Syn-Evangelium
(Studien-Fassung)
Das großartige Evangelium des vollkommenen Lebens
im Schatz der unverlierbaren Liebe Jesu Christi
IV Die Ablehnung
5-A: Rückkehr nach Magdala in Galiläa
Als Jesus mit Seinen zwölf Aposteln von Gaulanitis über den See Genezareth wieder nach Galiläa übergesetzt war und ihr Boot sich dem Hafen von Magdala näherte, da begann sich dort bereits wieder eine große Menge Volk zu sammeln (a).
Denn viele hatten ihnen von Kapernaum aus mit ihren Booten über das galiläische Meer nach Gergesa folgen wollen, waren hiervon jedoch von dem heftigen Sturm, der aufgekommen war, abgehalten worden (b). Darum wartete eine große Anzahl von ihnen auf Seine Rückkehr; und sie hielten nach dem Boot Seiner Jünger Ausschau (c).
Als der Meister nun die große Menge von Menschen sah, die nach Seinen Worten der Gnade verlangten, verkündigte Er ihnen am See Vieles vom Reich Gottes.
Dann aber hielt Er inne, denn Er sah einen Mann völlig aufgelöst zu Ihm eilen; der warf sich vor dem Herrn auf den Boden und seufzte verzweifelt: „O, werter Meister! Ich flehe Dich an! Mein liebes Töchterlein, mein einziges Kind, gerade einmal zwölf Jahre alt: sie ist von schlimmen Fieber heimgesucht worden und liegt in den letzten Zügen! Komm doch bitte ganz schnell mit und lege Deine Hände auf sie, damit sie wieder gesund wird und ins Leben zurück-kommt!“
Bei dem verzweifelten Vater handelte es sich um einen frommen Mann mit Namen Jairus, welcher in Magdala der Vorsteher einer Synagoge war.
Da ergriff der Meister in einer beruhigenden Geste den Jair am Oberarm und sprach zu ihm: „Fasse Mut! Ich will sogleich mit dir gehen!“ Und der Rabbi folgte ihm mit Seinen Jüngern (d). Aber auch die ganze Menschenmenge schloss sich ihnen an und umdrängte sie von allen Seiten (e).
5-B: Die Verzweiflungstat der unreinen Bernike
Unter den vielen Menschen befand sich im Hintergrund aber auch eine zierliche jüdische Frau, die sich voller Scham völlig verhüllt hatte. Denn sie wollte von niemandem erkannt werden, da es ihr nach dem Gesetz des Mose eigentlich überhaupt nicht gestattet war, sich in die Öffentlichkeit zu begeben.
Und auch selbst Fremde hätten sofort erkannt, dass der Schatten des Todes auf ihr lag und ihr jede Lebenskraft entzogen hatte, so leichen-blass und blutleer wie sie war. Sie litt nämlich bereits zwölf Jahre lang an Blutfluss (a) – zwölf entsetzliche Jahre, die ihr schon wie eine ganze Ewigkeit vorkamen und sie zu einem Leben in völliger Absonderung verbannt hatten! Denn da ihr aus ihrem Unterleib immer wieder Blut auslief, galt sie – abstoßend und ekel-erregend wie das war – allen nach der Masora als unrein, wie auch alles, womit sie in Berührung kam. Das verdammte sie zu einem Leben in völliger Isolation und Abgeschiedenheit (b).
Sie konnte noch von Glück reden, dass sie eine Schwester hatte, ihre liebe Illiana, die ihr regelmäßig Wasser und zubereitete Speisen vor die Tür stellte und sie immerhin zumindest alle vier Wochen aufsuchen konnte, wenn sie wegen ihrer eigenen Monats-Blutung ohnehin selbst unrein war (c).
Diese wenigen Besuche ihrer kleinen Schwester waren Bernikes einzigen Rettungsanker, die sie immer wieder durchhalten ließ: die Aussicht, wenigstens ihre liebe Illiana nach den langen Phasen unsäglicher Einsamkeit wieder sehen zu können und von ihr zu erfahren, was sich außerhalb ihrer vier Wände abspielte – jenem Gefängnis, in das sie durch ihr Leiden eingekerkert war und das sie von jeglichem Leben abschnitt.
