühnung aller ihrer Sünden gewährt hätte, um sie so selbst schonen zu können.
Jesus aber fragte da seinen Vater: „Gibt es denn wirklich keinen anderen Weg zur Entsühnung der sündigen Menschheit?“ „Wohl kaum“, meinte hierauf Joseph: „Denn wie sehr wir Menschen uns auch um einen rechten, gottgefälligen Wandel bemühen: wir versündigen uns doch auf die eine oder andere Weise immer wieder (m).
Darum hat der Höchste uns diese Lämmer zu unserer Auslösung gegeben (n), damit sie an unserer Stelle die schlimmen Folgen für unsere Verfehlungen tragen und alle Schuld der Welt auf sich nehmen, da sie stellvertretend für die Menschen mit dem Tod bestraft werden“ (o).
„Aber“, hakte Jesus nach, „wenn der Vater im Himmel selbst den Menschenkindern all diese Lämmer als Sühneopfer gibt und es mit ihrer Abschlachtung niemals an ein Ende kommen kann, weil die Menschheit sich trotzdem immer wieder aufs Neue unsäglich versündigt, so dass letztlich – wie der Prophet Jesaja sagt – selbst das Blut aller Lämmer auf Erden doch niemals hinreichen würde, ihre Schuld auszulöschen und auszutilgen und zu überdecken, wie auch die endlosen Wälder des Libanon nicht hinreichen würden als Brennholz, das für all die zu erbringenden Sühneopfer notwendig wäre (p), – und wenn für die Menschenkinder wegen ihren endlosen Übertretungen all diese Opfer, welche die Allmacht ihnen zur Entsühnung stiftet, doch niemals hinreichen: bedarf es da nicht eines anderen, weit größeren und gewaltigeren, wahrlich unendlichen Sühneopfers, das so unermesslich und grenzenlos ist, wie die göttliche Gnade und Barmherzigkeit selbst? (q) – das dann zugleich aber ein für alle Mal für alles Entsühnung brächte, was all diese furchtbaren blutigen Sühneopfer überflüssig machen würde (r) – zumal diese alle zur Entsühnung des unendlich großen Schuldenberges der ganzen Menschheit ja doch nicht hinlangen!“
Joseph stellte verwundert die Gegenfrage: „Aber was könnte denn der Gottheit anderes als ein würdiges Sühneopfer dargebracht werden, als die Unzahl all jener Lämmer, um die unsägliche Schuld der Menschenkinder zu entsühnen?“ (s)
„Ich weiß auch nicht“, überlegte der kleine Jesus: „Es müsste etwas noch viel Größeres und weit Gewaltigeres sein! Ein Opfer, das so grenzenlos und unendlich, so makellos und rein ist, wie die Gottheit, die ja letztlich auch all diese unzähligen Sühneopfer stiftet und gewährt (t), in Ihrer endlosen Gnade und grenzenlosen Barmherzigkeit selbst! – ein Opfer, das so unendlich groß und gewaltig und grenzenlos ist, wie die göttliche Güte und Erbarmung selbst!“ (u)
„Was sprichst Du da, Junge?!“, entsetzte sich Joseph: „Was Du über die Grenzenlosigkeit der Langmut, Gnade und Barmherzigkeit der Allmacht sagst, ist wohl war; und alle Opfer, die wir darbringen, sollen uns das vor Augen führen, was es die göttliche Liebe sich kosten lässt, uns immer und immer wieder zu vergeben: doch was sollte uns allen ein für alle Mal Entsühnung erwirken können, so dass all jene Opfer, die wohl tatsächlich niemals hinlangen werden, nicht mehr nötig wären?
Was könnte die göttliche Allmacht anstelle dieser ihrer zahllosen Geschöpfe aus dem Tierreich für uns zur Auslösung hingeben (v), das so unendlich und unbegrenzt wäre, wie Ihre Gnade und Erbarmung selbst? (w) Da müsste Sie sich ja gleichsam selbst …“ (x)
Doch Joseph wollte diesen Gedanken nicht zu Ende denken! Es schien ihm gänzlich ungehörig, derartiges auch nur zu erwägen, dass sich die höchste, über allem erhabene Heiligkeit selbst für all Ihre heillosen Menschenkinder … (y) – Joseph stockte der Atem, und ein Schauder erfasste ihn. Und er sah seinen kleinen Jesus-Knaben an: War Er nicht ebenso rein und unschuldig, wie ein kleines, gänzlich makelloses Opferlamm? (z) Sein Bub aber sprach zu ihm: „Und was, wenn doch?“
17-C: Nein! Niemals! Vergiss das!
Joseph vergaß diese tiefsinnige Unterhaltung mit seinem Jungen im Vorhof der Männer bei der Schlachtung der Passah-Lämmer bald wieder – oder besser gesagt: er verdrängte jede Erinnerung daran geflissentlich. Denn es ließ in ihm eine höchst schmerzliche Ahnung aufkeimen, die er nicht zulassen wollte (a).
Er liebte nämlich diesen Jesus-Knaben über alles – mehr sogar noch, als seine leiblichen Söhne! Denn der Bub war das Kind seines Alters (b); und er war so wissbegierig und lernwillig in allem! Und kein anderer seiner Söhne – nicht einmal Jakobus, der sich mit Leib und Seele Gott geweiht hatte – nahm die Worte der Heiligen Schriften und alles, was Joseph ihn darüber kundtat und lehrte, so auf, wie dieser Junge! (c)
Und wenngleich Joseph wohl wusste, dass Er nicht sein eigener Sohn war (d), so war dieser Jesus ihm doch mehr ans Herz gewachsen, als alle seine wirklich leiblichen Kinder, die ihm geschenkt worden waren. Aber auch sie waren doch reine Geschenke Gottes, auch wenn er sie selbst gezeugt hatte (e). War darum jener Jesus-Knabe, der ihm ohne Zeugung geschenkt worden war, dann weniger sein Kind, sein Sohn? War der kleine Jesus ihm nicht sogar noch viel mehr zum Sohn geworden, wie er Ihm zum Vater werden durfte und konnte (f) – so willig, wie dieser Knabe alles, was er Ihm lehren konnte, aufnahm? (g)
Ja, Er war sein Sohn, und Joseph war sein Vater! – auch wenn die Fragen dieses Jungen, die manchmal kein Ende nehmen wollten (h) und den alten Joseph gehörig ins Schwitzen brachten, ihm oft das Gefühl gaben, dass dieser Junge vielmehr selbst sein Lehrmeister war, weil Seine Fragen ihn zu gänzlich neuen Gedanken und Einsichten führten, die ihm zuvor niemals in den Sinn gekommen waren.