Aufgrund ihrer höchst schamhaften Unreinheit war es Bernike insbesondere auch versagt, geweihte Orte aufsuchen zu dürfen. So konnte sie nun schon seit unendlich langer Zeit nicht mehr an den heiligen Versammlungen in der Synagoge teilnehmen, wo sie doch seit dem Ausbruch ihres Blutflusses die Trost- und Hoffnungsworte aus den Heiligen Schriften nötiger gehabt hätte, denn je! (d)
Und an einen Besuch im Heiligen Tempel zu Jerusalem war freilich schon überhaupt nicht zu denken! (e) Denn die strengen Verordnungen der Thora gestatteten ihr erst wieder, das Heiligtum aufsuchen zu dürfen, um ein Sühneopfer wegen ihrer Unreinheit darbringen zu können, wenn sie von ihrem Leiden befreit worden wäre! (f) So aber blieb sie durch ihren Blutfluss an ihre Sündenlast gebunden und konnte keine Sühnung für sich im Haus Gottes erwirken.
Entsprechend war sie schließlich auch unter allgemeine Ächtung gekommen, denn insbesondere die bigotten Weiber aus ihrer nächsten Umgebung fragten sich freilich, was für eine schwere Schuld sie wohl auf sich geladen haben mochte, dass Gottes Hand so schwer auf ihr lastete (g).
Ja, Bernike war selbst schon mehrfach an den Punkt gekommen, dass sie sich für verdammt und verflucht und von Gott gänzlich verlassen hielt – bis dahin, dass sie mit dem Gedanken spielte, ihrem unglückseligen Dasein ein Ende zu machen, da Gottes Zorn einfach nicht von ihr weichen wollte – weswegen auch immer! Denn trotz der zahllosen Tage und Nächte, die sie Zeit hatte, darüber nach-zu-grübeln, welches schweren Vergehens sie schuldig geworden sein könnte, das einen so schmerzlichen Ausschluss von allem Leben ohne jede Aussicht auf ein Ende rechtfertigte, konnte sie doch keine Erklärung dafür finden.
Oder war sie auf so subtile Weise derart vom rechten Weg abgekommen, dass ihr schon jeder Sinn für »gut« und »böse« abhanden gekommen war? (h) – wo sie in ihrer Verzweiflung selbst schon vor dem verwerflichen Verbrechen, sich vielleicht doch noch selbst das Leben zu nehmen, inzwischen nicht mehr zurückschrecken wollte und dies mitunter ernstlichst in Erwägung zog?
Doch bei wie vielen Ärzten hatte sie bereits Hilfe gesucht! Zuerst freilich bei jüdischen Ärzten – das heißt: bei solchen, die zwar aufgrund ihrer Herkunft und Beschneidung dem Volk Israel angehörten, in ihren aufgeschlossenen Ansichten aber mehr den griechischen Philosophien zugeneigt waren (i); denn streng-gläubige jüdische Ärzte hatten sie schließlich überhaupt-nicht persönlich aufgesucht, da sie diese dann verunreinigt hätte (j).
Und die Mittel, welche jene ihr über die Botengänge ihrer Schwester hatten zukommen lassen – widerliche Brühen, die sie einnehmen sollte, aber nicht behalten konnte, wie beißende, brennende Salben, mit denen sie ihren Schambereich einschmieren sollte: all diese Mittel verschlechterten ihren Zustand mehr, als sie halfen!
Aber auch die welt-offeneren jüdischen Ärzte, die immerhin bereit waren, sie aufzusuchen, konnten den Blutfluss nicht stoppen, welch schmerzvollen Torturen sie Bernike auch immer unterzogen.
Irgendwann hatte sie sich dann in ihrer Verzweiflung selbst auch an heidnische Ärzte gewandt, von denen es in ihrer Heimatstadt Tiberias für die dort lebenden Römer und Griechen ebenso einige gab.
Doch auch all deren Bemühungen konnten ihre Beschwerden nicht lindern, sondern verschlangen nur ihr gesamtes Hab und Gut. Denn Bernike war einstmals eine gut gestellte, wohlhabende Frau gewesen; inzwischen aber war sie völlig verarmt. All ihr Vermögen hatte sie bei den unzähligen Ärzten gelassen, die sie alle zugezogen hatte. Doch helfen konnte ihr kein Einziger von ihnen! (k)
Dann aber hatte der Bernike ihre Schwester Illiana nun von jenem großen Propheten erzählt, der überall von sich reden machte und schon viele Schwerkranke geheilt haben sollte, als sie insgeheim wieder einmal kurz davor war, ihrem Leben ein Ende zu machen. Da schöpfte sie dann noch ein letztes Mal Hoffnung. Darum hatte sie sich an diesem Tag auch hinaus-gewagt und war an den See Genezareth gekommen, wo jener Mann Gottes nördlich von Tiberias an Land gegangen sein sollte.
Dort hatte sie sich, völlig verhüllt, im Hintergrund gehalten und Seiner Verkündigung gelauscht; und ihr Herz hatte jedes Seiner Worte aufgesogen, wie ein nach Wasser lechzender, völlig ausgetrockneter Schwamm (l). Denn dieser Mann sprach von einer Liebe Gottes, die unterschiedslos allen unverlierbar gelten würde und restlos allen aufhelfen wolle, worin auch immer sie verstrickt und gebunden waren (m).
Bernike hatte sich die ganze Zeit in gebührenden Abstand von der Menge im Hintergrund gehalten – in der Hoffnung, nach Jesu Verkündigung eine Gelegenheit abpassen zu können, wo sie Ihm allein hätte von Ferne ansprechen können, um Ihm ihr unsägliches Leid zu klagen und Ihn zu bitten, sich ihrer zu erbarmen.
Aber was war nun geschehen?! Ein völlig aufgelöster Schriftgelehrter war auf den Rabbi zugestürzt, gerade, als sie meinte, nun gäbe es für sie eine Möglichkeit, vor jenen Mann Gottes zu treten! Und nun war ihr dieser Pharisäer zuvor-gekommen (n), mit dem Jesus sogleich mitging – und ihre letzte große Chance war vertan!
Denn nun wurde der Prophet von allen Seiten von der großen Menschenmenge umdrängt, die Ihm und Seinen Jüngern folgte. Wie sollte sie da noch an den Rabbi heran-kommen, der sich mit dem Pharisäer Richtung Magdala wandte! Ihr war es doch schließlich untersagt, in Berührung mit anderen Menschen zu kommen! Und wenn sie noch irgendwie zu dem Propheten gelangen wollte, hätte sie sich durch die Traube von Menschen, die ihn umringte, hindurch-quetschen müssen, wenn hier überhaupt ein Durchkommen war!
Tiefe Verzweiflung befiel da zuerst Bernike. Aber dann war ihr mit einem Mal alles egal! Jetzt unverrichteter Dinge wieder nach Tiberias in ihr Haus – nein: in ihr »Gefängnis«! – zurück-kehren, nachdem sie sich nun schon einmal, trotz ihrer Unreinheit, hinaus-gewagt hatte? Nein! Niemals! Das war ihr unmöglich! Lieber wollte sie ins Wasser gehen! Darum durfte sie nichts unversucht lassen, irgendwie doch noch an diesen Mann Gottes heran-zu-kommen – insbesondere nach allem, was sie soeben von diesem gehört hatte und was Bernike in ihrer aussichtslosen Situation wieder so viel Mut gemacht hatte! (o)
Da fasste sie sich ein Herz: Was auch immer das Gesetz des Mose vorschrieb! Es war für sie in diesem Moment völlig bedeutungslos geworden! (p) Sie fühlte sich unwiderstehlich zu diesem Heiler hingezogen und sagte sich schließlich: „Jetzt oder nie! Mit diesem Mann ist wahrhaftig Gott! (q) Und wenn ich es nur schaffe, Ihn irgendwie zu berühren – und sei es auch nur der letzte Saum Seines Gewandes, so würde ich bestimmt geheilt!“ (r)
Also warf sie sich in die Menge und drängte sich mit aller Kraft, die sie noch hatte, zu diesem Jesus durch, um Ihn auch wenigstens kurz einmal berühren zu können, wie es schließlich auch alle anderen versuchten, um so Seinen Segen zu empfangen (s).