Nun aber, bei der Schlachtung der Passah-Lämmer, hatte Jesus seinem Vater mit Seinen Fragen an einen Punkt gebracht, dem er nicht weiter nachgehen wollte: Ein Opfer Gottes, das so groß und unendlich war, dass es alle anderen Opfer in den Schatten stellen und für immer unnötig machen würde?! (i)
In solche Gedanken wollte Joseph nicht vordringen! – nicht allein, weil sie ihm ungehörig, geradezu schon blasphemisch erschienen, dass der Allerheiligste in Seiner unaussprechlichen Güte und Barmherzigkeit sich für all die so unheiligen, verwerflichen Menschenkinder selbst … (j) – Nein! Joseph wollte solche Gedanken nicht zulassen. Denn es schmerzte ihn, da er intuitiv spürte, dass dies mit diesem Kind und Gottes-Geschenk aus den Himmeln, das doch ganz zu seinem liebsten Sohn seines Alters geworden war (k), etwas zu tun hatte: etwas Furchtbares, was er einfach nicht wahrhaften und anschauen wollte! (l)
So nahm Joseph, von Wehmut übermannt, seinen Sohn in die Arme und seufzte: „Nein! Niemals! Vergiss das! Es kann kein anderes Opfer als diese Passah-Lämmer geben! Sie sind die Opfer, die der Höchste uns zur Entsühnung gegeben hat“ (m).
17-D: Wo ist Jesus abgeblieben?!
Joseph war völlig außer sich: Irgendjemand musste doch wissen, wo Jesus abgeblieben war! „War Er denn nicht unter euren Kindern?!“ „Nein“, erklärten seine Söhne: „Wir können uns nicht erinnern, Ihn unter ihnen gesehen zu haben.“ „Aber Er war doch auch auf dem ganzen Hinweg mit ihnen zusammen!“, entgegnete Joseph: „Wo soll Er denn nun abgeblieben sein?! Warum habt ihr nicht Acht auf Ihn gehabt?!“
Diese vorwurfsvolle Anfrage verärgerte Josephs Sohn Joses. Darum wies dieser sie zurück mit der frechen Gegenfrage: „Ist Er nun unser Sohn oder der Deinige? Du hast dieses Kind doch, woher auch immer es ist, als deinen Sohn angenommen!“ (a) Joseph kochte hoch vor Wut. Er war drauf und dran, dem Joses für diese dreist provokante Antwort eine Ohrfeige zu geben!
„Lass es, Joseph!“, beschwichtigte ihn die junge Maria: „Jesus ist ganz offensichtlich nicht hier, im Kreis der Familie, wie wir gemeint haben.“ „Aber wo soll Er denn abgeblieben sein?!“, erregte sich Joseph. „Wir müssen zurück nach Jerusalem gehen“, meinte Maria, „und auf dem Weg alle uns entgegenkommenden Pilgerscharen nach Ihm absuchen, ob Er irgendwo unter ihnen ist – und natürlich alle nach Ihm befragen, die uns und Ihn kennen, ob sie Ihn vielleicht gesehen haben.“
Doch ihr Mann gab zu bedenken: „Und wenn Er uns vorausgegangen ist? Vielleicht befindet Er sich ja unter den Kindern meiner Töchter oder bei anderen Verwandten oder Bekannten!“ (b)
Also schickten die Söhne des Joseph zuerst einmal alle ihre Kinder durch die Pilgerschar auf dem Heimweg voraus, um nach Jesus zu suchen, wie sie auch selbst mit Joseph und Maria den Menschenstrom vor ihnen, nach Jesus rufend, durchkämmten. Aber der Junge war nicht zu finden! Er musste folglich doch irgendwo zurück-geblieben sein.
Darum machte sich Joseph mit Maria dann doch in Gegenrichtung zu dem heimkehrenden Pilgerstrom auf den Rückweg nach Jerusalem, um nach ihrem Jungen zu suchen (c).
Gewiss! Jesus war schon fast volljährig! Im nächsten Jahr würde Er bereits als ein »Bar Mizwa«, also als ein »Sohn des Gesetzes«, mit allen Rechten und Pflichten in die heilige Versammlung aufgenommen werden! Dann galt Er als ein ausgewachsener Mann in heiratsfähigem Alter. Aber noch unterstand Er ganz ihrer Verantwortung!
Und trachtete man Ihm nicht schon seit Seiner Geburt nach dem Leben?! Mussten sie deshalb nicht einst ins gottlose Ausland nach Ägypten fliehen, um ihren Jungen vor den Häschern des Herodes zu bewahren? (d)
Joseph hatte all die Kinder vor Augen, die in Bethlehem, wie sie später erfahren hatten, nach ihrer Flucht niedergeschlachtet worden waren (e). Gewiss! Herodes, der Große, lebte nicht mehr (f). Doch der Satan, dessen Handlanger jener idumäische Herrscher gewesen war, lebte und wirkte noch immer! Wenn Jesus nun in irgendeiner Weise dem Widersacher Gottes in die Hände gefallen war, weil sie nicht ausreichend auf Ihn geachtet und Ihn beschützt hatten?!