Und tatsächlich: ihr gelang es, eine Quaste von seinem Überwurf anzurühren (t), den der Prophet sich vor dem Gehen wieder über Sein Haupt gelegt hatte (u). Und als sie diese weiße wollene Kordel zu fassen bekam, spürte sie, wie von dem heiligen Mann über ihren Arm durch ihren ganzen Leib etwas wie kühles, erfrischendes Wasser hindurch-strömte (v) und wie dadurch in ihrem Unterleib die Wurzel ihres Blutflusses vertrocknete und versiegte, so dass sie spürbar inwendig völlig geheilt und gereinigt wurde (w).
5-C: Das Heil wurde dir gerne geschenkt!
Aber auch Jesus hatte sofort gespürt, dass eine Kraft von Ihm ausgegangen war, und Er wandte sich um und fragte, wie aufgeschreckt: „Wer hat da soeben Meine Kleider berührt?!“ (a)
Die Menschen um Ihn wichen betreten zurück; und der Rabbi wiederholte Seine Frage: „Sagt schon! Wer war es? Wer hat Mich gerade angerührt?!“ Alle blickten verdutzt; und Simon Petrus sprach zum Meister: „Aber Rabbi! Du siehst doch, wie Dich die ganze Menge von allen Seiten bedrängt! Was sprichst Du da: »Wer hat Mich angerührt?«?!
Jesus aber erklärte ihm: „Nein, das war etwas anderes! Ich spürte eine tiefe Verzweiflung und Not, und wie sodann eine mächtige Kraft von Mir ausgeflossen ist!“ (b)
Und Jesus sah sich um, bis Sein Blick auf Bernike haften blieb. Da stach´s ihr durch´s Herz, denn erst jetzt wurde ihr richtig bewusst, wozu sie sich da erdreistet hatte! Sie hatte es doch tatsächlich gewagt, in ihrer Unreinheit einen Heiligen Gottes heimlich, hinter Seinen Rücken anzurühren!
Und sie sank voller Furcht auf ihre Knie, warf sich zu Jesu Füßen auf ihr Angesicht und flehte mit zitternder Stimme: „O, Rabbuni! Vergib mir bitte! Ich wusste nicht, was ich da tat! (c) Ich dachte mir nur noch: »Wenn ich doch wenigstens den letzten Saum Seines Gewandes berühren könnte, so würde ich gewiss wieder gesund!«
Jesus aber ergriff Bernike bei den Schultern und richtete sie wieder auf; und Er sprach ihr milde zu: „Ist schon gut, Meine Tochter!“ Denn Er wusste von Anfang an, wer Ihn angerührt hatte (d); denn die Heilige Ruach hatte es Ihm mitgeteilt (e). Aber Er wollte der Bernike vermitteln, dass sie sich keineswegs unrechtmäßig hinterrücks den Segen der Gottheit erschlichen hatte, sondern dass ihr alles Heil aus dem Herzen der göttlichen Abba-Agape völlig frei zugeflossen war (f), da die Allmacht sie sehr wohl beständig voll Liebe im Blick hatte (g).