Es gab zu derlei Sorgen und Befürchtungen zwar keinerlei wirklich konkreten Anlass, denn niemand stellte ihnen oder dem Kind noch nach, seit Herodes, der Große, verstorben war: doch in Joseph meldete sich immer wieder wie ein Hammerschlag die Frage seines Jungen, die Er ihm bei der Schlachtung der Passah-Lämmer im Gottestempel gestellt hatte: „Und was, wenn doch?“ – wenn Gott sich ein anderes Sühneopfer und Passah-Lamm ersehen hatte, dass alle anderen Schlachtopfer unnötig machen würde? (g)
Das konnte, das durfte einfach nicht sein! Nicht nur, dass Joseph dies schlichtweg nicht wahrhaben wollte: Er spürte doch zugleich auch deutlich, dass dies zur gegenwärtigen Stunde völlig undenkbar war (h) – und eine Katastrophe gewesen wäre, und dass, wenn seinem Jungen irgendetwas zugestoßen wäre, er in seiner Nachlässigkeit, auf den Buben zu achten, eine unverzeihliche Sünde begangen hätte, die zumindest – auch, wenn der Höchste sie ihm vergeben würde – er sich selbst niemals hätte verzeihen können! Denn er liebte den Jungen über alles und wollte Ihn niemals verlieren!
Maria machte sich nicht weniger Sorgen. Sie musste immer an die unheilsschwangere Weissagung des greisen Simon denken, der ihr, als sie Jesus zur Darstellung in den Tempel gebracht hatten, prophezeit hatte: „Auch dir wird ein Schwert durch die Seele dringen!“ (i)
Ja, so spürten die beiden, Maria und Joseph, dass über dem Schicksal ihres Jungen doch etwas Dunkles, Bedrohliches, unglaublich Furchterregendes lauerte und seiner Erfüllung entgegen-harrte, was sie beide mit Schauder und Entsetzen erfüllte. Das konnte, das durfte einfach nicht passieren! Nicht jetzt schon – und aufgrund ihres Versagens, ihrer Nachlässigkeit!
Aber Jesus war sonst in allem so vernünftig und besonnen und verlässlich, so zuverlässig und pflichtbewusst (j), dass sie sich schon lange über Sein Wohl keine Gedanken mehr machten (k). Sie waren sich Seiner einfach zu sicher geworden, dass sie garnicht mehr auf den Gedanken kamen, sie könnten Ihn durch irgendeine Nachlässigkeit oder Leichtfertigkeit verlieren! (l)
Nun aber, nachdem es doch passiert war, machten sie sich freilich die allergrößten Vorwürfe, wie ihnen das hatte passieren können. Und wenn sie auch nicht wussten, was Ihm hätte zustoßen können: Sie spürten mit einem Mal wieder allzu deutlich, welcher böse Schatten doch beständig auf der Lauer lag, dem Jungen das Leben zu nehmen und Ihn zu reißen (m). Und sie hatten nicht aufgepasst!
17-E: Auf der Suche nach Antworten
Jesus hatte Seine Eltern und älteren Geschwister gänzlich aus dem Blick verloren, wie auch deren Kinder, mit denen Er zusammen war (a). Er sah nämlich in einer Säulenhalle im Vorhof der Heiden einen altehrwürdigen Rabbi in Lehrgesprächen mit seinen Schülern vertieft. Hillel war der Name dieses betagten Pharisäers aus dem Hohen Rat, wie Jesus von seinem Vater erfahren hatte.
Und Jesus hatte viele Fragen: Nicht, dass Ihm sein Vater Joseph nicht auf alles Rede und Antwort gab; aber Er wollte wissen, wie die hohen Gelehrten Israels zu Seinen Ansichten und Einsichten standen, und, welche Antwort sie auf die Frage hatten, welche Ihn am allermeisten beschäftigte: Brauchte Gott wirklich all diese furchtbaren blutigen Schlachtopfer, um sich erweichen zu lassen, um vergeben und verzeihen zu können? (b) Waren diese alle nicht vielmehr die schmerzlichen Opfer Gottes selbst (c), die dem Vater im Himmel ebenso zusetzten und zutiefst wehtun mussten, wie Ihm, dem kleinen Jesus, selbst? (d)
Der Junge konnte einfach nicht glauben und akzeptieren, dass Gott auf solch blutige, grausige Abschlachtung unschuldiger Jungtiere angewiesen war, um sich erweichen zu lassen und den Menschen ihre Sünden und Verfehlungen zu vergeben – als ob Er dann ein anderes Objekt brauchen würde, an welchem sich Sein unbändiger Zorn über Seine ungehorsamen Kinder entladen konnte! (e) Denn waren all diese süßen Lämmlein nicht ebenso geliebte Geschöpfe Gottes? (f)
Und konnte ihre Hinschlachtung als stellvertretende Sühneopfer für die Menschen diese wirklich entsühnen? (g) Ja, musste dies nicht die Schuld der Menschen, mit dem, was sie diesen Geschöpfen Gottes da antaten, nur noch mehr vergrößern? (h) – weil sie Gott für ein blutrünstiges Monstrum hielten, dessen Zornes-Glut auf irgend ein anderes Wesen abgelenkt werden musste, damit Er bereit war, doch wieder Güte und Nachsicht zu zeigen! (i)
Konnte dieser Weg der Entsühnung, um Gott gleichsam erst umstimmen zu müssen, doch noch Gnade und Barmherzigkeit zu erweisen (j), wirklich der Wille Gottes sein und Seinem wahrhaftigen Wesen unaussprechlicher, unerbitterlicher Liebe gerecht werden? (k)
Oder bedeuteten diese Opfer für Gott selbst, wie für Jesus, nicht nur unsäglichen Schmerz (l), was das Ausmaß dessen, worin sich die Menschen an Ihm und Seinem Geist unaussprechlicher Liebe versündigten, nur noch mehr vergrößern und vermehren konnte (m) und Ihm nur noch unendlich viel mehr an allduldsamer Vergebung abverlangte? (n)
17-F: Was beschäftigt Dich, mein Sohn?
Jesus suchte Antworten. Darum zog es Ihn unwiderstehlich zu jenem alten weisen Rabbiner Hillel hin, der im Kreis seiner Schüler und Jünger saß (a). Jesus hatte Seine Familie, die zur Heimkehr aufbrechen wollte, darüber gänzlich vergessen. Und so lauschte Jesus lange den Gesprächen, welche der altehrwürdige Hillel mit seinen Schülern führte – insbesondere mit einem Gamaliel, dem eifrigsten und lernbegierigsten unter seinen Jüngern, welcher sein Enkel war, aber als Rabbi auch schon selbst Schüler unterwies (b).
Irgendwann aber fiel die Aufmerksamkeit dieses erhabenen Lehrers Hillel auf Jesus. Denn es war ausgesprochen ungewöhnlich, dass ein Junge Seines Alters solches Interesse für die letzten großen Fragen in Bezug auf den Willen Gottes in Hinblick auf das rechte Verständnis der Heiligen Schriften aufbrachte.
So fragte Hillel den jungen Jesus: „Was führt Dich zu uns?“ Der Bub, hoch-erfreut, von dem altehrwürdigen Meister endlich angesprochen zu werden, antwortete: „Ich will, wie ihr, den Willen und das Wesen dessen ergründen und begreifen, der als unser aller Abba gepriesen wird.
Denn geschrieben steht: »Abraham wusste noch nichts von uns, und sein Enkel Jakob, der Stammvater Israels, kannte uns auch noch nicht. Du, HERR, aber bist unser Vater und unser Erlöser von alters her: „Abba“ – das ist dein Name. Und Du hast uns alle von je und je schon als Deine Kinder erkannt«“ (c).
„Gut gesprochen, Junge!“, lobte der Hillel da Jesus: „Wie ich sehe, bist Du in den Schriften gut bewandert! Wer hat dich dies denn alles gelehrt?“
„Mein Vater Joseph. Er ist Zimmermann in Galiläa, in Nazareth. Wie auch meine Mutter. Und auch Jakobus, der älteste meiner Brüder, der vielen als ein »Zaddik«, ein wohl-bewanderter »Gerechter« im Gesetz gilt, erklärt Mir vieles. Und der Rabbi unserer Synagoge hat Mir das Lesen der Heiligen Schriften beigebracht (d).
Und doch sind da noch so viele Fragen, die Ich habe – größer, als die Antworten, die sie Mir alle geben konnten. Du aber giltst allen Juden als der Weiseste unter allen Rabbinern. Darum erhoffte Ich mir Antworten von dir.“
„Und was ist mit Schammai? Ist er nicht ebenso weise wie ich?“, fragte da Hillel. Denn Schammai war unter den Pharisäern gleichsam der Rivale und Gegenspieler des Hillel, der in Fragen der Auslegung wesentlich strenger und penibler als Hillel war. Und Schammai hatte ebenso, wie Hillel, viele rabbinische Schüler um sich gesammelt.
„Meiner Meinung nach bist du dem Willen und Wesen der Allmacht näher. Denn du weißt mehr über Ihre Milde und Barmherzigkeit“, bekundete Jesus (e). Das freilich schmeichelte dem altehrwürdigen Hillel und gefiel ihm darum natürlich sehr. So ermutigte er den Knaben: „Du scheinst schon mehr verstanden zu haben, als viele mündige Israeliten (f), obwohl Du dem Anschein nach noch kein »Bar Mizwa« und »Sohn des Gesetzes« bist.
Was also beschäftigt Dich, mein Sohn, und worauf suchst Du Antworten, die Dir weder Dein Vater, noch Deine Mutter, noch Dein Bruder Jakobus, noch der Lehrer Deiner Synagoge geben konnten?“
17-G: Sind nicht all eure Opfer in Wirklichkeit alles Opfer Gottes?
„Sagt Mir doch bitte:“, fragte Jesus: „Warum ist diese furchtbare Schlachtung all jener unschuldigen, makellosen armen Passah-Lämmer notwendig an dem Tag, an welchem ganz Israel seiner Erlösung und Befreiung aus der Knechtschaft Ägyptens gedenkt?“
„Weil der Allmächtige es dem Mose so geboten hat,“ erklärte Hillel, „dass man dies alljährlich so tun soll: als eine ewige Ordnung (a). Denn all diese Lämmer müssen geschlachtet werden zur Sühnung aller unserer Sünden, damit sich der Zorn des Höchsten über all unsere Unzulänglichkeiten an diesen Opferlämmern entladen kann, statt uns zu treffen, damit wir vor dem Verderber bewahrt werden, der uns andernfalls alle wegen all unserer Verfehlungen nieder-strecken würde (b).
Darum bringen wir dem Heiligen beständig, vor allem zum Passah-Fest, Sühneopfer dar, damit jene Lämmer an unserer statt der Blitzstrahl des göttlichen Zornes trifft und wir vor dem gerechten Gericht Gottes verschont werden (c).
Denn der Heilige Israels ist ein eifersüchtiger und ein Gerechtigkeit liebender Gott (d) und fordert zu Seiner Genugtuung für jede Übertretung Vergeltung (e). Darum müssen wir Ihm Opfer darbringen, um Ihn zu besänftigen, damit Sein heiliger Zorn sich an diesen Tieren entladen kann und sich nicht über uns selbst ergießt.
Wenn wir Ihm nämlich nicht all diese Sühneopfer darbrächten an unserer statt, dann träfe der Zorn Gottes über die Bosheit aller Menschenkinder (f) uns selbst und würde uns allesamt zugrunde richten (g).