Und dies wollte der Herr jener Bernike noch persönlich zusprechen. So beschwichtigte Er sie: „Sei getrost, Mein geliebtes Kind! Dein rückhaltsloses Vertrauen hat dir geholfen! Geh hin im Frieden des HERRN! Dein großes Leiden ist nun wirklich endgültig vorbei!“ (h)
Voller Dankbarkeit küsste Bernike dem Meister die Hände, als sich derweil ein anderer soeben herbei-geeilter Ältester an den Synagogen-Vorsteher neben Jesus wandte und ihm mit Bedauern die Hand auf die Schulter legte: „Jairus! Es tut mir so leid! Deine Tochter ist inzwischen verstorben. Es macht keinen Sinn mehr, den Meister weiter zu bemühen“ (i).
5-D: Die Tochter des Jairus: nur eingeschlafen oder wirklich tot?
Da fiel jener Rabbi von Magdala verzweifelt auf seine Knie und grub sein Angesicht in seine Hände, worauf ihm ein herzzerreißender Seufzer entwich.
Auch Jesus schluckte betroffen, ja, zutiefst erschüttert, und hatte – angerührt von tiefen Mitleid und Mitgefühl – heiße Tränen in den Augen (a). Er legte dem völlig am Boden zerstörten Synagogen-Vorsteher die Hand auf die Schulter und ging neben ihm auf ein Knie, um ihn zu trösten, und sprach zu Seinen Jüngern: „Schickt die Leute alle weg! Ich kann Mich ihrer jetzt nicht mehr annehmen. Sie sollen unbedingt alle weggehen! Das ist Mein Wille als der Prophet Gottes! Und welche sich Mir wieder auf Zeit anschließen wollten, die sollen Mir nach Kapernaum vorausgehen. Dort will Ich zu ihnen stoßen, in ein paar Tagen.“
Da trieben die Apostel Jesu die Menge fort (b). Judas Bar Simon rief: „Ihr habt den Meister gehört! Es gibt hier nichts mehr zu hören und zu sehen! Das Mädchen ist gestorben!“ Und Philippus drängte die schaulustige Meute: „So geht doch endlich! Der Meister kann sich eurer heute nicht mehr länger widmen. Er hat jetzt dieser armen Familie Trost zu spenden, die soeben ihre Tochter verloren hat!“ Ebenso fuhr auch Judas Bar Jakob, den alle »Thaddäus« oder »Lebbäus« nannten, die Meute an: „Habt ihr nicht gehört?! Der Meister will jetzt in Ruhe gelassen werden! Ihr habt doch schon alles von Ihm gehört!“
Während die Apostel Jesu so die enttäuschte Menge von sich trieben und auch die vielen Jünger, die sich ihrem Meister wieder auf Zeit anschließen wollten (c), nach Kapernaum schickten, sprach Jesus dem völlig am Boden zerstörten Jairus leise mit sanfter Stimme Mut zu: „Lass uns in dein Haus zu deiner Tochter gehen. Sie soll noch gerettet werden und wieder aufleben!“ (d)
Dann richtete Er den gebrochenen Vater auf, der wieder etwas Mut fasste, um ihn auf dem Heimweg zu seiner verstorbenen Tochter zu stützen.
Tatsächlich spürte Jair, wie ihm durch die Hand Jesu auf seiner Schulter Kraft zufloss, dass ihn trotz seiner tiefen Bedrückung seltsame Schauer durchflossen. Aber was sollte dieser Rabbi jetzt noch ausrichten können, wenn seine Tochter tatsächlich schon verstorben war?! Aber vielleicht schien es ja nur so und seine Kleine war noch garnicht wirklich tot! Denn wenn dieser Prophet Gottes erklärte, dass es noch Hoffnung gab? …
Als sie schließlich beim Haus des Jairus ankamen, traten dem Rabbi der Synagoge schon die hinzu-gezogenen Ärzte entgegen und schüttelten vielsagend bedauernd den Kopf: „Es tut uns leid, Jairus! Es war leider nichts mehr zu machen! Die Kleine atmet nun schon eine halbe Stunde nicht mehr und ihr Herz hat aufgehört, zu schlagen; kein Puls ist mehr da und sie wird schon kalt.“
Jesus aber überhörte ihre vernichtende Diagnose und erklärte dem Rabbi: „Verzweifle nicht, Jairus! Vertraue nur! Dann wird deine Tochter wieder gesund!“ (e)
Der Pharisäer sah Jesus ungläubig an. Was sollte Er jetzt noch ausrichten können?! Der Meister aber sprach zu Seinen zwölf Begleitern: „Wartet hier vor dem Haus und betet für die Familie. Allein du, Johannes, und du, Jakobus, und du, Simon Petrus: Kommt ihr mit Mir!“ (f)
Aus dem Haus des magdalener Rabbis drang bereits das Heulen der hinzu-gerufenen Klageweiber, die, wie es in Israel üblich war, beim Tod eines Angehörigen herbei-geholt wurden, um Klage-Psalmen aus den Heiligen Schriften anzustimmen (g).