Denn fürwahr: der Heilige Israels ist ein zorniger Gott, der Vergeltung für jede noch so geringe Übertretung fordert und andernfalls nicht vergibt (h). Darum bringen wir Ihm all diese Sühneopfer dar.“
„Doch woher nehmt ihr sie?“, fragte da der kleine Jesus. Die Männer schmunzelten einander über die Unbedarftheit dieses jungen Knaben an und erklärten Ihm: „Na, aus unseren Herden.“
„Nein, Ich meine das anders“, gab der Bub zu verstehen: „Habt ihr diese Lämmer denn selbst gezeugt und gebildet? Sind sie also aus euch?“ „Nein“, verwunderten sich die Rabbiner über diese Nachfrage: „Natürlich nicht. Der Höchste hat sie erschaffen, wie alles Leben (i).
Wir aber haben sie mit viel Mühe und Fleiß großgezogen und genährt, bis sie stramm und fett wurden, um sie dem Allmächtigen als ein würdiges Opfer aus unserer Hand darbringen zu können. Denn alles, was aus ihnen geworden ist, ist schließlich unser Verdienst.
So können wir durch die Erzeugnisse unserer guten Werke, welche wir eingebracht und in die Reifung jener Opfertiere investiert haben, unsere bösen Taten, die nach Bestrafung verlangen, wieder wettmachen“ (j).
„Was aber lässt jene Lämmer wachsen und gedeihen?“, hakte der kleine Jesus nach: „Was nährt sie, dass sie so stramm und fett werden, einer Darbringung auf dem Altar Gottes würdig?“ (k)
„Es sind die Gräser und Kräuter auf unseren Feldern“, erklärte Hillel. „Und was lässt diese aus der Erde hervorgehen und sprießen und wachsen?“, fragte der Junge nach. „Es ist der Regen, der vom Himmel kommt, und die Sonne, die alles bescheint.“ „Und woher kommt die Sonne und der Regen?“ Wieder lächelten die Pharisäer einander über die unnachgiebige Wissensbegier dieses Knaben an: „Sie sind Gottes Werk“, erklärten sie: „Denn Er ist der Schöpfer von allem“ (l).
Da schlussfolgerte der kleine Jesus: „Dann habt ihr aber doch alles, sowohl die Lämmer, die ihr opfert, als auch alles, was sie genährt hat und heranwachsen ließ, doch von Gott, dem Höchsten, selbst empfangen und erhalten!“ (m) „So ist es“, bestätigte der alt-ehrwürdige Rabbi Hillel: „Doch worauf willst Du mit Deinen Fragen denn hinaus?“
„Dies ist es:“, gab Jesus zur Antwort: „Wenn nun alles, was ihr dem Höchsten opfert, weil dies zur Besänftigung Seines Zornes nötig wäre, aber letztlich doch von Ihm selber kommt: Wie könnt ihr dann meinen, dass Er euch zürnen würde (n) wegen eurer unzähligen Übertretungen und Sünden, da alle Opfer, die ihr Ihm darbringt, damit sich Sein Zorn über euch an ihnen, statt an euch selbst, entladen kann, doch eigentlich garnicht eure Opfer für Ihn sind, sondern vielmehr Seine Opfer für euch – wie geschrieben steht in den Psalmen: »Keineswegs bedarf Ich irgendwelcher Verdienst-Leistungen und Opfer eurerseits! (o)
Und es verhält sich auch nicht so, dass Ich Opfertiere annehmen würde zu deiner Entsühnung aus deinen Herden, die du gebildet hättest! Sondern vielmehr habe Ich selbst diese alle geschaffen und genährt und satt und fett werden lassen, dass du sie Mir als Sühneopfer darbringen kannst (p).
Meine Schöpfung sind sie alle – DIR von MIR und keineswegs MIR von DIR gegeben! Meine geliebten Geschöpfe und Kinder sind sie alle; und Ich kenne sie alle mit Namen! (q) Und Ich bin´s, der Ich sie frei hingebe um deinetwillen aus Mir selbst, um deine Sünde zu entsühnen (r); – und ihr Opfer: Es sollte dich nicht dazu verleiten, zu sagen: „Ich selbst habe dies alles dargebracht, um mich zu entsühnen, und ich habe mir selbst damit wieder Gerechtigkeit verschafft“, sondern es sollte dich vielmehr beschämen, dass du sagst: „Was hat es die Allmacht an geliebten Leben gekostet, mich zu entsühnen und mir zu vergeben!“ (s)
Alles, was du Mir nämlich darbringen kannst, ist nichts als Dank für die dir gänzlich unverdient gewährte Gnade!« (t)
17-H: Sinnt Gott auf Vergeltung oder auf Vergebung?
Wenn nun aber letztlich GOTT SELBST all diese unschuldigen Geschöpfe, die doch alle Seine Gebilde sind, die Er selbst in Liebe erschaffen hat, für euch zur Sühne für eure Sünden opfert und preisgibt: Wie könnt ihr da noch meinen, Er würde auf Vergeltung sinnen zu Seiner Genugtuung (a), da Er doch aus sich selbst all die Opfer stiftet, die ihr Ihm darbringt!
Vergibt euch da nicht die höchste Allmacht all eure Sünden gänzlich umsonst? (b) – aus Ihrer frei sich an alle verschenkenden und vergebenden, gänzlich selbstlosen, unaussprechlichen göttlichen Abba-Liebe und Gnade heraus, so dass doch eigentlich gar keine Opfer nötig wären! Denn alle Opfer kommen ja letztlich doch allein wieder aus der göttlichen Liebe Hand!“
Da fragte Gamaliel, jener eifrigste Schüler und Enkel des erhabenen, weisen Rabbis Hillel, den Jesus-Knaben: „Wir verstehen noch immer nicht, was Dich beschäftigt und worauf Du hinaus willst: Gott hat uns doch durch Mose geboten, dass wir dies tun sollen!“
„Ich frage Mich lediglich“, bekundete Jesus, „ob jene Opfer recht verstanden und gedeutet werden. Sind sie etwas, was der Höchste zur Sühne fordert von den Menschen zu Seiner Genugtuung und Besänftigung, damit sie Sein Zorn nicht trifft, oder sind sie nicht vielmehr etwas, was die höchste Allmacht selbst allen frei schenkt und stiftet, damit Sie allen vergeben kann?
Sollten uns all diese Opfer also nicht vielmehr vor Augen führen, was es die höchste Heiligkeit selbst kostet und was es Ihr abverlangt, dass Sie allen Menschen all ihre beständigen Übertretungen nachsehen und vergeben kann (c) – ohne Ihre Gerechtigkeit aufzugeben, nach der jedes Vergehen und jede Übertretung nach Züchtigung und Bestrafung verlangt (d).
Ich meine: All die unschuldigen Lämmer und makellosen Geschöpfe Gottes, die hier im Tempel dargebracht werden: Sind sie denn Opfer der Menschen für Gott, oder nicht vielmehr Opfer der Gottheit für die Menschen?
Zürnt die Allmacht also wirklich den Menschen, dass Sie durch Opfer besänftigt werden müsste? Oder zeigen all diese Opfer nicht vielmehr, was es die göttliche Liebe kostet und was Sie bereit ist, hinzugeben (e), um allen Menschen immer wieder all ihre Übertretungen und Vergehen nachzusehen und ihnen alles zu vergeben, worin sie auch immer fehlen? (f) – und zwar aus ihrer Langmut und Gnade und Geduld und Barmherzigkeit heraus, die sich niemals erzürnen und erbittern lässt, und letztlich alles zu vergeben gewillt ist: gänzlich umsonst! (g)
Wenn nun aber all die Opfer zur Sühnung und Vergebung aller Sünden letztlich Opfer der Gottheit für die Menschen sind und keineswegs Opfer der Menschen für Gott, so frage Ich Mich weiter: Bedarf es solcher blutigen Opfer überhaupt, damit die Gottheit vergibt? (h)
Denn es sind ja nicht etwa diese Opfer, die geschlachtet werden müssten, um den Höchsten zu besänftigen und umzustimmen, dass Er vergibt, damit sich Sein Zorn über die Menschheit, die an Ihm schuldig geworden ist, an diesen unschuldigen Tieren, statt an ihnen selbst entladen kann, sondern vielmehr ist es doch von Anfang an das Verlangen der Gottheit, allen zu vergeben, dass Sie allen Menschenkindern all diese Ihre Geschöpfe zur Sühne für ihre Sünden zur Verfügung stellt!“ (i)
17-I: Was denkt ihr von dem Messias?
Da kräuselte der erhabene Rabbi Hillel nachdenklich seinen Bart und folgerte: „Du meinst also, dass alle Opfer, die hier im Tempel geschlachtet werden, überhaupt nicht notwendig sind, um den Höchsten zu besänftigen, sondern vielmehr eigentlich im Letzten freie Gaben der göttlichen Sanftmut für uns alle sind, da es letztlich nicht unsere Opfer für Gott, sondern Gottes Opfer für uns sind, die uns nur vor Augen führen sollen, wie Ihn unsere Treuebrüche schmerzen, zusetzen und verletzen, und, was es Ihn abverlangt, uns dennoch immer wieder alles nachzusehen und zu vergeben – ohne dass wir unsererseits irgendetwas zu Seiner Genugtuung als Wiedergutmachung vorbringen könnten oder müssten, so dass der ganze Tempel-Ritus nur ein Hinweis auf Seine sich immerfort an alle gänzlich frei und umsonst verschenkende Liebe und Gnade wäre!“ (a)
„Wie denkt ihr darüber?“, fragte der junge Jesus, der sich von dem weisen Hillel offensichtlich verstanden fühlte: „Bin Ich mit dieser Sichtweise im Herzen Gottes?“
„Wahrlich, Du sprichst wie ein hochbetagter Gelehrter!“, gab der altehrwürdige Hillel mit Bewunderung zum Ausdruck: „Ich habe noch nie einen Knaben Deines Alters gesehen, der sich mit so tiefen Empfindungen des Herzens über die Stiftungen Gottes Gedanken gemacht hätte! (b) Darum machst Du uns neugierig. Hast Du noch andere Fragen?“
„O ja, unendlich viele!“, bekundete Jesus: „Was denkt ihr von dem Messias, der da kommen soll? Was wird Er tun und wie wird Er sein?“
„Er wird kommen, um Gericht zu üben über alle Gottlosigkeit der Menschen“ (c), erklärte Hillel: „Er wird alle Gottlosen vernichten mit dem Hauch Seines Mundes (d) und das Reich Gottes aufrichten für alle, die als gerecht befunden werden“ (e).
„Doch heißt es nicht bei dem Propheten Maleachi:“ entgegnete Jesus: „»Wer aber wird da bestehen können an Seinem Tag?!«, wenn der Messias tatsächlich in dieser Weise kommt und Gericht üben wird über alle Welt?! (f) Würde das dann nicht aller Menschen Vernichtung und Verderben bedeuten? Denn welche Menschenseele ist schon gerecht vor Gott?!“ (g)
„Was meinst denn Du“, fragte Gamaliel den kleinen Jesus, „wie Er dann kommen wird?“ Jesus antwortete ihm: „Müsste Er nicht dazu kommen, die göttliche Gnade und Barmherzigkeit als ein Feldzeichen Gottes über alle Welt aufzurichten (h), das noch alle Widersetzlichkeit bezwingt und selbst alle, die aufbegehren, noch beschämen wird? (i)
Was ist mit der Weissagung des großen Propheten Jesaja von Gottes Knecht? Könnte dies nicht auch eine Prophezeiung auf den Messias sein?