„Was für ein prächtiges Gebäude!“, dachten da noch die Jünger Jesu, als sie die ansehnliche Villa des Synagogen-Vorstehers betrachteten: Aber was war das alles noch wert, wenn deren Bewohner der Engel des Todes aufgesucht hatte! (h) Also beteten sie für die Hinterbliebenen, wie es ihnen geboten worden war.
Jesus betrat derweil mit den Dreien, die Er sich aus Seinen zwölf Aposteln zur Begleitung auserwählt hatte, ins Zimmer des verstorbenen Mädchens und begab sich zu dem Bett, in dem die Kleine lag, die bereits leichenblass geworden war und deren Augen leblos an die Decke starrten. In der Aufregung war offensichtlich von allen vergessen worden, ihr die Augen zu schließen.
Jesus setzte sich neben das starre Kind auf die Bettkante, ergriff die Hand des toten Mädchens mit Seiner Rechten und fühlte mit der Linken nach einem Puls. Dann erklärte Er, als wäre Er selbst ein Arzt: (i) „Hört auf zu heulen und zu jammern! Mit dem Mädchen ist es noch keineswegs aus! Es ist noch nicht gestorben! Es schläft nur tief!“ (j)
Da verschlug es allen im Raum die Sprache; und mancher konnte sich ein höhnisches Schmunzeln nicht verkneifen: Wollte es jener medizinisch unbewanderte Prophet etwa besser wissen, als die fachkundigen Ärzte, die das Mädchen nach verzweifelten Bemühungen, es ins Leben zurück-zu-holen, schon vor einer halben Stunde für tot erklärt hatten?! (k)
Da Jesus aber ihren Zweifel und ihre Skepsis spürte, wies Er den Hausherrn an: „Schick sie bitte alle hinaus! Niemand soll in diesem Raum bleiben, als allein Ich und Meine Drei, die mehr auf EIN Wort von Mir geben, als auf tausend Eindrücke (l), sowie du und deine Frau.“
Also bugsierte Jair, der völlig neben sich stand und selbst nicht mehr wusste, was er tat und was angesagt war, so dünn, wie das Eis, auf dem er noch Halt fand, war, alle aus dem Zimmer hinaus. Dann befanden sich nur noch er, seine Frau, die sich verzweifelt an ihn warf, sowie der Meister und Seine drei Ihm nächsten Jünger im Raum (m).
Jesus blickte eine Weile das toten-starre Mädchen an, dessen linke Hand Er noch immer mit Seiner Rechten hielt; dann legte Er Seine Linke auf ihre kleine, zarte Kinderbrust und sprach: „Talita kumi!“ Das war aramäisch und bedeutete: „Kindlein, stehe auf!“ (n)
Die Zeit schien still zu stehen; und alle hielten den Atem an. Alle Blicke richteten sich wie gebannt auf das leblose Mädchen.
Dann mit einem Mal: ein unvermitteltes, heftiges tiefes Einatmen! Das Mädchen, dessen Blick soeben noch starr zur Decke gerichtet war, schloss die Augen, bewegte sich und schlug sie schließlich wieder auf, blickte den Meister an und lächelte verlegen. Das Gesicht der Kleinen, wie auch ihre zarten Ärmchen, die eben noch aschfahl waren, bekamen wieder glutrot leuchtende rosa Farbe, und das Mädchen richtete sich in ihrem Bettchen auf, um sich, Bergung suchend, an Jesus zu lehnen, der Seine Linke um sie legte (o).