Dann käme Er nicht, um alle Welt zu richten, sondern vielmehr, um sich selbst hinschlachten zu lassen als ein Sühneopfer- und Passah-Lamm Gottes für alle Welt, welches aller Menschheit Sünde entsühnt“ (j).
17-J: Lebt nicht alles aus der göttlichen Hingabe?
„Du meinst, Er wird nicht kommen, um alle Welt zu richten, sondern vielmehr, um das göttliche Gericht an sich selbst vollstrecken zu lassen, so dass durch Sein Sühneopfer aller Welt vergeben werden kann?“, runzelte der altehrwürdige Hillel die Stirn: „Doch wer sollte zu solch einer selbstlosen Tat in der Lage sein?!“ (a)
Jesus antwortete: „Muss es nicht der Eine selbst sein, der von je her alle Sühneopfer aus sich selbst heraus aller Welt gestiftet hat, so dass diese alle nur ein Hinweis und Vorzeichen sind auf Seine eigene selbstlose Hingabe selbst für alle Welt?“ (b)
„Du meinst, der Höchste selbst würde kommen, um sich für uns alle zu opfern und Sein Leben hinzugeben für unser aller Leben?“, fragte Hillel nach (c).
Und Jesus erklärte: „Würde sich darin nicht enthüllen, wie es von je her schon immer im Letzten und Eigentlichen die alleinige Wahrheit und Wirklichkeit ist? Denn beziehen nicht schon immer alle Seelen ihr Leben aus dem Leben der göttlichen Seele (d) – und dies gänzlich umsonst und völlig unverdient, wie auch alle Opfer, die zur Vergebung der Sünden dargebracht werden, letztlich Darbringungen der göttlichen Liebe für Ihre sündigen Menschenkinder sind? (e) – so dass alles, was existiert, auf dem beständigen selbstlosen Opfer der Hingabe des göttlichen Lebens aus sich selbst für wahrhaft alle beruht! (f)
17-K: Dann dürften auch keine Schlachtopfer mehr nötig sein!
Und wenn dies dermaleinst offen zu Tage tritt im Erscheinen des Messias, dann dürfte auch kein Schlachtopfer mehr nötig sein (a), wie geschrieben steht bei dem Propheten Zephanja: »Dann werdet ihr stille halten vor dem HERRN! Denn dann ist gekommen der Tag des Heils, an welchem der HERR sich selbst ein würdiges Opfer zubereitet, das alle Seine Geladenen heiligen wird« (b), und wie es weiter heißt bei dem Propheten Sacharja: »An jenem Tag wird es kein Schlachtopfer mehr geben im Hause des HERRN« (c)
Denn alle Welt wird es dann sehen und erkennen, dass alles eine freie Seltbst-Aufopferung und Hingabe der Gottheit für alle Ihre Kinder ist, da sich die göttliche Seele an all Ihre geschöpflichen Kinder-Seelen ausschüttet und austeilt, wie es von je her Ihr heiliges Blut ist, das auf Ihrem Altar vergossen wird“ (d)
17-L: Wusstet ihr nicht, wo Ich sein muss?
So war Jesus in derlei Gespräche mit dem altehrwürdigen Rabbi Hillel und Gamaliel und all der anderen Schüler jenes erhabenen Meisters vertieft, dass Er garnicht mitbekommen hatte, wie viele Stunden verstrichen waren, seit Seine Eltern angekündigt hatten, dass sie nunmehr bald aufbrechen und nach Nazareth zurückziehen wollten (a).
Und als Maria und Joseph plötzlich völlig aufgelöst zu Ihm stürmten, konnte Er ihre Sorge überhaupt nicht verstehen. Denn es war Ihm überhaupt nicht bewusst geworden, dass schon einige Stunden vergangen waren, seit sie bekundet hatten, nun bald aufbrechen zu wollen – ja, dass sie alle schon vor langer Zeit losgezogen waren (b).
„Warum hast Du uns das nur angetan?!“, machte Maria ihrem Junge unter Tränen Vorhaltungen: „Wir sind vor Sorge fast gestorben! Überall haben wir Dich mit Schmerzen gesucht!“ (c) Der kleine Jesus jedoch verwunderte sich: „Aber warum habt ihr Mich denn gesucht? War euch nicht bewusst, wo Ich bin? Ihr hättet doch wissen müssen, dass Ich in dem sein muss, was Meines Vaters ist!“ (d)
Da stach es den Eltern Jesu durch´s Herz; und Schauder erfasste sie. Denn sie wurden daran erinnert, dass ihr Kind nicht von dieser Welt, sondern aus dem Vater war (e).
17-M: Verlockendes Angebot
„Wollt ihr den Jungen nicht in eine rabbinische Schule geben, so wissbegierig, wie Er ist, dass Er sich ganz dem Studium der Thora widmen kann?“, fragte schließlich der altehrwürdige Hillel den Joseph: „Ich selbst würde mich geehrt fühlen, euren Knaben unterrichten zu dürfen!
Ich habe da so eine Ahnung, dass Er es einmal sogar weiter bringen wird, als Schammai und ich, und, dass Er der Lehrer für viele Völker werden könnte! (a) Denn Er weist jetzt schon eine Weisheit auf, welche selbst sogar die des David-Sohnes Salomo zu übertreffen scheint!“ (b)
„Wir fühlen uns durch dein Angebot über alle Maßen geehrt, werter Rabbi Hillel“, gab Joseph zu Antwort: „Und wir werden es gründlich überdenken. Es ist nur so …“
„Es ist WAS?“, fragte der ehrenwerte Hillel nach, verwundert, dass sein großzügiges Angebot von dem Vater des Jungen nicht augenblicklich mit überschwänglicher Freude angenommen wurde.
Joseph rang um Worte: „Wie du schon erkannt hast: Auf diesem Kind liegt ein ganz besonderer Segen. Und wir wissen nicht, was Gott mit Ihm noch vorhat. Wir können darum nur beten und den Höchsten um rechte Leitung bitten.
Aber es ist schon einiges passiert, was uns erahnen lässt, dass Sein Weg ein ganz außergewöhnlicher sein wird, der sich von allem abhebt und auch alles übersteigt, was selbst die Weisesten Israels bislang im Blick haben“ (c).
„Nun denn!“, gab der Pharisäer-Meister sogleich kleinbei. Wie sehr er auch von dem jungen Jesus beeindruckt war, so wollte er doch nicht den Eindruck erwecken, um die Erziehung eines Schülers zu buhlen. „So zieht hin im Segen des HERRN. Doch ich bedauere das sehr!“, musste er dennoch zugeben: „Ich wäre gerne Sein Lehrer – und vielleicht auch Sein Schüler geworden! (d) Aber wenn ihr meint, dass es nicht sein soll, dann soll es wohl nicht sein.“
17-N: Ganz bestimmt werden wir uns wiedersehen!
Also führten Joseph und Maria ihren Jungen mit sich von Rabbi Hillel weg. Jesus aber riss sich dann doch nochmals von der Hand Seiner Mutter los und stürmte zurück zu dem altehrwürdigen Meister und umarmte den Alten und küsste ihn auf die Wange; und das Herz des pharisäischen Hoch-Lehrers schmolz darüber dahin.
Und Jesus sagte zu ihm: „Ganz bestimmt werden wir uns wiedersehen! Danke für alles, was du Mir klar gemacht hast!“ „Aber was habe ich Dir denn klar gemacht?“, rief der altehrwürdige Rabbi Hillel dem Jesus-Knaben nach. Aber der war mit Seinen Eltern bereits gegangen.
So hatte Jesus mit zunehmender Klarheit eine erste vage Ahnung von Seiner eigentlichen Sendung und Mission bekommen. Es sollte aber noch einige Jahrzehnte dauern, bis Er darüber absolute, letzte Gewissheit erlangte, und erkannte, was dies für Ihn persönlich bedeuten sollte.
Und Er zog mit Seinen Eltern wieder hinab nach Nazareth und folgte ihnen in allem willig, erlernte von Seinem Vater und Seinen älteren Brüdern das Schreiner-Handwerk und stand auch Seiner Mutter stets hilfreich zur Seite.
Und mit Seinem Alter nahm auch Seine Weisheit immer mehr zu; und Er war bei allen Menschen ebenso beliebt, wie bei Seinem himmlischen Vater, unserem HERRN und Gott (a).
Maria aber behielt alle Worte in ihrem Herzen, welche der Rabbi Hillel über Jesus gesagt hatte – dass er davon überzeugt wäre, Jesus würde einstmals ein großer Lehrer für alle Völker sein (b).
17-O: Eine weitere Prophezeiung über Jesus im Tempel
Aber siehe: Noch ehe Jesu Eltern mit ihrem endlich wieder-gefundenen Knaben den Tempel verließen (a), da kam ihnen ein Prophet Gottes mit Namen Schelach entgegen.
Der ergriff den Jungen voll Dankbarkeit und überströmender Freude bei den Schultern und weissagte über Ihn: (b) „Gelobt sei der Höchste, All-Heilige, über Dir, dass Er Dich endlich zu uns gesandt hat! Denn siehe: Die Liebe und die Weisheit Gottes sind in Dir vereint! (c)
Deshalb sollst Du in dem glorreichen kommenden Zeitalter auch rechtens unter Deinem Namen »Jesus« verehrt werden, was da heißt: »Gott selbst rettet und heilt und hilft«! (d)
Denn durch Dich, den Christus Gottes, wird der allgütige Abba aller die gesamte Menschheit erlösen! (e) – ja: wahrlich ausnahmslos alle Seelen, die heute noch sind wie eine von Angst und Sorge und Hass und Zorn und Groll aufgewühlte bittere See! (f) Doch diese Bitternis in aller Seelen Herzen soll in Süßigkeit gewandelt werden (g) durch Dich und den Erweis der unendlichen Liebe, die in Dir aller Welt offenbar werden wird! (h)
Aber dieses Geschlecht aus den Hause Israel wird noch nicht als Braut erfunden werden in diesen Tagen: (i) weder in diesem bereits auslaufenden Zeitalter, das darum vor seiner letzten Jahrwoche abgebrochen werden muss (j), noch in der Epoche, die alsbald in Deinem Christus-Namen anbrechen und heraufziehen wird (k);
sondern diese so verworfene Nation (l) wird erst aufgenommen werden nach einer langen Zeit der Läuterung (m), nach Abschluss Deines kommenden Äons (n), in welchem sich der Höchste in Deinem Namen dafür aller verlorenen Heidenvölker annehmen wird (o), um sich aus ihnen eine neue heilige Nation zu erwecken und um Sein erst-erwähltes Volk darüber zur Eifersucht zu reizen, damit alsdann hernach auch diese jetzt noch so verstockte Nation den Heidenvölkern nacheifern soll (p) – in einer künftigen Wiedergeburt“ (q).
Und Jesus ging mit Seinen Eltern wieder hinab nach Galiläa in Sein Heimatdorf Nazareth; und Er war ihnen gehorsam und arbeitete mit Seinem Vater und Seinen Halbbrüdern aus des Witwers Josephs erster Ehe (r) in dessen Schreinerei. Dort fertigte Er Räder und Joche und auch Tische und Stühle und Liegen und allerlei Möbel mit großer Geschicklichkeit. Und Jesus nahm zu an Größe und an Gnade bei Gott – und auch bei einigen, wenigen einsichtigen Menschen (s).