„Gepriesen sei der HERR!“, stieß Jairus, der seinen Augen nicht trauen konnte, aus: „Ihr Geist ist tatsächlich in sie zurück-gekehrt!“ (p) „Lobpreis dem Höchsten!“, rief unter einem Schwall von Tränen seine Frau; und sie warfen sich auf ihr Kind, das wieder zum Leben gekommen war, um es unter Erleichterungs-Seufzern zu drücken und zu umarmen (q).
Jesus, der den Eltern Platz gemacht hatte, erhob sich und sprach: „Gebt der Kleinen jetzt erst einmal etwas Anständiges zu essen, dass sie wieder zu Kräften kommt“ (r), und scherzte: „Allein ihr mächtiger Hunger hat sie am Leben erhalten!“ (s)
Und als Er sich mit Seinen ebenso überwältigten Dreien, die auch die Freuden-Tränen nicht zurück-halten konnten, zum Gehen wandte, da streckte die Kleine nach Ihm ihr Händchen aus: „Willst Du denn schon gehen?!“
„Aber nein, Meine Kleine!“, gab der Meister ihr zur Antwort und küsste ihr liebevoll, wie einer kleinen Prinzessin (t), ihr Ihm entgegen-gestrecktes Händchen: „Du weißt es doch jetzt! Ich werde immer bei dir sein und auch bleiben, egal, wo auch immer du sein wirst und gerade bist!“ (u)
Und die Kleine nickte verständig; und allen im Raum war es klar, dass sie, die schon über die Schwelle gegangen war, etwas von einem Geheimnis wusste, dass ihnen selbst noch unvertraut war (v).
Dann richtete Jesus vor dem Gehen an die beiden Eltern des Kindes, die sich daraufhin mit einem Mal schuldbewusst an Ihn umwandten, weil ihre ganze Aufmerksamkeit allein ihrer Kleinen gegolten hatte und sie Ihm noch überhaupt nicht gebührend gedankt hatten: Er wandte sich ihnen noch einmal zu und beschwörte sie: „Macht bitte nicht viel Aufhebens um das, was hier jetzt geschehen ist! (w) Denn Ich habe es euch schließlich klar und unmissverständlich bekundet, dass euer Kind lediglich tief geschlafen hat! – nicht anders, als wie es bei denen ist, die endgültig entschlafen sind! (x) Und ebendies erklärt auch, wenn man euch fragt!“
Denn der Rabbi wollte nicht, dass sie nun von allen Seiten bestürmt würden, zu künden, welche Unglaublichkeiten an ihnen geschehen waren, zumal Er auch darum wusste, dass sie dieser Sache wegen sowohl von unzähligen Pharisäern und Schriftgelehrten, sowie auch von den Spähern des Herodes streng befragt werden würden (y), und es dem Jairus sogar sein Aufseher-Amt über seine Synagoge kosten konnte, wenn er sich von dem Bekenntnis nicht abbringen lassen würde, dass seine Tochter durch Ihn von den Toten wieder ins Leben gerufen worden war (z). All dies wollte der Herr ihnen nämlich ersparen, damit sie weiterhin ein normales Leben führen konnten.
Aber freilich erscholl die Kunde von dem, was da in Magdala geschehen war, alsbald im ganzen Land (aa). Und manche jubilierten: „Dies muss wahrhaft der Gesandte Gottes sein, der uns verheißen worden ist! Denn Er vermag sogar, Tote wieder zum Leben zu erwecken!“
Andere aber verneinten dies und erklärten: „Das Mädchen war doch garnicht wirklich tot! Hat Er nicht selbst von ihm bekundet, dass es nur in einen Tiefschlaf gefallen und lediglich dem Tode sehr nahe war?!“